100 Jahre Eigenstaatlichkeit: Galakonzert für Polen schlittert knapp am Eklat vorbei
Ein Schreiduell am Gendarmenmarkt, ein genervter Bundespräsident: Beim Besuch des polnischen Staatsoberhaupts Duda in Berlin rettet erst die Musik den Frieden.
Am Ende siegt dann doch der gute Ton – beim Galakonzert zur Feier von hundert Jahren polnischer Eigenstaatlichkeit im Konzerthaus am Gendarmenmarkt. „Deutschland wünscht sich ein starkes, demokratisches, selbstbewusstes Polen für den Bau einer gemeinsamen europäischen Zukunft“, umwirbt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seinen polnischen Kollegen Andrzej Duda.
Die Stunden zuvor waren turbulent verlaufen und hätten wohl auch zu einer Entgleisung führen können. Steinmeiers Geduld mit seinem störrischen Gast geriet am Dienstagnachmittag an ihre Grenzen. Und Gegner und Anhänger der polnischen Regierungspartei PiS lieferten sich ein kurzes Schreiduell vor den Festreden der Staatsoberhäupter im Konzerthaus am Abend.
Es war eine Szene, wie man sie eher aus Donald Trumps USA kennt, wo die Spaltung der Gesellschaft einen Grad erreicht hat, der einen zivilisierten Dialog erschwert bis unmöglich macht. Die Festgesellschaft im Konzerthaus hatte die Plätze eingenommen, Duda ging ans Mikrofon auf der Bühne, da erhoben sich mehrere Personen in Abendkleidung und skandierten „Konstytucja, konstytucja“ – eine Berufung auf die Verfassung.
Polens Präsident hat sie aus Sicht der Kritiker gebrochen, als er die Justizreform mit der erzwungenen Personaländerung am Obersten Gericht und der vorzeitigen Pensionierung unliebsamer Richter trotz schwerwiegender rechtlicher Einwände durchdrückte. Doch sie wurden rasch von Sprechchören der Anhänger der derzeit in Polen herrschenden Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) übertönt. „Andrzej Duda, Andrzej Duda“, versicherten sie ihrem Präsidenten die Unterstützung.
In den Stunden zuvor hatte das Deutsch-Polnische Forum getagt. Wie jedes Jahr kamen mehrere hundert Anhänger einer guten Nachbarschaft zusammen, um die drängenden Herausforderungen zu diskutieren. Der Ton war anders als in früheren Jahren. Ein Gutteil der polnischen Teilnehmer schien eine politische Agenda mitzubringen. Bei jeder passenden – oder auch unpassenden – Gelegenheit machten sie die deutsch-russische Gas-Pipeline Nord Stream II zum Thema.
Die Gas-Pipeline Nord Stream als Zankapfel
Es dominierte die Debatten derart, dass einer der Organisatoren, der deutsche Direktor der Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit, Cornelius Ochmann, scherzte, vielleicht solle man das diesjährige Treffen in „Nord Stream II Forum“ umbenennen. Das Projekt sei ein Hindernis für gute Nachbarschaft, sagten Polen immer wieder. Auf der Pressekonferenz mit Steinmeier verlangte Duda parallel, Deutschland müsse das Projekt aufgeben.
Von dort stießen die beiden Präsidenten zu den Beratungen des Forums im Weltsaal des Auswärtigen Amts. Steinmeier ließ bald seinen Unmut über den Verlauf des Besuchs aus Polen erkennen. Seit drei Jahren investiert er in die Beziehung zu Duda – obwohl die politische Entwicklung in Polen auch eine harte Reaktion rechtfertigen könnte. Doch Duda scheint trotz des geschichtsträchtigen Anlasses wenig am Anschein guter Nachbarschaft gelegen zu sein. Er geht voll in den Konflikt mit Deutschland - und mit der Europäischen Union. Das nervt Steinmeier sichtbar, auch wenn er sonst ganz Diplomat ist. Mehrfach spricht er den Gast mit „Kollege Duda“ an.
Steinmeier korrigiert Dudas Geschichtslektion
In der Einführung klingt Steinmeier noch wie ein Brückenbauer. Vor hundert Jahren errang Polen nach mehr als 120 Jahren der Aufteilung zwischen den damaligen Großmächten Österreich, Preußen und Russland seine Eigenstaatlichkeit wieder. Deutschland beendete 1918 die Monarchie und versuchte sich in Demokratie.
Duda ist weniger diplomatisch. Er schildert die aktuellen Beziehungen zur Europäischen Union so, als sei die EU nur eine neue Form von Fremdherrschaft nach den Polnischen Teilungen, dem Überfall Nazideutschlands auf Polen und der langen Zwangszugehörigkeit zum Ostblock. „Wir haben gegen die Teilungen aufbegehrt, wir haben die Eigenstaatlichkeit errungen. Das war wie ein Wunder. Wenn andere uns ihre Lösungen aufzwingen wollen, dann wehren wir uns – dann reagieren wir stur. Das Konzert der Großmächte endete immer schlecht für Polen.“
Steinmeier korrigiert diese Geschichtslektion, zunächst freundlich. Die EU sei ein freiwilliger Zusammenschluss und nicht nur eine Wirtschafts-, sondern auch eine Rechtsgemeinschaft, sagt er mit Blick auf die Bedenken der EU, dass Polens Justizreform die Rechtsstaatlichkeit in Frage stelle. „Niemand darf überrascht sein, dass europäische Gerichte zu innerstaatlichen Streitfragen Stellung nehmen“, erklärt er das Urteil des EuGH vom Freitag, dass Polen die Frühpensionierung hoher Richter aussetzen müsse. „Die Frage ist, ob wir Entscheidung europäischer Gerichte akzeptieren oder nicht.“
Proteste aus dem Publikum des Forums
Duda jedoch bleibt bei seiner Linie, Polen als Opfer europäischer Übergriffigkeit darzustellen. Er benutzt Argumente, die auf hörbaren Protest eines Gutteils der mehreren hundert Gäste des Forums treffen. Es habe doch Gründe, dass die Briten die EU verlassen wollen. „Die Briten lassen sich keine Fremdherrschaft gefallen“, sagt Duda. Ein kollektives Aufstöhnen - „Oh Neeeiiin!“ - ist die Antwort des deutschen Teils des Publikums sowie der vielen Polen, für die wohl eher der Kurs der PiS eine „Fremdherrschaft“ darstellt und die sich durch das Ergebnis der Kommunalwahlen am Sonntag ermutigt fühlen. Diese ablehnende Reaktion wiederholt sich, als Duda kurz darauf die EU-Vorgabe, dass nur noch energiesparende Leuchtmittel verkauft werden dürfen, als weiteren Beweis für EU-Diktate anführt.
Steinmeier widerspricht, nun unübersehbar genervt. Schon die Art, wie Duda die Pressekonferenz für die Forderung nach einem Aus für die Gaspipeline Nord Stream II instrumentalisiert hatte, hat ihn aufgebracht, hört man von Mitarbeitern. EU-Beschlüsse seien das Ergebnis der Absprache unter ihren Mitgliedern, sagt der Bundespräsident. Es gehe um die richtige Balance. „Wir brauchen die Wirtschaft, wir brauchen die Schwerindustrie, wir brauchen den Klimaschutz.“
Angeblich sind bis heute kommunistische Richter im Amt
Duda bleibt auf Konfrontationskurs. Die EU-Reaktion auf Polens Justizreform sei wieder so ein Eingriff, wo Polen nur „stur“ reagieren könne. Noch heute seien in Polen Richter im Amt, die vor 1989 an Unrechtsurteilen gegen Menschen beteiligt waren, die gegen die kommunistische Diktatur protestierten, behauptet er. Deshalb wünsche er einen „Generationswechsel“.
Auf die Frage aus dem Publikum, auf wie viele der 27 Richter das zutreffe, deren Wiedereinstellung der EuGH am Freitag verlangt hatte, geht Duda nicht ein. Und zum Hinweis, dass populäre Programme der staatlichen Medien wie der Radiosender „Trojka“ am Samstag nicht einmal über das Urteil des EuGH gegen Polen berichtet hatten, sagt Duda nur: „Ich unterdrücke keine Nachrichten.“ Der Saal antwortet mit Gelächter. Der Eingriff der PiS in die Unabhängigkeit des öffentlichen Rundfunks trifft schließlich ebenfalls auf Bedenken der EU.
Das Konzertprogramm zeigt ein anderes Polen
Am Abend beweist die Musik einmal mehr ihren völkerverbindenden Charakter. Die Konflikte vom Nachmittag, die Schreiduelle vor den Präsidentenreden rücken in den Hintergrund. Steinmeier nennt seinen Gast nun „mein Freund Andrzej Duda“. Und Polen beschenkt die deutschen Gastgeber mit einem grandiosen Programm.
Es zeigt ein Land, das seine komplizierte Geschichte in ihrer Vielfalt präsentiert, inklusive des jüdischen Komponisten Aleksander Tansman; das auf junge Talente setzt wie den 23-jährigen Klaviervirtuosen Szymon Nehring, der das Publikum mit Ignacy Jan Paderewskis Klavierkonzert a-moll begeistert. Und das offen ist für Begabungen aus anderen Kulturen wie die Geigerin Bomsori Kim, die Ovationen Henryk Wieniawskis Violinkonzert Nr. 2 d-moll erntet.