zum Hauptinhalt
Geht der Plan von Angela Merkel auf - oder scheitert ihre Idee eines Pakts mit der Türkei?
© dpa

Streit um Visafreiheit mit der Türkei: Für Angela Merkel steht sehr viel auf dem Spiel

Im Konflikt mit der Türkei zeichnet sich keine Lösung ab. Ohne Visafreiheit kein Flüchtlingsdeal, heißt es – was würde ein Scheitern für die Bundeskanzlerin bedeuten?

Die Nachfrage kam von Norbert Lammert. Was das denn bedeute, wollte der Bundestagspräsident am Dienstag in der Sitzung der Unionsfraktion vom Kollegen Innenminister wissen, wenn der türkische Präsident die Bedingungen der EU für Visafreiheit nicht erfüllen wolle? Thomas de Maizière redete nicht lange um den heißen Brei herum. Das sei anders vereinbart, und Verträge seien einzuhalten: „Wenn nicht, dann wird es keine Visafreiheit geben.“ Die nächsten zwei Fragen hat keiner laut, aber wahrscheinlich jeder im Stillen sich selbst gestellt: Was bliebe denn dann vom Flüchtlingsabkommen – und was von Angela Merkel?

Dass ein Scheitern der Vereinbarung zwischen Europäern und Türken ein schwerer Schlag für die Kanzlerin wäre, darin sind sich ihre Gefolgsleute mit ihren Gegnern einig. Merkel hat in ihren Weg, die Flüchtlingskrise zu lösen, zu viel politisches Kapital investiert und damit in Deutschland wie in Europa zu viele erbost, als dass sie einfach zur Tagesordnung übergehen könnte. Vom linken Kritiker des Flüchtlingstauschs bis zum rechten Freund der Zäune sähe jeder seine Warnungen bestätigt.

Dazu käme der Imageschaden. Merkel zieht ihr Ansehen zu großen Teilen aus dem Ruf der erfolgreichen Krisenmanagerin. Seit die Flüchtlingsfrage auch die eigenen Reihen spaltet, steht dieser Ruf zur Bewährung. Das Zerwürfnis mit der CSU in Kauf genommen, die Wahlerfolge der AfD, die Niederlagen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, die bitteren Konflikte in Europa – und das alles nur, um sich am Ende von Erdogan düpieren zu lassen? Vom Vertrauen in Merkels Staatskunst bliebe wohl nicht viel.

Wie wahrscheinlich ein solches Extremszenario ist, mit neuen Massenfluchten per Schlauchboot über die Ägäis, steht auf einem anderen Blatt. Erdogan hat schon während der Verhandlungen mit Brüssel wüste Drohungen ausgestoßen, ohne dass die Sache daran scheiterte. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Ratschef Donald Tusk etwa mussten sich im vorigen November anhören, er könne die Flüchtlinge auch in Bussen nach Europa schicken, wenn die Europäer nicht spurten. Bei öffentlichen Auftritten pflegt Erdogan erst recht das Bild vom Kraft- und Machtprotz.

Das macht einerseits die Einschätzung schwierig, wie viel davon bloß Imponiergestus für die eigenen Anhänger ist. Andererseits zeigt eben die Erfahrung, dass auf Kriegserklärungen aus dem Prunkpalast in Ankara nicht automatisch Krieg folgt. Erdogan mag ehrpusselig sein, impulsiv und laut; aber man kann mit ihm reden. Notfalls muss das halt jemand von Macho zu Macho übernehmen. Als in der Nato einmal eine wichtige Personalentscheidung an Erdogans Zustimmung hing, schickten die Regierungschefs den Italiener Silvio Berlusconi vor.

In Berlin gilt: Ruhe bewahren

In Berlin gilt jedenfalls schon lange die Regel, im Umgang mit dem schwierigen Partner geduldig zu bleiben, das direkte Gespräch zu suchen, nicht besserwisserisch aufzutreten, aber immer wieder darauf hinzuweisen, dass das Flüchtlingsabkommen zum gegenseitigen Nutzen sei. Der Präsident könne schließlich nicht wollen, dass aus der Reisefreiheit nichts wird, die er seinen Bürgern versprochen hat. Auch Erdogans Wählern ist die Frage, ob sie problemlos die Verwandtschaft in Berlin und Duisburg besuchen können, deutlich näher als Details der heimischen „Anti-Terror“-Gesetzgebung.

Dass die EU auf deren Änderung als einem zentralen Punkt ihrer 72 Vorbedingungen verzichtet, gilt auch in Berlin derzeit als ausgeschlossen. Die CSU weist schon darauf hin, dass dieser Katalog für alle Staaten gleich sei, denen die Gemeinschaft Visafreiheit einräume – ein spezieller Türkei-Rabatt komme nicht in Frage. CSU-Chef Horst Seehofer hat am Mittwoch in Berlin vorsorglich seine Skepsis gegen die Türkei-Abmachung bekräftigt und den EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz sehr dafür gelobt, dass er der Türkei mit einem Veto gegen die Visafreiheit droht.

Ob ein Kompromiss möglich ist, bei dem beide Seiten ihr Gesicht wahren – schwer zu sagen unter so angespannten Umständen. Bloße Formelkompromisse würden auffallen. In Berlin ist aber genau registriert worden, dass Erdogan den Sommertermin für die Visafreiheit von sich aus zur Disposition gestellt hat und wieder auf das ursprüngliche Zieldatum Herbst verweist. Das könnte bedeuten, hoffen manche, dass er nach der Entmachtung des einstigen Gefolgsmanns Ahmet Davutoglu Zeit gewinnen will, damit sich ein Nachfolger oder er selbst die Trophäe anheften kann.

Zur Startseite