Laute Klagen von Trump, aber kaum Beweise: Haben Tote bei der US-Wahl abgestimmt?
Trumps Schwiegersohn und sein persönlicher Anwalt bringen die Einsprüche gegen die US-Wahl vor die Gerichte. Wie sind die Erfolgsaussichten? Eine Analyse.
Tote haben bei der US-Wahl ihre Stimme abgegeben – behauptet Donald Trump. Er will nun die Todesanzeigen von US-Bürgern präsentieren, die nach seiner Darstellung bei der US-Wahl ihre Stimme abgegeben haben. Oder jedenfalls in deren Namen Unbekannte eine Stimme abgegeben haben sollen. Für ihn ist dies der ultimative Beleg für umfassenden Wahlbetrug.
Trump weitet seinen juristischen Feldzug aus, um den Wahlsieg Joe Bidens anzufechten. Bisher richten sich seine Anstrengungen jedoch weniger auf die Gerichte als auf die öffentliche Meinung.
Sein Wahlanfechtungsteam konzentriert die Energien darauf, Rallye-artige Massenveranstaltungen in den umkämpften Staaten abzuhalten, bei denen seine Beauftragten die angeblichen Manipulationen und Rechtsbrüche vor aufgewiegelten Anhängern ausbreiten, fasst das Nachrichtenportal Axios die Lage zusammen.
Parallel analysiert die „Washington Post“ die juristische Substanz der bisherigen Einsprüche des Trump-Teams gegen die Auszählung. „Es steht 0 zu 5“, resümiert die Zeitung. Bei genauerem Hinsehen hat Trump allerdings einige kleinere Erfolge verbucht; dazu weiter unten. Trumps Ziel sei, vermuten die US-Medien, Zeit zu gewinnen, um die Auszählung und damit die Einleitung der Machtübergabe an Joe Biden zu verzögern.
Spekulationen, Gerüchte, Hörensagen statt Belege
Nach dem Urteil der Richter in den bisher entschiedenen Verfahren hätten die Republikaner keine Belege für ihre Behauptung umfangreichen Wahlbetrugs in einer für das Gesamtergebnis relevanten Größenordnung vorgelegt. Sie hätten sich auf Spekulationen, Gerüchte und Hörensagen berufen. Dies betreffe zudem nur lokale Unregelmäßigkeiten, die – selbst wenn sie zuträfen – keinen ausreichenden zahlenmäßigen Unterschied ausmachen, um die vorläufigen Resultate in einzelnen Staaten zu ändern. Hinweise auf systematischen Wahlbetrug fehlten bisher völlig. Die Auszählung verläuft im Großen und Ganzen korrekt.
Wer sind die Leute, die Trumps juristischen Feldzug dirigieren? Um welche Staaten und welche Vorwürfe geht es? Und wie sind die Erfolgsaussichten?
Jared Kushner contra Rudy Giuliani und Richard Grenell
Im Weißen Haus sind Trumps Schwiegersohn Jared Kushner und sein persönlicher Anwalt Rudy Giuliani die Hauptbeauftragten für den juristischen Kampf um den Wahlausgang. Kushner ist laut Medienberichten nicht so ganz überzeugt von den Erfolgsaussichten. Er soll bereits am Wochenende versucht haben, Trump zu überzeugen, dass die Wahl verloren ist und er seine Niederlage besser eingestehe, als aussichtslose Anfechtungen zu verfolgen. Auch Ehefrau Melania soll mit diesem Ziel auf den Präsidenten eingewirkt haben. Manche Republikaner wenden sich von Trump ab.
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Rudy Giuliani und Trumps Söhne sind gegenteiliger Ansicht. Trump solle kämpfen. Die Niederlage lasse sich noch abwenden. Diese Strategie vertritt auch Richard Grenell, der frühere US-Botschafter in Deutschland. Er vertritt Trump bei Pressekonferenzen im Westen der USA, voran in Nevada, einem der umkämpften Staaten.
Das juristische Team im Weißen Haus
Als Zentrum der Auseinandersetzung sieht Giuliani Pennsylvania. Ohne dessen 20 Wahlleutestimmen würde Biden beim aktuellen Auszählungsstand in den anderen Staaten unter die Marge von 270 Wahlleuten fallen, die man für den Einzug ins Weiße Haus benötigt.
Zur Gruppe, die den Gerichtsweg managen soll, gehören auch der Leiter der Wahlkampagne, Bill Stepien; der Rechtsanwalt Justin Clark; sowie die Berater Jason Miller und David Bossie. Zum erweiterten Kreis des Teams zählen die republikanischen Abgeordneten Jim Jordan und Scott Perry, Ex-Stabschef Reince Priebus sowie der aktuelle Stabschef Mark Meadows, dessen Aktionsradius freilich durch einen positiven Corona-Test eingegrenzt wird.
Parallel zu den Anwälten läuft die Propagandamaschine
Trump setzt nicht allein auf das juristische Team, sondern parallel oder sogar in größerem Maße auf sein Kommunikationsteam. Unter der Leitung von Tim Murtaugh soll es unablässig Nachrichten über unrechtmäßig abgegebene Stimmen verbreiten und so den Eindruck massiven Wahlbetrugs unter Trumps Anhängern verstärken. Murtaugh verpflichtet Trump-Loyalisten, sich für Auftritte in den diversen TV-Sendern und ihren Nachrichten-Shows bereit zu halten. Und bietet den Sendern diese Trump-Vertreter als Interviewpartner an.
US-Bürger (und Journalisten), die auf Trumps Verteiler steht, bekommen Emails von der “Election Defense Task Force“ mit der Betreffzeile „For Patriots ONLY“. Sie enden mit der Bitte um Spenden zur Finanzierung der Gerichtsverfahren.
Pennsylvania ist Zentrum der rechtlichen Einwände
Regional steht in jedem der umkämpften Staaten ein eigenes Team bereit. In Pennsylvania leitet Anwalt Ron Hicks von der Kanzlei Porter Wright die Einsprüche. In der vergangenen Woche hatte Team Trump dort zwei Ziele: Briefwahlumschläge, die nach dem Wahltag eintreffen, sollen nicht gezählt werden; und um dies vorzubereiten, sollten sie von vornherein getrennt abgelegt und von den Stimmzetteln separiert bis zum Abend Wahltag eingetroffen sind.
In der Hauptsache ist noch nicht entschieden. Der Supreme Court urteilte, er könne sich später mit der Frage befassen, ob Stimmzettel, die nach dem Wahltag eintreffen, gültig sind, wie es das regionale Wahlrecht in Pennsylvania vorsieht, oder nicht. Mit der Forderung der Trennung der einen von den anderen Stimmzetteln hatte Trump Erfolg.
Trumps Anwälte müssen Vorwürfe korrigieren
Zweitens behauptete Trumps Team, republikanische Wahlbeobachter seien bei der Auszählung nicht zugelassen worden; deshalb liege der Verdacht nahe, dass die Demokraten Wahlbetrug begehen. Vor Gericht musste Trumps Anwalt jedoch zugeben, dass auch Republikaner unter den Beobachtern sind. „Ihre Zahl ist größer als 0.“
Worauf Bezirksrichter Paul Diamond entgegnete: „Wo ist dann das Problem?“ Er lehnte den Antrag auf Stopp der Auszählung ab. In getrennten Verfahren erreichte Trump aber, dass seine Wahlbeobachter die Auszählung aus einem geringeren Abstand als zuvor verfolgen dürfen.
Auch in Georgia geht es um Briefwahlstimmen
In anderen Staaten mit knappem Wahlausgang sind die juristischen Erfolgsaussichten bisher nicht besser. In Georgia leitet Doug Collins das Anwaltsteam. Er war republikanischer Abgeordneter, wollte Senator werden, belegte in dem Rennen gegen den Demokraten Raphael Warlock und eine andere Republikanerin, Kelly Loeffler, aber nur den dritten Platz. Warlock und Loeffler gehen in die Stichwahl im Januar.
Auch in diesem Staat konzentrierten Trumps Leute ihre Einsprüche darauf, dass angeblich verspätet eingetroffene Briefwahlstimmen mitgezählt wurden. Sie beriefen sich auf die Wahlbeobachter, die dies angeblich bezeugen konnten. Die Verfahren endeten mit der Feststellung, dass sie keine Beweise vorgelegt haben. In bestimmten Fällen sind zudem Briefwahlunterlagen gültig, die nach dem Wahltag eintreffen. Dies betrifft Militärangehörige und US-Bürger, die im Ausland leben.
In Arizona dreht sich der Streit um "Sharpie Pens"
In Arizona steht Kory Langhofer an der Spitze des juristischen Teams. Er hatte Trump in der Transition 2016 beraten. Dort drehen sich die Einwände um Zweifel, ob die Wahlmaschinen korrekt funktioniert haben – je nachdem welchen Stift die Wähler benutzen. Ein „Sharpie Pen“ könne zu falsch gezählten Stimmen führen, meinten Republikaner. Die Verantwortlichen weisen das zurück. State Secretary Katie Hobbs bewertet entsprechende Klagen Trumps als untaugliche Versuche, den Abschluss der Auszählung zu verzögern.
In Nevada behaupteten Trumps Anhänger, in Las Vegas und Umgebung seien mehrere tausend Stimmen unrechtmäßig abgegeben worden. „Das ist inakzeptabel und fördert den Eindruck, dass das System korrupt ist“, behauptete Richard Grenell.
In Nevada bleibt statt Tausenden nur ein Fall
Statt der angeblich mehreren tausend Fälle konnte Team Trump laut „Washington Post“ nur eine Person präsentieren, deren Stimmzettel in falsche Hände gelangt und von jemand anders ausgefüllt worden war. Eine Frau namens Jill Stokke. Bezirksrichter Andrew Gordon wies die Kläger ab. Sie könnten wiederkommen, wenn sie eine größere Zahl von Fällen belegen könnten.
Insgesamt spricht dies für eine Doppelstrategie, die juristische Einwände mit Massenpropaganda mischt. Anders als im Jahr 2000 in Florida, wo George W. Bush sich am Ende gegen Al Gore durchsetzte, hat Team Trump nicht genügend belegbare Fälle für falsch ausgezählte Stimmen. Es möchte auf der Basis weniger Fälle den Eindruck verbreiten, dass es um ein Massenphänomen gehe. In allen diesen Staaten verstärkt Trump parallel zu den juristischen Bemühungen die Kommunikationsabteilungen. 92 Mitarbeiter wurden laut Axios von Florida nach Georgia verlegt.