Besuch des tunesischen Regierungschefs in Berlin: Grüne und Linke warnen Merkel vor Flüchtlingsabkommen mit Tunesien
Die Opposition positioniert sich gegen einen Flüchtlingsdeal wie mit der Türkei. Der tunesische Premier lehnt Verantwortung für Anis Amri ab.
Vor dem Besuch des tunesischen Regierungschefs Youssef Chahed in Berlin haben Grüne und Linke Kanzlerin Angela Merkel vor einem Flüchtlingsabkommen mit dem Maghreb-Staat gewarnt. „„Angela Merkel darf mit Tunesien nicht den Fehler wiederholen, den sie im Umgang mit Erdogan gemacht hat, und durch einen schmutzigen Flüchtlingsdeal das Land von westlicher Kritik abschirmen“, sagte die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Dienstag).
Linken-Chefin Katja Kipping mahnte: „Kanzlerin Merkel muss von jeglichen Plänen Abstand nehmen, in Tunesien Flüchtlingslager einzurichten, und gegenüber dem tunesischen Premier auf die Einhaltung der Menschenrechte statt auf eine verschärfte Flüchtlingsabwehr drängen.“
Die Union hingegen sieht Tunesien in der Pflicht. „Natürlich muss sich Premierminister Chahed fragen lassen, was seine Regierung tut, damit nicht mehr so viele Tunesier ihr Land verlassen oder sich extrem radikalisieren“, sagte Stephan Mayer, innenpolitischer Sprecher von CDU und CSU im Bundestag, dem RND. Der CSU-Politiker fordert von Tunesien mehr Kooperationsbereitschaft bei der Rücknahme ausreisepflichtiger Tunesier aus Deutschland. „Der Fall Anis Amri mahnt, dass Tunesien seiner völkerrechtlichen Pflicht zur Rücknahme eigener Staatsangehöriger viel schneller nachkommen muss“, sagte Mayer.
Vor seinem Besuch bei Merkel am Dienstag hat der tunesische Ministerpräsident Youssef Chahed Fehler der tunesischen Behörden im Fall des Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri zurückgewiesen. "Die tunesischen Behörden haben keine Fehler gemacht", sagte Chahed der "Bild"-Zeitung (Dienstagsausgabe). "Als Anis Amri 2011 Tunesien verlassen hat, war er kein Terrorist, es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass er sich radikalisieren würde", sagte Chahed. Amri habe sich erst im Gefängnis in Italien radikalisiert.
Tunesischer Regierungschef sieht keine Möglichkeit für Asylzentren in seinem Land
Auch was Amris Papiere angehe, hätten sich "die tunesischen Behörden korrekt verhalten", sagte der Regierungschef. "Wir standen immer eng mit Deutschland in Kontakt". Chahed kündigte an, bei seinem Besuch in Berlin den Anschlagsort an der Gedächtniskirche zu besuchen. "Uns tut wahnsinnig leid, was in Berlin passiert ist."
Zugleich betonte Chahed, er sehe keine Möglichkeit für Asylzentren in seinem Land. "Tunesien ist eine sehr junge Demokratie, ich denke nicht, dass das funktionieren kann und wir für Flüchtlingscamps hier Kapazitäten haben", sagte Chahed auf die Frage, ob er sich entsprechende Zentren in Kooperation mit Europa vorstellen könne. "Es muss eine Lösung zusammen mit Libyen gefunden werden. Das ist der einzige Weg."
Mit Blick auf Forderungen nach einer schnelleren Rücknahme abgelehnter Asylbewerber aus Deutschland sagte Chahed: "Die Kooperation mit Deutschland funktioniert schon jetzt sehr gut. Aber wir brauchen eben von den deutschen Behörden auch klare Beweise, dass es sich wirklich um Tunesier handelt", sagte der Regierungschef. "Illegale Immigranten, die falsche Papiere nutzen, machen das manchmal schwierig und verlängern den Prozess." Ohnehin gehe es aber nur "um eine sehr geringe Zahl von vielleicht 1000" Tunesiern, die derzeit in Deutschland lebten. "Das größte Problem für Europa sind die Flüchtlinge, die aus Libyen nach Italien aufbrechen."
Schneller arbeiten, wenn es um Gefährder geht
Merkel hatte am Wochenende in ihrem wöchentlichen Video-Podcast kritisiert, die Anerkennungsquote tunesischer Asylbewerber liege niedrig,. Sie werde mit Chahed "natürlich darüber sprechen, wie wir für die Zukunft sicherstellen können, dass schneller gearbeitet wird, insbesondere wenn es um Gefährder geht".
Der aus Tunesien stammende Amri hatte am 19. Dezember mit einem Lastwagen den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche verübt. Zwölf Menschen wurden getötet, dutzende weitere verletzt. Er war den deutschen Behörden als Gefährder bekannt. Seine geplante Abschiebung war an fehlenden Personalpapieren aus Tunesien gescheitert. (dpa/AFP)
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