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Die designierte SPD-Vorsitzende Andrea Nahles.
© REUTERS

Künftige SPD-Chefin: Für Andrea Nahles heißt es: Alles oder nichts

Die künftige SPD-Chefin Andrea Nahles wirkt plötzlich sehr souverän – doch ihr Aufstieg kann jäh enden.

Ganze 48 Stunden ist sie nun schon auf den Beinen, doch von Müdigkeit ist nichts zu merken. Im dunkelblauen Blazer sitzt Andrea Nahles am Mittwochabend in einem ZDF-Fernsehstudio. „Was nun, Frau Nahles?“, heißt die Sendung. Es ist die große Frage, die sie als künftige SPD-Vorsitzende beantworten muss, nun da die Koalitionsverhandlungen endlich abgeschlossen sind. Alles hängt jetzt am Mitgliederentscheid in ihrer Partei. Was, wenn das nicht klappt? Nahles wirkt souverän wie selten zuvor, heiter sogar. „Ich trau’ uns das zu“, sagt sie. „Dass wir das auf Basis dieses Koalitionsvertrages auf jeden Fall schaffen.“ Und wenn es nur ein knappes Ja wird? „Ein knappes Ja ist ein Ja“, erwidert Nahles nur. Hier lässt sie sich nicht in die Ecke drängen.

Die 47-Jährige wirkt in diesen Tagen wie gedopt. Die Aussicht auf den Parteivorsitz scheint sie noch einmal zusätzlich anzutreiben. Wer Nahles kennt, den wundert das nicht. Als Abiturientin hat sie Kanzlerin oder Hausfrau als Berufswunsch angegeben. Seit Montag ist klar: Mit der Hausfrau wird das so schnell nichts. Dafür sind die Chancen, eines Tages Kanzlerin zu werden, auf einmal drastisch gestiegen.

Als künftige SPD-Chefin steht ihr formal das Recht des ersten Zugriffs auf die Kanzlerkandidatur im Jahr 2021 zu. Ob sie es in Anspruch nehmen kann, oder ob sie womöglich dem designierten Vizekanzler Olaf Scholz den Vortritt überlassen muss, hängt auch davon ab, wie sich ihre Beliebtheitswerte entwickeln. Die Wähler sind oft ein wenig genervt, wenn die Frau mit der lauten, kratzigen Stimme im Fernsehen auftaucht, etwas Ungestümes haftet der ehemaligen Juso-Vorsitzenden noch immer an. Doch Nahles arbeitet an ihrem Image, und bis auf ein verschmitztes Lächeln wirkt sie an diesem Abend im ZDF schon fast staatstragend.

Ein Nein zur Groko würde Nahles kaum überleben

Der Aufstieg der Frau aus der Eifel könnte aber auch jäh gestoppt werden. Dann nämlich, wenn sich eine Mehrheit der Sozialdemokraten beim bevorstehenden Mitgliederentscheid gegen den Gang in die Groko entscheidet. Nahles’ Optimismus, was die Abstimmung betrifft, steckt auf wackeligen Füßen. Mehr als 24 000 neue Mitglieder sind in diesem Jahr in die Partei eingetreten, das sind immerhin fünf Prozent der mittlerweile mehr als 460 000 Mitglieder. Schon beim Sonderparteitag in Bonn waren die Delegierten in der Frage gespalten, ob es Koalitionsverhandlungen geben soll. Sieht es bei den Mitgliedern im Hinblick auf die Groko genauso aus, könnten die Neueintritte das Zünglein an der Waage sein. Und ein Nein zum Bündnis mit Angela Merkel und der Union würden sowohl Nahles als auch der Rest der SPD-Führung kaum überleben.

Nahles muss deshalb jetzt die Werbetrommel rühren. Am 4. März wird das Ergebnis des Mitgliederentscheids bekannt gegeben. Gemeinsam mit Martin Schulz wird sie an den Wochenenden davor auf Regionalkonferenzen sprechen. Läuft es wie auf dem vergangenen Parteitag, dann wird es Nahles sein und nicht Schulz, die die Genossen am Ende mitreißt.

Die Position des scheidenden Parteichefs hat sich seit Bonn stetig verschlechtert. Sein Wechsel vom Parteivorsitz ins Auswärtige Amt kommt bei vielen Genossen an der Basis gar nicht gut an. Die SPD-Führung muss befürchten, dass sich Schulz’ Wortbruch noch als schweres Hindernis erweisen wird. Er hatte nach der Wahl nämlich klipp und klar gesagt: „In eine Regierung Merkel werde ich nie eintreten.“

„Die Basis hat kein Verständnis für den Wortbruch“

Wie umstritten Schulz’ Wechsel in der SPD ist, zeigte sich schon am Mittwoch am Ende des Groko-Verhandlungsmarathons. In der 35-köpfigen SPD-Delegation machte SPD-Vize Ralf Stegner seinem Unmut über den abrupten Wechsel an der Parteispitze Luft. Der Wortführer der Parteilinken fürchtet, die öffentlichen Personaldebatten könnten sich beim Mitgliederentscheid rächen.

Auch im Parteivorstand wurde Kritik laut. Etwa von Sachsens Landeschef Martin Dulig. Er appellierte direkt an Schulz, dieser möge sich das mit dem Außenministerposten doch noch mal überlegen. Bei der anschließenden Sitzung der Bundestagsfraktion am Abend im Reichstag wurde es nicht besser: Wie Teilnehmer berichten, habe hier ein Dutzend Abgeordneter harte Kritik an der Entscheidung von Schulz geäußert. Dabei sei etwa von dem Finanzpolitiker Bernhard Daldrup die Frage aufgeworfen worden, ob es klug sei, Außenminister Sigmar Gabriel, den derzeit beliebtesten SPD-Politiker, im Amt abzulösen.

Ein langjähriger SPD-Abgeordneter fasste die Stimmung danach so zusammen: „Unsere Leute merken, dass die Basis kein Verständnis für den Wortbruch hat – und die Bevölkerung auch nicht.“ Schulz soll die mehr als zweistündige Debatte sehr mitgenommen haben.

Der künftige SPD-Chefin Andrea Nahles sind solche Debatten gar nicht recht. Sie muss ihre Energie jetzt auf den Mitgliederentscheid konzentrieren. Am Donnerstag stieg sie aber erst einmal ins Flugzeug gen Westen. Sie hatte zu Hause zu tun. In ihrem Heimatdorf Weiler in der Vordereifel wurde Weiberfastnacht gefeiert. Für Andrea Nahles selbst nach dem Berliner Verhandlungsmarathon ein Pflichttermin.

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