Türkei und Visafreiheit: Die EU darf ihre Prinzipien nicht über Bord werfen
Die Visafreiheit für Türken ist grundsätzlich richtig, aber noch hat Ankara nicht alle Kriterien erfüllt. Auf einen Punkt kommt es besonders an. Ein Kommentar.
Es hat sich einiges getan, seit die EU und die Türkei Mitte März in Brüssel ihren Flüchtlingsdeal geschlossen haben. Die Flüchtlingszahlen in der Ägäis sind tatsächlich zurückgegangen. Ankara hat Wort gehalten mit der Zusage, den Zustrom der Flüchtlinge Richtung Europa einzudämmen. Jetzt ist es an der EU, ihren Teil der Brüsseler Vereinbarung zu erfüllen und den Bürgern der Türkei Visafreiheit zu erteilen.
Allerdings dürfen die Europäer ihre eigenen Prinzipien dabei nicht über Bord werfen. Das gilt gerade jetzt, wo sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan anschickt, seine Macht in der Türkei noch weiter auszubauen.
Gegen die Visafreiheit für türkische Bürger ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Zum einen dürfte die Sorge, dass nun massenhaft verfolgte Kurden die neue Freiheit nutzen werden, um in Europa Asyl zu beantragen, überzogen sein. Und zum anderen geht es lediglich darum, türkischen Bürgern Reiseerleichterungen zu gewähren.
Das hat nichts mit einem dauerhaften Aufenthaltsstatus oder einer Niederlassungsfreiheit zu tun. Kritiker, die nun von einer Visafreiheit für die Türken nichts mehr wissen wollen, sollten sich zudem vor Augen führen, dass die Europäische Union dieses Projekt keineswegs aus dem Hut gezaubert hat. Das Ende des Visumszwangs war ohnehin geplant – allerdings erst für für den kommenden Oktober und nicht für Ende Juni, wie es sich jetzt abzeichnet.
Bedenklich stimmt allerdings die Art und Weise, mit der die EU-Kommission Tempo macht, um die Visafreiheit in den nächsten Wochen unter Dach und Fach zu bringen und damit Erdogan zu einem innenpolitischen Prestigegewinn zu verhelfen. Aus Angst, dass die Türkei die Flüchtlingsvereinbarung mit der EU wieder kippen könnte, hat Brüssel nun grundsätzlich grünes Licht für die Visafreiheit zum Ende des kommenden Monats gegeben - und zwar ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da die Türkei mit dem angekündigten Rückzug von Ahmet Davutoglu vom Amt des Premierministers einer Autokratie weiter einen Schritt näher rückt.
Ankara hat sich durchaus bewegt
Zur Bilanz der vergangenen Wochen gehört zwar durchaus die Tatsache, dass sich Ankara bei der Erfüllung der Kriterien durchaus bewegt hat. So hat Erdogan die Kröte geschluckt, dass auch griechische Zyprer demnächst bei der Einreise in die Türkei kein Visum beantragen müssen.
Den größten Brocken muss Erdogan aber noch aus dem Weg räumen – nämlich eine Anpassung der Anti-Terror-Gesetzgebung, unter der vor allem Kurden zu leiden haben, an die europäischen Standards. Fest steht, dass sich die EU-Staaten und das Europaparlament, die am Ende ihr Urteil über den tatsächlichen Fortschritt der Türkei abgeben müssen, sich gerade diesen Punkt sehr genau anschauen werden.
Einen Rabatt darf es bei der Erteilung der Visafreiheit für die Türkei gerade jetzt nicht geben – auch wenn nicht zuletzt Bundeskanzlerin Angela Merkel politisch auf das Wohlwollen Erdogans in der Flüchtlingskrise angewiesen ist.