„Stammbaumforschung“ nach Stuttgarter Krawallen: Grünen-Chef Habeck hält Polizei-Pläne für „in keinster Weise akzeptabel“
Die Stuttgarter Polizei will die Herkunft von Tatverdächtigen erforschen lassen. Grünen-Chef Habeck weist das Vorhaben zurück - und ist damit nicht der einzige.
Nach schweren Ausschreitungen vor drei Wochen in Stuttgart wächst die Kritik an der Polizei für deren Umgang mit den Verdächtigen. So gibt es aus der Bundespolitik vermehrt Widerstand gegen die Pläne des Stuttgarter Polizeipräsidenten Franz Lutz, die familiäre Herkunft der Straftäter zu erforschen.
Grünen-Chef Robert Habeck sagte dem Tagesspiegel: „Es ist wichtig, die Hintergründe der Gewalttaten von Stuttgart zu ermitteln und aufzuklären. Wir müssen wissen, wie es dazu kam und wie sich so etwas zukünftig verhindern lässt.“
Wenn es jedoch stimme, dass die Stuttgarter Polizei dafür „Stammbaumrecherche“ betreiben wolle, dann „wäre das in keinster Weise akzeptabel“.
Wie die „Stuttgarter Zeitung“ berichtet, will Polizeichef Lutz neben Alter, Geschlecht und Nationalität auch erfassen lassen, ob Verdächtige mit deutschem Pass einen Migrationshintergrund aufweisen. Das kündigte er laut dem Bericht am Donnerstag im Gemeinderat der Stadt an.
Habeck: Polizei muss Klarheit schaffen
„Schon der Verdacht, dass die Polizei Menschen nach Herkunft oder Aussehen unterschiedlich behandelt, schadet ihrem Ansehen“, sagte Habeck. „Es ist nun wichtig, dass die Polizei schnell Klarheit schafft, was gesagt und geplant wurde.“
Pikant an Habecks Aussagen ist auch, dass die Grünen in Stuttgart den Oberbürgermeister und in Baden-Württemberg den Ministerpräsidenten stellen.
Fritz Kuhn, der Grünen-Oberbürgermeister der Stadt, nahm am Sonntag via Twitter Stellung: „Stuttgart ist eine weltoffene Stadt. Wer hier lebt, ist Stuttgarterin und Stuttgarter“, schrieb er. „Wir betreiben keine Stammbaumforschung.“
Aus dem baden-württembergischen Staatsministerium, dem Regierungssitz des Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, hieß es auf Tagesspiegel-Anfrage: „Die Ermittlungsgruppe der Polizei hat erst am Wochenende weitere Tatverdächtige der Stuttgarter Krawalle ermitteln können. Das steht jetzt im Vordergrund. Wir wollen alle Täter finden, die für die Gewalttaten in der Nacht vom 20. auf 21. Juni verantwortlich sind.“
In einem zweiten Schritt gehe es darum, die Hintergründe der Krawalle zu ermitteln. „Natürlich gilt auch bei erhöhtem öffentlichen Interesse: Die verfahrens- und datenschutzrechtlichen Grundlagen gelten“, sagte ein Regierungssprecher.
Zuvor hatte sich der Landesdatenschutzbeauftragte von Baden-Württemberg, Stefan Brink, skeptisch über die Pläne der Stuttgarter Polizei geäußert. „Aus unserer Sicht ist eine rechtliche Grundlage für solche Nachforschungen zunächst nicht erkennbar,“ sagte er laut „Stuttgarter Zeitung“.
Kritik von SPD, Grünen und FDP - Verteidigung von CDU
Auch SPD-Chefin Saskia Esken kritisierte den Vorstoß der Stuttgarter Polizei. „Das verstört mich nachhaltig“, schrieb sie bei Twitter.
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir forderte: „Der Polizeipräsident sollte den Vorschlag sofort zurückziehen!“ Stammbaumforschung gehöre nicht zur Aufgabe der Polizei.
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„Irritierend und gefährlich“ nannte FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle die Pläne: „Eine sogenannte Stammbaumforschung spaltet die Gesellschaft und ist ein massiver Eingriff in Persönlichkeitsrechte.“ Kuhle appellierte an Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU), „dieses Vorhaben mit einem Machtwort zu stoppen“.
Strobl verteidigt die „Feststellung der Lebens- und Familienverhältnisse“ durch die Polizei als „eine Selbstverständlichkeit in einem Strafverfahren“. Der Begriff „Stammbaumforschung“ sei aber fehl am Platz. Es gehe vielmehr darum, dass „verlässliche Informationen zu den Tatverdächtigen kommuniziert werden können“, sagte Strobl.
Stuttgarts Polizei teilte am Sonntag mit, sie erhebe „in einzelnen Fällen die Nationalität der Eltern“ von Tatverdächtigen beim Standesamt. „Diese Ermittlungshandlung wird in der aktuellen Mediendarstellung als 'Stammbaumforschung' wiedergegeben“, heißt es in einer Mitteilung der Polizei. „Dies ist nicht korrekt.“ Des Weiteren teilte die Polizei mit, die Stadt Stuttgart habe sich einen Tonmitschnitt der Ausführungen von Lutz angehört. Dabei sei „zu keinem Zeitpunkt die Rede von einer Stammbaumforschung“ gewesen.
Stuttgarts „Partyszene“
Unterstützung bekommt Stuttgarts Polizei von Armin Schuster (CDU), Obmann im Bundestags-Innenausschuss. „Wohnort, Herkunft, Geschlecht, Vorstrafen oder Alter von Straftätern zu erfassen, ist völlige normale Polizeiarbeit“, sagte er auf Nachfrage. Die Aufregung über die Pläne könne er nicht verstehen, sagte Schuster. „Die Vorwürfe dienen doch einzig dazu, die linke politische Treterei gegen die Polizei weiter zu verstärken.“
Es sei für künftige Einsätze wichtig zu wissen, „ob man es bei Verdächtigen mit Deutschen, Ausländern, Asylbewerbern oder mit Deutschen mit Migrationshintergrund zu tun hat“. Eine „exakte Analyse“ der Stuttgarter Krawalle sei nötig. „Die Bezeichnung „Partyszene“ reiche da nicht aus.
Von einer „Samstagabend-Partyszene“ hatte Stuttgarts Polizeivizepräsident Thomas Berger nach den Krawallen am 21. Juni gesprochen.
Den Ausschreitungen war nach Polizeiangaben die Routinekontrolle eines 17-Jährigen vorausgegangen. Bis zu 300 Menschen, viele davon alkoholisierte Jugendliche, sollen daraufhin Polizisten mit Steinen und Flaschen beworfen haben. Am vergangenen Wochenende kam es in Stuttgart wieder zu Zusammenstößen zwischen jungen Menschen und der Polizei, bei denen nach Behördenangaben elf Personen festgenommen wurden.
Die Pläne der Stuttgarter Polizei befeuern die aktuelle Debatte über Rassismus bei den Sicherheitsbehörden. Im Juni hatte die Bundesregierung angekündigt, das „Racial Profiling“ untersuchen zu lassen. Gemeint sind verdachtsunabhängige Polizeikontrollen, denen sich Menschen mit Migrationsgeschichte oft ausgesetzt sehen.
Wie die „FAZ“ berichtet, habe Innenminister Horst Seehofer (CSU) den Innenausschuss des Bundestags aber darüber informiert, dass er eine solche Studie nie habe veranlassen wollen.
„Gegen eine politisch unvoreingenommene Studie über die Arbeit der Polizei ist nichts einzuwenden“, sagt Schuster. „Aber von vornherein von einem latenten oder sogar strukturellen Rassismus in den Sicherheitsbehörden auszugehen, das ist falsch.“ FDP-Mann Kuhle meint: „Eine solche Studie würde allen Beteiligten nutzen – vor allem auch dem Großteil der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, die eine hervorragende Arbeit machen.“
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