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Andreas Geisel (SPD), Senator für Inneres und Sport in Berlin, ist mit seinen Demoverboten vor Gericht gescheitert.
© Fabian Sommer/dpa

Verbot der Coronademos: Für einen Innensenator gilt die Meinungsfreiheit nur eingeschränkt

Andreas Geisel hat Demonstranten vom Wochenende pauschal als Rechtsextremisten bezeichnet - das war ein Fehler, womöglich sein einziger. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Im Wirbel um das Coronademo-Chaos vom Wochenende macht Berlins Innensenator eine ungute Figur. Weder die Demo selbst konnte er verhindern, noch die befremdlichen Exzesse vor dem Bundestag, die sich daran anschlossen; auch im Innenausschuss fällt ihm jetzt nichts Besseres ein, als für künftige Versammlungen per Verordnung eine Maskenpflicht festschreiben zu lassen. Eigene Fehler? Keine erkennbar.

Der Fehler passierte am 26. August, 10 Uhr 15

Dabei gibt es mindestens einen, und er ist bestens dokumentiert. Es ist ein Satz in der Pressemitteilung der Innenverwaltung vom 26. August, 10 Uhr 15, in der Andreas Geisel (SPD) seine Verbotsverfügung kommentiert: „Ich bin nicht bereit ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird.“

Geisel wurde daraufhin vorgeworfen, die Verbote aus politischen Motiven heraus verhängt zu haben. Das streitet er ab und sagt: „Ich beanspruche für mich aber auch das Recht auf freie Meinungsäußerung.“

Der Senator ist Träger eines öffentlichen Amts, das ihm Pflichten auferlegt

Eine Fehlannahme, die leider verbreitet ist. Der Senator ist Träger eines herausgehobenen Amts, das ihm Rechte gibt und Pflichten auferlegt. Ein Grundrecht auf Meinungsfreiheit, wie es Bürgerinnen und Bürgern oder auch Politikern zusteht, die kein öffentliches Amt bekleiden, ist damit gerade nicht verbunden.

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Spricht ein Senator als Senator, wie es mit der Pressemitteilung der Fall war, kann er sich nur auf seine Befugnisse zur amtlichen Öffentlichkeitsarbeit berufen. Die verlangen von ihm prinzipiell, auch wenn es schwerfällt, politische Neutralität. Geisels Amtskollege im Bund Horst Seehofer (CSU) hat das gerade erst vom Bundesverfassungsgericht eingebläut bekommen, und auch der Regierende Michael Müller schloss mit dem Problem schon Bekanntschaft, nachdem er per Twitter zu Anti-AfD-Demos ermutigt hatte.

Auch mit Worten kann man in ein Grundrecht eingreifen

Die Mitteilung vom 26. August stellt die geplanten Demonstrationen als „Bühne für Reichsbürger und Rechtsextremisten“ dar. Unabhängig von Geisels juristischem Vorgehen stellt er Anmelder und Teilnehmer hier unter einen Pauschalverdacht – darin liegt ein mindestens kritikwürdiger, wenn nicht ungerechtfertigter Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, weil er die Wahrnehmung dieses Rechts faktisch schon im Vorfeld erschwert.

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Schließlich möchten sich die mutmaßlich meisten Demonstranten vom Wochenende nicht von amtlicher Seite als Rechtsextremisten stigmatisieren lassen. Besonders schwer wiegt, dass Geisel seine Missachtung im direkten Zusammenhang mit der Verbotsverfügung kundgetan hat.

Geisel hatte sonst gute Gründe für ein Versammlungsverbot

Es wäre wünschenswert, wenn ein Innensenator in schwieriger Lage, wie Geisel in einer steckt, sich empfindlicher für solche weichen Formen grundrechtlicher Beeinträchtigungen zeigen würde. Das der Senator seinen umstrittenen Schritt nicht nur rechtlich, sondern auch politisch legitimieren will, ist verständlich. In einer amtlichen Mitteilung zu einem Demoverbot jedoch ist kein Platz dafür.

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Im Übrigen ist dem Senator kein ungesundes Verhältnis zu Grundrechten zu unterstellen. Er hatte und hat gute Gründe dafür, die Demonstrationen untersagt zu haben. Alle düsteren Prognosen haben sich bestätigt. Hätte er die Dinge einfach so geschehen lassen, wäre ihm erst recht zugerechnet worden, wie sie aus dem Ruder liefen.

Dass man die Frage der Rechtmäßigkeit eines Verbots auch nach etwas anderen Kriterien beurteilen kann, als sie die Berliner Justiz zugrunde gelegt hat, zeigt jetzt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur „Dauermahnwache“, die stärker den Gesundheitsschutz betont – und damit auch ein Grundrecht, das zählt.

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