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Christian Lindner ist seit 2013 FDP-Chef.
© Getty Images

Lindners „One-Man-Show“ im Abwärtstrend: Warum die FDP-Spitze ein Problem mit dem Teamwork hat

Sinkende Umfragewerte machen der FDP zu schaffen. Jetzt rächt sich, dass Parteichef Lindner kein schlagkräftiges Team um sich aufgebaut hat.

Es ist eine Mahnung, jetzt bloß nicht die Nerven zu verlieren. So lässt sich zumindest interpretieren, was der FDP-Bundestagsabgeordnete Jens Brandenburg kürzlich via Twitter einforderte. Man solle sich von den „Wasserstandsmeldungen nicht immer so kirre machen lassen“, schrieb der 34-Jährige mit Blick auf aktuelle Wahlumfragen, in denen die FDP zwischen acht und vier Prozent steht. „Am Ende zählt sowieso nur das Wahlergebnis.“

Solche Beteuerungen sind bei den Freidemokraten in diesen Tagen oft zu hören. Doch kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Partei im Abwärtstrend befindet – und inzwischen gefährlich nah an den Abgrund gerückt ist. Wären heute Bundestagswahlen, die 80 FDP-Abgeordneten müssten um den Wiedereinzug bangen. Womöglich würden sie zum zweiten Mal nach 2013 in der Bedeutungslosigkeit landen, in der „außerparlamentarischen Opposition“.

Angesichts der prekären Lage werden in der Partei die Forderungen lauter, es müssten endlich die „Leute aus der zweiten Reihe nach vorne“, um die FDP wieder in die Offensive zu bringen.

Denn im Alleingang wie bisher, da sind sich viele Liberale einig, könne Partei- und Fraktionschef Christian Lindner das kaum schaffen. So war der 41-Jährige zuletzt wenig erfolgreich mit dem Versuch, die Bundesregierung in der Coronakrise vor sich herzutreiben. Die Rhetorik verpuffte, seine Forderungen wurden teils rasch von der Wirklichkeit überholt.

Damit bestätigte sich abermals, dass Lindners ehemals erfolgreiche „One-Man-Show“ nicht mehr funktioniert. Der Parteichef wünscht sich deshalb schon länger eine „personelle Verbreiterung“, wie er häufig öffentlich erklärt. „Intern beteuert Lindner immer wieder, dass er verzweifelt neue Teammitglieder sucht“, erzählt ein Insider.

Personalentwicklung in der FDP: „Keiner traut sich nach vorne“

Die „Personalentwicklung“, wie es bei den Liberalen im BWL-Sprech heißt, lasse zu wünschen übrig. „Keiner traut sich nach vorne.“ Die selbsterklärte Modernisierungspartei, die für sich den Anspruch erhebt, eine Politik der „smarten“ Ideen zu vertreten, bekommt ausgerechnet eins nicht auf die Reihe: Teamwork.

Die Gründe dafür haben etwas mit Lindners Strahlkraft zu tun, aber auch mit strukturellen Problemen in Fraktion und Partei. Auch das Trauma von 2013 – die damaligen Grabenkämpfe, der Rauswurf aus dem Bundestag – schreckt bis heute viele vor allzu eifrigen Profilierungsversuchen ab. Es sei „gewissermaßen wie nach einem folgenschweren Autounfall“, sagt die Bundestagsabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann. „Man sorgt sich, es könnte sich wiederholen, und fährt deshalb übervorsichtig.“

Dabei mangle es nicht an ambitionierten Leuten, wie man in der Partei betont. In der Tat gibt es eine Reihe von FDP-Politikern, die sich stärker einbringen wollen und ihre Möglichkeiten ausloten, sich für die Zukunft in Stellung zu bringen. Sie möchten zeigen, dass die Freien Demokraten weit mehr sind als eine reine Lindner-Truppe, in der alles am Chef hängt.

Wo bleibt die zweite Reihe?

Es sind Politiker wie der NRW-Landesvorsitzende Joachim Stamp, dessen Generalsekretär Johannes Vogel und der ehemalige Vorsitzende der Jungen Liberalen und heutige Bundestagsabgeordnete Konstantin Kuhle. Zur „zweiten Reihe“, Lindners Stellvertretern, zählt zwar keiner von ihnen. Trotzdem gelten die drei als Hoffnungsträger. So werden sie zumindest gehandelt. Aber sind sie auch bereit, selbst zu handeln? Notfalls die Machtfrage zu stellen? Können sie etwas bieten, was Lindner nicht hat?

Dass Stamp, Familien- und Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen, gerne über die Grenzen seines Bundeslands hinaus mehr Einfluss nehmen würde, ist kein Geheimnis. Er wolle seine „Erfahrungen als Landesminister künftig stärker in die Bundespartei einbringen“, kündigte er noch im Februar an.

Dann kam die Corona-Pandemie. Seither zeigt sich der 49-Jährige als Kümmerer, der sich um die rasche Öffnung der Kitas in NRW bemüht. Während Lindner nachhängt, dass er im Herbst 2017 die Jamaika-Sondierungen mit Union und Grünen platzen ließ („Lieber nicht regieren als schlecht regieren“), beweist Stamp in der Coronakrise die Bereitschaft der Liberalen, in einer Regierung Verantwortung zu übernehmen.

Deshalb habe er momentan auch „keine Zeit für Parteifragen“, heißt es in seinem Umfeld. Allerdings führe künftig in der Bundespartei „kein Weg vorbei“ an dem Chef des größten Landesverbands, sagt einer, der das FDP-Innenleben gut kennt.

NRW-Familienminister Joachim Stamp zeigt sich in der Coronakrise als Macher.
NRW-Familienminister Joachim Stamp zeigt sich in der Coronakrise als Macher.
© dpa/Roland Weihrauch

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Eigene Akzente in der Bundespolitik setzen möchte auch Stamps Generalsekretär Johannes Vogel. Der 38-Jährige ist 2009 zum ersten Mal in den Bundestag eingezogen und hat sich dort schnell einen Namen als Arbeits- und Sozialpolitiker gemacht. Das Label „sozialliberal“, in der heutigen FDP nicht selten als eine Art Stigma verstanden, trägt Vogel mit Stolz. Als Wahlkampfmanager holte er bei der NRW-Landtagswahl 2017 rund 160000 enttäuschte SPD-Wähler zur FDP – ein Erfolg, den Lindner gerne im Bund nachahmen würde.

Johannes Vogel war fünf Jahre lang Vorsitzender der Jungen Liberalen. Heute ist er Generalsekretär der NRW-FDP.
Johannes Vogel war fünf Jahre lang Vorsitzender der Jungen Liberalen. Heute ist er Generalsekretär der NRW-FDP.
© dpa/Rolf Vennenbernd

Auch der niedersächsische FDP-Generalsekretär Kuhle genießt den Ruf, jenseits der klassischen Liberalenklientel gut anzukommen, etwa im Grünen-Milieu der Großstädte. Zu seinen Kernthemen zählen Bürger- und Menschenrechte. „Wenn man immer nachbrabbelt, was Lindner sagt, wird man nichts“, sagte der heute 31-Jährige voriges Jahr und stellte sich gegen den Parteichef, als der den Demonstranten von „Fridays for Future“ riet, die Klimapolitik den „Profis“ zu überlassen.

Konstantin Kuhle ist innenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.
Konstantin Kuhle ist innenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.
© picture alliance/dpa

Heute hört man solche Sätze von Kuhle selten. Wie sein Fraktionskollege Vogel will auch er Lindner nicht offen herausfordern.

Sind es Beißhemmungen, wie sie ein erfahrener Parteikollege den beiden „netten Jungs“ unterstellt? Fehlender Mut, sich auch mal im Streit mit der Parteispitze zu profilieren? Das ist eine mögliche Lesart. Die andere: Vogel und Kuhle stehen für einen neuen Politikertyp, der ohne harte Bandagen und Intrigen auskommen will, der entspannter auftritt, ausgeglichen und verbindlich.

Das Trauma von 2013

In der FDP gibt es durchaus ein Bedürfnis nach so einem Politikstil. Die Liberalen sind froh, dass die Zeiten der Schlammschlachten, die 2013 auch zum Rauswurf aus dem Bundestag führten, vorbei sind. Zu forsche Vorstöße Einzelner werden deshalb kritisch beäugt. Keiner will den Verdacht auf sich ziehen, einen Machtkampf oder eine Personaldebatte anzuzetteln.

„Wer talentiert ist und Potenzial zeigt, dem wird schnell unterstellt, an irgendeinem Stuhl sägen zu wollen“, sagt Strack-Zimmermann. „Mögen das andere so interpretieren, für uns ist Christian Lindner die Nummer eins und wir sind zusammen ein gutes Team.“

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Tatsächlich überragt der Vorsitzende fast alle in der FDP. Er hat die Partei nach 2013 wiederaufgebaut und anschließend zurück in den Bundestag geführt. Die meisten heutigen Abgeordneten haben im Vergleich wenig politische Erfahrung. Drei Viertel sitzen zum ersten Mal im Bundestag, viele sind jung und bewundern den Chef für dessen rhetorisches Talent, seine Ausstrahlung und seinen Intellekt.

„Einfach unsere Arbeit machen“

Umso schwerer ist es für die sechs stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, aus Lindners Schatten zu treten. Hinzukommt, dass ihre Zuständigkeiten in der Fraktion mitunter wie mit der Gießkanne verteilt wirken. In einem Arbeitskreis etwa werden Bildungsfragen mit Seniorenpolitik vermengt, in einem anderen Gesundheit und Tourismus – keine guten Voraussetzungen, um das eigene Profil zu schärfen.

Wie sollen die Liberalen so neue Talente hervorbringen, die im „Team Lindner“ die FDP in die Bundestagswahl 2021 führen? Auf die Frage reagieren viele in der Partei eher ratlos. Resignation allerdings ist trotz der schwierigen Lage und schlechter Umfrageergebnisse nicht zu spüren bei den Freidemokraten. „Wir müssen einfach unsere Arbeit machen und nicht auf jede Stimmung reagieren“, rät Strack-Zimmermann.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist ehemalige Bürgermeisterin von Düsseldorf und sitzt seit 2017 im Bundestag.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist ehemalige Bürgermeisterin von Düsseldorf und sitzt seit 2017 im Bundestag.
© picture alliance / Karlheinz Sch

Weiter so und nicht verzweifeln – das Credo gilt für die FDP mindestens bis zum Wahltag. Was danach passiert, hängt vom Ergebnis ab.

Drei Szenarien kursieren in der Partei: Scheitern die Liberalen an der Fünf-Prozent-Hürde, wäre Lindners politische Karriere ziemlich sicher vorbei, heißt es. Gelingt der FDP zwar der Wiedereinzug, aber keine Regierungsbeteilung, müsste sich Lindner die Frage stellen, ob er noch einmal vier Jahre weitermachen wolle.

Optimisten wie Jens Brandenburg setzen auf die dritte Variante, das Best-Case-Szenario. In dieser schönen neuen Welt säße die FDP als Juniorpartner einer schwarz-gelben Koalition wieder in der Regierung. Mit Christian Lindner als Vizekanzler.

Paul Starzmann

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