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Innensenator Andreas Geisel (SPD) bei einer Pressekonferenz Anfang August. Er wird jetzt scharf für das Verbot der Corona-Proteste kritisiert.
© Wolfgang Krumm/dpa

Nach scharfer Kritik am Demonstrationsverbot: „Die Demonstranten haben sich an keine einzige Auflage gehalten“

Das Verbot der Corona-Proteste wird scharf kritisiert, eine Aussage von Innensenator Andreas Geisel taugt einigen zum Skandal. Im Interview verteidigt er sich.

Nach dem Verbot der Corona-Demonstrationen in Berlin gibt es heftige Kritik an der Entscheidung der Versammlungsbehörde, die Organisatoren haben Widerspruch dagegen eingelegt. Am Freitag entscheidet das Verwaltungsgericht darüber. Besonders eine Aussage von Innensenator Andreas Geisel (SPD) wird scharf kritisiert.

Geisel hatte das Verbot begrüßt und gesagt: „Ich bin nicht bereit ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird.“ Der Oppositionsführer im Abgeordnetenhaus, Burkard Dregger (CDU), kritisierte, damit habe der Innensenator die Begründung für die Aufhebung des Verbots gleich mitgeliefert. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel verteidigt der Innensenator die Entscheidung und seine Wortwahl.

Herr Geisel, ihre Versammlungsbehörde hat die Corona-Proteste am Wochenende verboten, weil Verstöße gegen den Infektionsschutz absehbar waren. Der Gesundheitsschutz der Bevölkerung steht demnach über dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit?
Die Versammlungsbehörde musste die schwierige Abwägung treffen zwischen Artikel 2 und 8 des Grundgesetzes: das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gegen das Recht auf Versammlungsfreiheit. Es wurde entschieden, dass Artikel 2 im aktuellen Verbotsfall überwiegt. Die geplante Versammlung hätte in nicht hinnehmbarer Weise in den Schutzbereich des Artikels 2 eingegriffen. Diese Entscheidung teile ich.

Warum wurde nicht entschieden, harte Auflagen zu erteilen und die Demonstrationen erst im Fall von Verstößen gegen diese Auflagen zu beenden?
Diese Entscheidung haben wir Anfang August getroffen. Was dabei herausgekommen ist, konnten wir alle mit bundesweitem Echo miterleben. Die Versammlungsteilnehmer haben sich an keine einzige Auflage gehalten: keinen Mund-Nasen-Schutz getragen, keinen Mindestabstand eingehalten.

Und dass, obwohl sie in den Vorab-Gesprächen mit der Polizei genau das zugesagt hatten. Wir mussten also davon ausgehen, dass die Demo vom 1. August die Blaupause war für die Demo am 29. August. Wenn wir den Infektionsschutz nicht durch Auflagen garantieren können, müssen wir ihn über ein Verbot durchsetzen.

Es gab scharfe Kritik an ihrem Satz „Ich bin nicht bereit ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird.“ Das erweckt den Anschein, sie hätten das Verbot aus politischen Gründen erwogen...
Klares Nein. Versammlungs- und Meinungsfreiheit gilt für alle. Ein Zitat in einer Pressemitteilung ist etwas anderes als eine Verbotsverfügung. Im Verbot der Versammlungsbehörde steht davon auch nichts. Diese bezieht sich auf das Versammlungsgesetz, das Grundgesetz, das Infektionsschutzgesetz und die Berliner Infektionsschutzverordnung.

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Ich beanspruche für mich aber auch das Recht auf freie Meinungsäußerung. Deswegen stehe ich zu diesem Zitat. Ich glaube, dass die Menschen von einem Politiker eine klare Haltung erwarten können. Diese Haltung habe ich zum Ausdruck bringen wollen.

Viele Demonstranten haben angekündigt, am Wochenende trotzdem zu kommen. Sie rufen zum „Sturm auf Berlin“ auf. Steht der Stadt durch die Absage nicht ein noch chaotischeres Wochenende bevor, als wenn die Demonstrationen regulär stattgefunden hätten?
Ich hoffe, dass die Menschen, die eventuell doch nach Berlin kommen werden, sich an die Regeln unserer demokratischen Gesellschaft halten werden: Das bedeutet ein friedliches, gewaltfreies, respektvolles und tolerantes Miteinander. Ich sehe die Gewaltaufrufe im Netz mit großer Sorge. Das Aggressionspotential war schon in den letzten Wochen bei den Mobilisierungen vor dem Verbot erkennbar. Wenn hier offen Umsturzphantasien geäußert werden, sollten wir Demokraten wachsam sein. Das hat mit Corona-Kritik nämlich nichts mehr zu tun.

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