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Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD).
© Martin Schutt/dpa

Thüringen: Flüchtlingsrat wirft Erfurts SPD-Oberbürgermeister raus

Thüringens SPD-Chef Andreas Bausewein forderte 2015, Schulpflicht von Flüchtlingskindern teilweise auszusetzen. Er fürchtete Proteste wie in Heidenau. Helfer ziehen nun mit Verspätung Konsequenzen.

Es war eine heftige Kontroverse in der Flüchtlingspolitik: Im Sommer 2015 hatte der Oberbürgermeister von Erfurt, Andreas Bausewein, gefordert, die "Gesetzlichkeit zur Schulpflicht" bei Kindern von Flüchtlingen zu ändern, die nach einem Aufenthalt von drei Monaten gilt. In einem Offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) schrieb Bausewein, der auch SPD-Chef in Thüringen ist, die Schulpflicht solle ausgesetzt werden, bis der Aufenthaltsstatus der Eltern feststehe. Bei laufenden Verfahren solle es keine Schulpflicht mehr geben, nicht "jedenfalls für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern".

Nun hatte der damals heiß diskutierte Vorgang - Bausewein wurde nicht nur von den kommunalen Spitzenverbänden kritisiert, sondern auch von dem damaligen SPD-Chef Sigmar Gabriel - ein spätes Nachspiel. Der Flüchtlingsrat Thüringen schloss Bausewein in einer Sitzung am vergangen Freitag aus, wie nun bekannt wurde. 31 Mitglieder stimmten für den Rauswurf, vier waren dagegen und zehn enthielten sich - die für den Rauswurf notwendige Zweidrittelmehrheit wurde damit erreicht.

Dass der Flüchtlingsrat so spät reagiert, hat auch mit den Regularien des Vereins zu tun, in dem unter anderem Parteivertreter von Linken, SPD und Grünen, Kirchenleute, Mediziner und Engagierte in der Flüchtlingsarbeit organisiert sind. Die Mitgliederversammlung trifft sich nur einmal im Jahr. 2016 hatte sie den Vorstand beauftragt, erst das Gespräch mit Bausewein zu suchen und mit der Kritik zu konfrontieren. Doch das hatte nach Darstellung des Flüchtlingsrats keinen Erfolg.

Der Mitgliederversammlung 2017 lag ein "Protokoll des Verlaufs der Kontaktaufnahme zu Mitglied Andreas Bausewein von Okt. 2015 bis Mai 2017" vor. Bausewein habe mit seinem Offenen Brief, aber "auch durch Entscheidungen und Äußerungen etwa betreffend den Winterabschiebestopp" den "elementaren Vereinsinteressen" zuwider gehandelt, stellt der Verein fest. Detailliert wird aufgeführt, wie über Monate zahlreiche Versuche der Kontaktaufnahme zu Bausewein scheiterten. Das Protokoll des Flüchtlingsrats liegt dem Tagesspiegel vor.

Bausewein: Ich lasse mich vor keine Tribunale vorladen

Bausewein selbst verteidigte sein Vorgehen. "Ich lasse mich vor keine Tribunale vorladen. Diesen Eindruck hatte ich ein bisschen", sagte er "Spiegel online". Dem MDR sagte der SPD-Politiker: "Ich habe mir in der Flüchtlingspolitik nichts vorzuwerfen. Kein Flüchtling hat in Erfurt auf der Straße oder im Zelt schlafen müssen. Es gab keine schweren Übergriffe."

Der Erfurter Oberbürgermeister hatte 2015 in dem Offenen Brief an Merkel und Ramelow argumentiert, die Stimmung in der Bevölkerung drohe zu kippen. Er wolle "kein weiteres ,Heidenau' – weder in Erfurt noch in einer anderen Stadt – haben". In den Sprachklassen gebe es einen ständigen Wechsel, monierte Bausewein. Die Kapazitäten der Schulen seien ausgereizt. Sein Vorstoß zielte damals vor allem auf Asylbewerber aus den Balkanstaaten. Nach der heftigen Kritik relativierte er seine Aussagen. Er habe sich missverständlich ausgedrückt, sagte er. Und versicherte: "Ich stelle das Recht von Flüchtlingskindern auf Schulbesuch nicht infrage."

Der Rauswurf von Bausewein aus dem Flüchtlingsrat wird in Thüringen kontrovers diskutiert. Thüringens Staatskanzleichef Benjamin-Immanuel Hoff twitterte: "Fehler! Statt Kontroverse mit OB Bausewein auszuhalten mit Ausschluss zu reagieren, spricht nicht für Flüchtlingsrat Thüringen."

Hoffs Parteifreund Christian Schaft, Landtagsabgeordneter und Beisitzer im Vorstand des Flüchtlingsrats, hält den Ausschluss Bauseweins dagegen für "gerechtfertigt" und "aus der Sicht des Vereins nachvollziehbar". Zwar habe sich der SPD-Politiker in Erfurt einerseits darum bemüht, dass Flüchtlinge nicht in Zelten untergebracht werden müssen. Andererseits habe er mit seinen Äußerungen etwa zur Schulpflicht missachtet, dass es in der Debatte zur Flüchtlingspolitik "klarer Zeichen gegen Rechts bedurft" hätte.

Ähnlich sehen das die thüringischen Grünen-Landtagsabgeordneten Madeleine Henfling und Astrid Rothe-Beinlich - beide bescheinigen der Landeshauptstadt eine "relative gute" Flüchtlingspolitik. Rothe-Beinlich sagte dem Tagesspiegel: "Der Flüchtlingsrat hat sich sehr bemüht um ein Gespräch. Ich hätte mir gewünscht, wenn es dazu gekommen wäre." Henfling wirft Bausewein vor, er habe "ausgerechnet in einer Zeit, in der es politisch eh schon schwierig war, Debatten befeuert, die gegen Flüchtlinge gerichtet waren".

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