Mehr westliche als chinesische Investitionen: Die Angst vor Chinas Neuer Seidenstraße ist unbegründet
Experten fürchten, dass China sich mit Investitionen im Ausland Macht erkauft. Dabei stellen westliche Staaten den betreffenden Staaten sogar noch mehr Geld.
Der Tenor in den Medien ist seit Monaten ähnlich. „China kauft den Balkan“ titelte im April wenig sachlich die "ARD", "n-tv" sprach im Januar von „Chinas Kolonialismus“ und das „Handelsblatt“ fragte im März „Wie gefährlich ist die neue Seidenstraße?“. All diese Berichte eint die Sorge, China würde sich mit Investitionen im Ausland Macht erkaufen. Die Bertelsmann-Stiftung nennt die Debatte über die chinesische Investitionspolitik im Ausland in einer am Montag vorgestellten Studie „kritisch bis im Tonfall ängstlich“. Und kommt ein paar Zeilen weiter aber zu dem Schluss, dass diese Wahrnehmung unberechtigt ist. Denn die Gegenüberstellung der Bertelsmann-Forscher hat ergeben, dass insgesamt mehr westliche als chinesische Gelder in die betreffenden Länder fließen.
Aus westlichen Ländern flossen demnach zwischen 2013 und 2017 insgesamt rund 290 Milliarden Dollar (rund 263 Milliarden Euro) in die untersuchten Länder der „Neuen Seidenstraße“. Aus China kamen in diesem Zeitraum rund 285 Milliarden Dollar. Untersucht wurden Investitionen in 25 Schwellenländer in Zentralasien und Afrika. Diese Staaten umfassen laut Bertelsmann-Stiftung die wichtigsten Handelspartner Chinas, zu weiteren Ländern sei die Datenlage zudem nicht gut genug gewesen. Als „westliche“ Länder gelten die von der OECD als Geberländer geführten rund 30 Staaten, darunter mehrere EU-Länder wie Deutschland, die USA und Kanada.
So sind auch in den direkten Nachbarländern Chinas häufig mehr westliche Gelder im Einsatz. Länder wie Vietnam, Myanmar, Bhutan oder Indien profitieren demnach deutlich mehr von Geldern der OECD-Staaten und der Weltbank als aus China. Insgesamt erhalten 16 der 25 betrachteten Staaten mehr westliche als chinesische Gelder erhalten. Sehr viel mehr Geld aus der Volksrepublik haben Kasachstan, Pakistan und Laos bekommen.
Eine Frage der Kommunikation
2013 hat die chinesische Regierung von Präsident Xi Jinping das Projekt „Neue Seidenstraße“ ins Leben gerufen. Orientiert an historischen Routen von Ostasien, über Zentralasien bis zum Mittelmeer will die Volksrepublik Handelswege nach Europa ebnen. Zu diesem Zweck investiert China Milliarden ins Infrastrukturprojekte in den betreffenden Ländern. Kritiker befürchten, dass die Volksrepublik auf diesem Wege Abhängigkeiten verursacht und ihren Einfluss im Ausland vergrößert. Die Sorge in den westlichen Medien ist in dieser Annahme begründet. Durch die Aufnahme der Initiative in die Verfassungsstatuten der Kommunistischen Partei Chinas hat die politische Führungsmannschaft um Xi ihr politisches Schicksal mit dem Erfolg dieser Initiative verschmolzen.
Für Bernhard Bartsch, Asien-Experte der Bertelsmann Stiftung, zeigen die neuen Zahlen, dass westliche Staaten Chinas Investitionen nicht fürchten müssen. Es sei zu großen Teilen eine Frage der Kommunikation. „Der Westen verkauft sein Engagement unter Wert“, meint Bartsch. „Wir können von China lernen, wie man sich als guter Partner für die Entwicklung darstellt.“ Besonders die EU könne „selbstbewusster als Partner in Schwellenländern auftreten“, heißt es weiter in der Studie. Dabei müsse Europa gar keine „prinzipielle Gegenposition zu China“ beziehen, sondern könne vielmehr auf ähnliche Ziele verweisen und vor Ort Kräfte bündeln.
Allerdings attestiert auch die Bertelsmann-Stiftung der Volksrepublik andere Hintergrundgedanken. Während die Struktur der Finanzleistungen aus den westlichen Geberländern „ einen klaren entwicklungspolitischen Charakter aufweisen“, dominiere bei den chinesischen Finanzströmen „offensichtlich ein ökonomisches Kalkül“.
Doch ebenso wie westliche Institutionen investiert China demnach am meisten in Länder mit demokratischen Herrschaftsstrukturen. Trotzdem solle Europa, so empfiehlt es die Bertelsmann-Studie, darauf hinarbeiten, „in Drittländern Standards zu setzen, die dann auch für chinesische Finanzierungen gelten“.
Ungarn nutzt Chinas Geld als Druckmittel
Auch Chinas Investitionen in Europa wurden in der Studie untersucht. So profitiert etwa der EU-Beitrittskandidat Serbien, der diverse Infrastrukturprojekte mit chinesischer Hilfe finanzieren will, insgesamt dennoch mehr von westlichem Geld, so die Bertelsmann-Ergebnisse.
Auffällig ist dabei aber, dass die Gelder der westlichen Institutionen kontinuierlich fließen. Zwischen 2013 und 2017 lag die in die Seidenstraßen-Regionen investierte Summe immer bei leicht über 50 Milliarden Dollar pro Jahr. China hingegen investierte 2015 sogar über 120 Milliarden Dollar ins Ausland, ein Jahr später immerhin noch über 90 Milliarden. In den anderen drei betrachteten Jahren waren es allerdings deutlich unter 50 Milliarden.
Sogar innerhalb der EU ist das Kapital aus China in einigen Ländern ein gern gesehenes Druckmittel. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban etwa träumt davon, Ungarn als Ende der Seidenstraße zum Drehkreuz Chinas in Europa zu machen und damit unabhängiger von der EU zu werden. Diese Drohung fußt laut der Bertelsmann-Studie jedoch bislang zumindest kaum auf konkreten Zahlen. Denn zwischen 2013 und 2017 hat Ungarn demnach über 12 Milliarden Dollar an westlichen Geldern erhalten, die Summe aus China lag hingegen weit unter einer Milliarde. Allein aus der EU kamen Gelder in Höhe von 5,6 Prozent des ungarischen Staatshaushalts.
Auch hier trat also das Phänomen zu Tage, dass chinesische Investitionen in der Öffentlichkeit weitaus stärker wahrgenommen werden als westliche. Allerdings deutete sich 2017 tatsächlich eine Trendwende an. In diesem Jahr zogen westliche Investoren über zwei Milliarden Dollar aus Ungarn ab. China erhöhte seine Investitionen im Gegenzug. Trotz des aktuellen Ungleichgewichts zugunsten westlicher Investitionen halten die Studienautoren es deshalb für denkbar, dass China die EU tatsächlich als wichtiger Investitionspartner ersetzt, sollten sich Brüssel Finanztransfers aussetzen.