Bundesverfassungsgericht urteilt: AfD siegt mit Klage gegen Seehofer-Interview
In einem Interview nennt Seehofer die AfD „staatszersetzend“ – und stellt den Wortlaut auf die Website des Innenministeriums. Die Partei klagt mit Erfolg.
Bundesinnenminister Horst Seehofer hätte ein Interview mit AfD-kritischen Äußerungen nicht auf der Internetseite seines Ministeriums veröffentlichen dürfen. Das entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am Dienstag in Karlsruhe verkündeten Urteil. Es gab damit einer Klage der Partei gegen den früheren CSU-Chef statt.
Der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen wertete das Urteil als Erfolg. „Wir sind froh und glücklich, es ist übrigens ein Beweis für einen funktionierenden Rechtsstaat, ein sehr guter Tag für die Alternative für Deutschland, ein sehr guter Tag vor allem aber für die Demokratie in Deutschland“, sagte Meuthen nach der Verkündung.
Zum Inhalt des Interviews sagte Meuthen: „Das, was Herr Seehofer da gemacht hat, war derbe Kritik. Aber wer viel austeilt, muss auch mal einstecken können.“ Er moniere nicht, dass Seehofer sich in der Sache kritisch äußere. Das sei politischer Wettbewerb. „Wichtig ist, dass hier nicht regierungsamtliche Ressourcen missbraucht werden. Das war der Kernpunkt des Verfahrens.“
Das Interview hatte der CSU-Politiker Seehofer im September 2018 der Deutschen Presse-Agentur gegeben. Unmittelbar davor hatte die AfD-Fraktion versucht, im Bundestag den Haushalt des Bundespräsidenten diskutieren zu lassen.
Ihr Vorwurf: Frank-Walter Steinmeier habe „für eine linksradikale Großveranstaltung“ geworben, indem er ein Konzert gegen Rassismus der zeitweilig vom Verfassungsschutz beobachteten Linkspunkband Feine Sahne Fischfilet unterstützt hatte.
Seehofer kommentierte das in dem Interview mit den Worten: „Das ist für unseren Staat hochgefährlich.“ Man könne nicht „wie auf dem Jahrmarkt den Bundespräsidenten abkanzeln“. „Das ist staatszersetzend.“ Außerdem sagte er: „Die stellen sich gegen diesen Staat. Da können sie tausendmal sagen, sie sind Demokraten.“ Später ließ er das Interview auf die Homepage seines Ministeriums stellen.
Politiker sollen außerhalb ihres Amtes am Meinungskampf teilnehmen
Nach Ansicht der Richter liegt darin eine Verletzung von Artikel 21 Grundgesetz, der den Parteien gleiche Chancen im politischen Wettbewerb garantieren soll. Der scheidende Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle sprach in der Urteilsverkündung von der "Erkenntnis", dass dieser Grundsatz immer dann verletzt sei, wenn "Inhaber eines Regierungsamtes die Autorität des Amtes und die mit ihm verbundenen staatlichen Mittel und Möglichkeiten" zulasten politischer Mitbewerber nutzten.
Dann ende die "Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung". Außerhalb der amtlichen Funktion könnten auch Regierungsmitglieder weiter am politischen Meinungskampf teilnehmen. Eine Äußerung erfolge aber dann in amtlicher Funktion, wenn sich ein Amtsinhaber offizieller Publikationen oder der amtlichen Internetseite bediene.
Der Fehler war die Veröffentlichung auf der Homepage
Dem Urteil zufolge ist Seehofer auf einem kommunikativem Grenzgang abgestürzt: Das dpa-Gespräch sei in der Gesamtschau dadurch gekennzeichnet, dass der Minister als Parteipolitiker auftritt - und insoweit auch politische Konkurrenten hart angehen dürfe, meinen die Richter.
Der Fehler war dann, das parteipolitisch geprägte Interview zu anderen Presse-Interviews auf die ministerielle Homepage zu stellen. Darin liege der von der Verfassung verbotene Rückgriff auf staatliche Ressourcen.
Eine Steilvorlage für die AfD
Das leichtfertige Handeln des Ministeriums war somit eine Steilvorlage für die AfD. Denn die Partei hatte in einem ganz ähnlichen Fall in Karlsruhe schon einmal erfolgreich gegen die damalige Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) geklagt.
Wanka hatte in der Flüchtlingskrise 2015 auf einen Demonstrationsaufruf der AfD mit der Parole „Rote Karte für Merkel!“ per Ministeriums-Pressemitteilung reagiert: „Die Rote Karte sollte der AfD und nicht der Bundeskanzlerin gezeigt werden.“
Bundesregierung ist zu Neutralität verpflichtet
Das ging den Verfassungsrichtern schon damals zu weit. Damit alle Parteien die gleichen Chancen hätten, seien Mitglieder der Bundesregierung zu Neutralität verpflichtet, urteilten sie 2018. Minister dürfen sich demnach mit Kritik an ihren Maßnahmen und Vorhaben zwar sachlich auseinandersetzen. Ein „Recht auf Gegenschlag“ haben sie aber nicht.
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In der Karlsruher Verhandlung im Februar hatte sich abgezeichnet, dass der Zweite Senat von Andreas Voßkuhle die Causa Seehofer nicht viel anders beurteilen dürfte. Die Richter hinterfragten sehr kritisch, ob derartige Äußerungen nicht auf anderen Kanälen verbreitet werden könnten. In ihrem Urteil bekräftigten die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats nun ihre in den früheren Entscheidungen gebildeten Grundsätze.
Gauland: Das war kein Ausrutscher
AfD-Fraktionschef Alexander Gauland hatte am Rande der Verhandlung gesagt, Seehofer habe sich eben nicht im Bierzelt einen Ausrutscher geleistet. „Wenn ich auf der Internetseite eines Ministeriums etwas veröffentliche, dann sieht es so aus, als ob es die staatliche Amtsautorität ist und dass die Beschimpfung der AfD dann sozusagen schon Teil des Staates ist. Und genau das geht nicht.“
Seehofer hatte sich, wie auch jetzt bei der Urteilsverkündung, seinerzeit von seinem Parlamentarischen Staatssekretär Günter Krings (CDU) vertreten lassen. Dieser hatte die Äußerungen als zugegebenermaßen „zugespitzt“ bezeichnet. Der Ton in der Politik sei aber deutlich rauer geworden. Eine Reaktion müsse möglich sein. (mit dpa)