zum Hauptinhalt
In der Corona-Krise verbreiten Rechtsextreme Verschwörungstheorien und auch Falschmeldungen.
© imago

Verschwörungstheorien, Propaganda, Chaos: Wie Rechtsextreme in der Coronakrise zündeln

Die einen behaupten eine jüdische Verschwörung, andere hoffen auf den Umsturz: Rechtsextremisten wollen die Coronakrise nutzen. Und sie haben jetzt viel Zeit.

Das Video zeigt eine chaotische Szene in einem französischen Supermarkt: Menschen mit dunklen Kapuzen schlagen mit Stöcken aufeinander ein. Die Aufnahme, entstanden im vergangenen Jahr, zeigt französischen Medien zufolge eine Auseinandersetzung rivalisierender Banden. Doch jetzt ist die kurze Sequenz wieder aufgetaucht: Sie wird unter anderem in rechtsextremen Chatgruppen verbreitet. Und hier tut man so, als wären das Migranten, die in der Corona-Krise in einem Supermarkt randalierten.

Auf Youtube, Instagram, in geschlossenen Chatgruppen und Kanälen von Messenger-Diensten wie Telegram oder Whatsapp: Überall im Netz versuchen derzeit Rechtsextreme die Corona-Krise für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Sie verbreiten Propaganda und treiben die Radikalisierung ihrer Anhänger voran. Einige hoffen sogar, dass die Corona-Krise den von ihnen ersehnten Bürgerkrieg herbeiführt. Experten befürchten, dass in dieser unsicheren Zeit rechtsextreme Verschwörungsmythen bis in die Mitte der Gesellschaft einsickern könnten. „Gerade in Krisensituationen ist es leichter, Menschen von Verschwörungstheorien und extremen Ideologien zu überzeugen“, sagt die Extremismusforscherin Julia Ebner.

Neonazis erwägen, mit Absicht Migranten anzuhusten

Sie war für ihr Buch „Radikalisierungsmaschinen“ über Monate undercover in rechtsextremen Internetforen unterwegs. Auch in der Corona-Krise nutzt sie ihre Online-Profile, um Einblick in geschlossene rechtsextreme Gruppen im Netz zu erhalten. „Schon vor Wochen haben Rechtsextremisten von der ,Identitären Bewegung‘ bis hin zu Neonazis in den USA angefangen zu überlegen, wie sie diese Krise ausnutzen können“, sagt Ebner. Sehr häufig sehe sie, dass Migranten als Überträger des Virus und somit als Bedrohung dargestellt werden. In US-amerikanischen Rechtsextremisten-Foren werde aber auch diskutiert, ob positiv auf das Corona-Virus getestete Neonazis mit Absicht Migranten anhusten sollten, um diese anzustecken.

Als Einstiegsdroge in den Radikalisierungsprozess in der rechten Szene gelten Verschwörungstheorien – und von ihnen gibt es in Bezug auf Corona mehr als genug. Das beobachtet auch Miro Dittrich, der sich seit Jahren mit rechtsextremen Online-Kulturen beschäftigt und für die staatlich geförderte Amadeu-Antonio-Stiftung arbeitet. „Die rechtsextreme Szene ist divers“, sagt er. „Die einen glauben, das Virus sei eine Biowaffe. Andere behaupten, es existiere gar nicht. Und wieder andere glauben, das sei alles nur Panikmache und es stehe ein anderes Ziel dahinter.“

Die Phantasie blüht

Letztere beriefen sich oft auf die Falschinformationen des Arztes und Ex-SPD-Politikers Wolfgang Wodarg, der das Virus als vergleichsweise harmlos darstellt. Bei der Frage, welcher Plan mit der angeblichen Panikmache verfolgt wird, blüht in der rechtsextremen Szene die Phantasie. „Einige meinen, dass so die Abschaffung des Bargeldes durchgesetzt werden soll“, sagt Dittrich. Andere glaubten, mit dem Virus solle von der Situation an der griechisch-türkischen Grenze abgelenkt werden. „Es gibt auch die Erzählung, dass uns mit einer möglichen Impfung Partikel gespritzt werden sollen, mit denen dann unsere Gedanken gesteuert werden.“

Der rechte Youtuber Henryk Stöckl, dessen Videos hunderttausendfach geklickt werden, verbreitet die Erzählung, dass es 2020 sowieso zu einem Finanzcrash gekommen wäre. „Doch dank des Corona-Virus, der ausgerufenen Ausgangssperren, der Kurzarbeit, der schließenden Geschäfte, kann man nun den Börsencrash der Pandemie anhängen“, erklärt Stöckl, während er augenscheinlich in seiner Küche sitzt. So wollten Politiker und Regierungen ihr Versagen vertuschen.

Bei den Aktivisten der Identitären Bewegung, die sich als hippe Jugendorganisation inszenieren, fühlt man sich durch die Corona-Krise in den eigenen Ansichten bestätigt. „Die Globalisierung wird als der wahre Täter gesehen, der dahinter steckt“, sagt Dittrich. Zudem versuchten sich die Identitären an der Verknüpfung von Krankheit und Migration. So verbreitet der Kopf der Identitären, Martin Sellner, über seinen Telegram-Kanal Nachrichten über Asylbewerber in Quarantäne und angeblichen Einreisen von Asylbewerbern trotz Corona-Krise.

„Der Höllensturz des Regimes“

Mit Sorge beobachten die Sicherheitsbehörden die Kombination von rechtsextremen Verschwörungstheorien und Gewaltfantasien im Internet. Karl Richter, einer der führenden Ideologen der NPD, verkündet auf der Facebookseite der Partei, „Panik macht sich breit. Sie wird sich mit Ausgangssperren (…) nicht lange niederhalten lassen. Ab hier wird es blutig. (…) Am Ende steht der Höllensturz des Regimes und seiner europäischen wie transatlantischen Hintermänner“. Mit transatlantischen Hintermännern sind in der Szene amerikanische Juden gemeint.

Richters Wort hat in der NPD und bei den ihr nahestehenden Neonazis Gewicht. Richter war Vizechef der Partei, von 2008 bis zu diesem März saß er für die mit der NPD liierte „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ im Stadtrat von München.

Demonstrativ benennt Richter in dem apokalyptischen Szenario die zentralen Hassfiguren der rechten Szene, als wolle er sie zur Zielscheibe machen. „Was jetzt in die Köpfe muss, ist die Verantwortung der Globalisierer und Liberalisierer für alles, was wir jetzt erleben. Globalisierer wie Merkel, Soros, Lagarde, Schäuble und ungezählte andere“, schreibt Richter. Der jüdische-amerikanische Milliardär George Soros ist bei Rechten verhasst, weil er in mehreren Ländern viel Geld in antirassistische und demokratiefördernde Projekte gesteckt hat. In Verschwörungstheorien spielt er eine zentrale Rolle als vermeintlicher Drahtzieher von Migration und Globalisierung.

Rechtsextreme zeichnen ein möglichst düsteres Bild von der Krise

Auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hatte im Tagesspiegel vor massenhaft kursierenden antijüdischen Verschwörungstheorien in Verbindung mit dem Coronavirus gewarnt. Die Pandemie schaffe ein Klima der allgemeinen Verunsicherung. Das sei ein idealer Nährboden, um einzelne Personengruppen zu beschuldigen. Rechtsextremismus-Experte Dittrich beobachtet auch, dass Rechtsextremisten behaupten, Israel stecke hinter der Pandemie. Das Land habe einen Impfstoff für das Corona-Virus und wolle nun Geld machen.

Auf den verschiedenen Kanälen bemühen sich die Rechten, ein möglichst düsteres Bild von der Krise zu zeichnen. Bei der viel gelesenen, flüchtlingsfeindlichen Internetplattform „Politically Incorrect“ versucht ein Autor, bürgerkriegsartige Zustände herbeizureden. Komme die ökonomische Stabilität Deutschlands ins Wanken, „wird schnell offenbar werden, wie gesellschaftlich labil die bunte Einwanderungsgesellschaft längst ist“. Es stünden „Kämpfe in vielerlei, leider auch gewalttätigen Formen bevor“.

Sie wollen den Umsturz herbei führen

Die rechte Hetze halten die Sicherheitsbehörden für riskant, gerade auch mit Blick auf radikalisierte Einzelgänger. Der Berliner Verfassungsschutz warnt in einem Papier zu Extremisten und der Coronakrise, über das der Tagesspiegel diese Woche berichtete, vor gewaltsamen Aktionen „ungebundener, auch irrationaler Einzelakteure“, so genannter „lone actors“. Gemeint sind Attentäter wie Stephan Balliet, der im Oktober 2019 die Synagoge in Halle angriff und zwei Passanten erschoss, sowie Tobias Rathjen, der im Februar in Hanau neun Menschen mit Migrationshintergrund tötete und dann seine Mutter und sich selbst.

Als besonders gefährlich gelten auch die häufig bewaffneten Reichsbürger. „Teile der rechtsextremistischen beziehungsweise der Reichsbürger-Szene sehen ideologisch den baldigen Umsturz des bestehenden politischen Systems an einem Tag X vor“, steht in der Analyse des Verfassungsschutzes. Es sei denkbar, dass wegen der aktuellen Situation einzelne „Rechtsextremisten aktiv werden könnten, um diesen Umsturz kurzfristig herbeizuführen“.

Wie aktuell die Warnung ist, zeigen die jetzt bekannt gewordenen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden zu der vor einer Woche von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) verbotenen, rechtsextremen Reichsbürgergruppe „Geeinte deutsche Völker und Stämme“. Die Polizei fand bei den Razzien vier Schrotflinten, drei Armbrüste, zwei Macheten und ein japanisches Kampfschwert.

Ihr Vorteil: Die Menschen haben jetzt viel Zeit

Auch Dittrich fällt auf, dass die Corona-Krise in terroraffinen rechtsextremen Kreisen durchaus positiv gesehen wird. Dort hingen viele dem Konzept des Akzelerationismus an. Diese Rechtsextremisten glaubten, die multikulturelle, liberale Gesellschaft werde ohnehin in einem Crash enden. Den Untergang müsse man beschleunigen, am besten mit Terror. „Sie sehen in der Corona-Krise eine Chance, auf die sie lange gewartet haben“, sagt Dittrich. „Sie glauben, dass man jetzt die Situation weiter destabilisieren muss.“   

Aus Sicht von Forscherin Ebner hilft die Corona-Krise Rechtsextremisten auch bei der Rekrutierung und Radikalisierung neuer Anhänger. Das liegt zum einen an den Ängsten, die die Pandemie auslöst. „Die werden angesprochen, um dann Erklärungen zu liefern, die oft mit Verschwörungstheorien zusammenhängen und Sündenböcke präsentieren.“ Dazu komme, dass die Menschen im „Lockdown“-Modus viel mehr Zeit hätten, die sie in radikalen Foren verbringen könnten. „Ideologische Indoktrinierung funktioniert sehr stark über Wiederholung und permanente Überflutung mit Falschinformationen“, sagt Ebner. Und auch Einsamkeit in der Corona-Krise spiele eine wichtige Rolle, da es Rechtsextremisten verstünden, ein Zugehörigkeitsgefühl anzubieten.

Dittrich glaubt aber, dass die Corona-Krise Rechtsextremisten nicht nur Vorteile bringt. Schließlich bekämen ihre üblichen Themen derzeit weniger Aufmerksamkeit. Wenn es um Gesundheitsinformationen geht, verließen sich viele Leute lieber auf die klassischen Medien. Ihr Kernpublikum erreichen Rechtsextremisten aber gut im Netz, sagt Dittrich. Besorgniserregend findet er zudem, dass Videos, die das Virus verharmlosten, Millionen Aufrufe hätten. „Das geht weit über die verschwörungsideologische Blase hinaus.“

Zur Startseite