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EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen.
© imago images/ZUMA Wire

Orban legt das Parlament lahm: Appelle aus Brüssel reichen nicht

Ungarns Premier Orban baut in der Corona-Krise seine Macht schamlos aus. Kommissionschefin von der Leyen darf es nicht bei Appellen belassen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Die Corona-Pandemie verändert die üblichen Abläufe in Demokratien. Regierungen verhängen Ausgangssperren, schnüren Rettungspakete und denken über Exit-Strategien nach. Weil die Krise keine langwierigen Debatten erlaubt, bleibt den Parlamenten nichts anderes übrig, als das Regierungshandeln im Nachhinein abzusegnen.

Aber was gerade in Ungarn passiert, hat noch eine völlig andere Dimension: Mit seinem Notstandsgesetz hat Viktor Orban das Parlament lahmgelegt. Ungarns EU-Partner und die Kommission in Brüssel dürfen dies dem Ministerpräsidenten in Budapest, der seine „illiberale Demokratie“ nun vollends in eine Autokratie umwandelt, nicht durchgehen lassen. 

Ausnahmezustand kann unbegrenzt verlängert werden

Das Notstandsgesetz erlaubt es Orban, per Dekret zu regieren und den verhängten Ausnahmezustand ohne die Zustimmung des Parlaments unbegrenzt zu verlängern. Eine derartige machtpolitische Anmaßung wäre in Deutschland oder Frankreich undenkbar.

Die ausgedünnten Reihen im Bundestag und in der Pariser Nationalversammlung, die bei den jeweiligen Beschlüssen über die Anti-Corona-Maßnahmen zu sehen waren, sind zwar ein deutliches Zeichen der Krise. Aber es bleibt dabei, dass auch in diesen Zeiten die Parlamente die Herzkammern der Demokratie bleiben müssen. 

Die Meinungsfreiheit wird weiter eingeschränkt

Orban weicht nun von diesem Grundsatz weiter ab denn je. Der Alleinherrscher, der mit seiner nationalkonservativen Fidesz-Partei ohnehin schon über eine Zweidrittel-Mehrheit verfügt, baut seine Macht nun noch weiter aus. Die Meinungsfreiheit wird erneut eingeschränkt. Journalisten, die in der Corona-Krise „Falschnachrichten“  – was auch immer damit gemeint ist – verbreiten, müssen mit einer Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren rechnen.

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Das Ziel Orbans ist klar. Ihm geht es weniger um ein möglichst effizientes Vorgehen bei der Eindämmung des Coronavirus. Vielmehr will er die im Land verbliebene Opposition jetzt endgültig mundtot machen, um so seine Wiederwahl bei der Parlamentswahl Anfang 2022 zu sichern.

Es wäre grob fahrlässig, wenn die EU-Mitgliedstaaten und die Kommission in Brüssel dem Treiben Orbans nur mehr oder weniger tatenlos zusehen. Bloße Appelle an den ungarischen Ministerpräsidenten, dem Parlament bei der Verlängerung des Notstandes wieder zu seinem Recht zu verhelfen, sind nicht ausreichend.

Zentrale Informationen zur Coronakrise in Berlin:

Fast genauso verstörend wie der Durchmarsch des ungarischen Ministerpräsidenten ist daher die zögerliche Reaktion der EU-Kommission. Die Corona-Krise offenbart schon seit Wochen Macht und Ohnmacht der Brüsseler Behörde: Erst hamsterten EU-Mitgliedstaaten jeweils innerhalb der eigenen Grenzen Schutzausrüstung, dann führten sie in eigener Regie Grenzkontrollen ein. Gegenwärtig streiten Nord- und Südeuropäer über das Für und Wider von Corona-Bonds, also von Gemeinschaftsanleihen, welche Staaten wie Italien entlasten könnten. Es liegt an den großen Kompetenzen der Nationalstaaten, dass Ursula von der Leyen bei all diesen Entwicklungen eher eine Nebenrolle spielte und spielt. Aber die Demokratie-Krise in Ungarn ist anders. Sie ermöglicht durchaus eine entschlossene Reaktion der EU-Kommissionschefin.

Gegen Ungarn läuft bereits so wie gegen Polen innerhalb der EU ein Verfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge. Theoretisch wäre es demnach möglich, den beiden Ländern, in denen die Gewaltenteilung immer stärker gefährdet wird, die Stimmrechte in der Gemeinschaft zu entziehen. Allerdings hat sich das Artikel-7-Verfahren als ein stumpfes Schwert erwiesen. Denn die Regierungen in Polen und Ungarn unterstützen sich gegenseitig und verhindern so ernsthafte Sanktionen. 

Klage vor dem Europäischen Gerichtshof wäre sinnvoll

Von der Leyen darf es damit aber nicht bewenden lassen. Auch wenn die Kommissionschefin mit dem Anspruch angetreten ist, den vor allem in der Flüchtlingskrise entstandenen Graben zwischen Ost- und Westeuropäern wieder zuzuschütten, muss sie im Vorgehen gegen Ungarn jetzt rasch über ihren Schatten springen. Ihr Appell, dass die Notstandsmaßnahmen in Ungarn „verhältnismäßig“ sein müssen, greift zu kurz. Sinnvoller wäre es, wenn die EU-Kommission eine Klage gegen Ungarns Notstandsgesetz vor dem Europäischen Gerichtshof einreichen würde.

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