Aussetzung der Schulpflicht bei Kindern von Asylbewerbern?: Kommunen lehnen Vorschlag von Andreas Bausewein ab
Der Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein will die Schulpflicht von Asylbewerberkindern aussetzen. Das kommt nicht gut an. Seine anderen Forderungen aber finden Unterstützung.
Die Forderung des Erfurter Oberbürgermeisters Andreas Bausewein, die Schulpflicht bei Kindern von Asylbewerbern auszusetzen, kommt bei den Kommunalverbänden nicht gut an. Kay Ruge, Beigeordneter beim Landkreistag, sagte dem Tagesspiegel: „Eine Aufhebung der Schulpflicht für Kinder von Asylbewerbern würde die Integration von Flüchtlingen nur noch weiter erschweren.“ Die Kommunen stünden vor großen Herausforderungen, was die Aufnahme von Zuwanderern anbelangt. „Da ist es ein wichtiger Baustein, dass Kinder miteinander in Kontakt kommen. Die Schule ist sehr wichtig, wenn es darum geht, sich einzuleben, Vorurteile abzubauen und die deutsche Sprache zu erlernen. Auf die Schule als Ort der Integration können und dürfen wir nicht verzichten.“
Auch der Städte- und Gemeindebund will sich Bauseweins Forderung nicht zu eigen machen. Dessen Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg bezeichnete den Vorschlag des Thüringer Sozialdemokraten als „nicht zielführend“. Die Bildung und Betreuung der Kinder sei ein unverzichtbarer Schlüssel zur Integration. „Wenn wir hier erfolgreich sind, wird sich das auf unser Land positiv auswirken. Notwendig sind zusätzliche Erzieherinnen und Erzieher sowie bauliche Veränderungen an den Schulen und Kindergärten“, sagte Landsberg der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Man müsse schon direkt nach der Ankunft mit integrativen Maßnahmen beginnen, etwa mit der Sprachförderung. "Aus unserer Sicht sollte es Auffang- und Willkommensklassen geben, in denen die häufig traumatisierten Kinder gut und umfassend betreut werden", fuhr Landsberg fort. Unterstützung aus dem KReis der Oberbürgermeister anderer größerer Städte erfuhr Bausewein nicht.
Offener Brief
In einem Offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hatte das Erfurter Stadtoberhaupt am Dienstag gefordert, die "Gesetzlichkeit zur Schulpflicht" bei Kindern von Flüchtlingen zu ändern. Sie gilt bisher nach einem Aufenthalt von drei Monaten. Diese solle ausgesetzt werden, bis der Aufenthaltsstatus der Eltern feststehe. Bei laufenden Verfahren solle es keine Schulpflicht mehr geben, "jedenfalls für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern". Das zielt vor allem auf Familien aus Balkanstaaten, die in der Regel keinen Asylstatus bekommen. Daher herrsche in den Sprachklassen ein ständiger Wechsel, monierte Bausewein. Die Kapazitäten der Schulen seien ausgereizt.
Mittlerweile hat sich Bausewein korrigiert. Er habe sich missverständlich ausgedrückt, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Ich stelle das Recht von Flüchtlingskindern auf Schulbesuch nicht infrage.“ Ihm gehe es vor allem darum, dass Asylverfahren wie von der Bundesregierung angekündigt endlich beschleunigt würden, damit es nicht wie derzeit zu einem Kommen und Gehen von Kindern in den Sprachklassen komme. Im Idealfall sollte der Aufenthaltsstatus von Asylbewerbern mit Kindern klar sein, bevor die Kinder nach dreimonatigem Aufenthalt in Deutschland einen Anspruch auf Schulbesuch hätten. „Es hängt ganz viel von der Dauer der Verfahren ab.“ Kinder, von denen man wisse, dass sie nicht bleiben dürften, in Schulen zu integrieren, sei nur eine Schein-Integration. „Die Kinder werden heimisch, finden Freunde und müssen wieder gehen. Das ist doppelt schlimm. Man nährt Hoffnung, wo keine ist.“ Unter Pädagogen wird Bauseweins Forderung nicht geteilt.
Gabriel weist Vorstoß zurück
Dass Bausewein zumindest ein bisschen zurückrudert, hängt wohl auch mit der Reaktion seines Parteichefs zusammen. Sigmar Gabriel hält den Vorschlag aus Erfurt nämlich für "absolut falsch". Er habe keine Chance auf Realisierung. So der knappe Kommentar des Vizekanzlers. Allerdings hält Gabriel seinem Parteifreund zugute, dass er es wohl gut gemeint hat. Er sei Ausdruck der Überforderung der Kommunen. Deren Grundforderungen hat Bausewein in seinem Offenen Brief nochmals thematisiert: beschleunigte Verfahren bei aussichtslosen Bewerbern, zügigere Ausreise, keine Verteilung dieser Gruppe auf die Kommunen. Und natürlich geht es den Kommunen ums Geld, denn die wachsende Zahl der Flüchtlinge verursacht steigende Kosten, selbst wenn chancenlose Bewerber gar nicht erst über die von den Ländern finanzierten Erstaufnahmestellen hinausgelangen. Die Kommunen als Schulträger wollten eine „auskömmliche Finanzierung“ der Lasten auch im Schulbereich durch Bund und Länder, heißt es beim Städte und Gemeindebund. Wenn die von den Kommunen schon länger erhobene Forderung erfüllt würde, dass die Verfahren beschleunigt werden, dann stelle sich das Problem der Schulepflicht gar nicht mehr in der von Bausewein angesprochenen Dringlichkeit.
Was die Kommunen fordern
Am Mittwoch hat das Bundeskabinett beschlossen, den Ländern nochmals 500 Millionen Euro für dieses Jahr zu geben. Damit summiert sich die Bundeshilfe auf eine Milliarde Euro. Für 2016 sind weitere Hilfen in Aussicht gestellt, aber bislang sind diese weder beziffert noch ist klar, wie sich der Bund engagieren will. Klar ist nur, dass Mittel dauerhaft und strukturell gebunden fließen sollen. Gabriel hat vorgeschlagen, dass der Bund den Kommunen die Unterkunftskosten für Flüchtlinge voll erstattet. Eine andere Möglichkeit wären höhere Zuschüsse für Deutschkurse und Integrationsmaßnahmen. Da der Bund den Kommunen nicht direkt helfen darf, sondern nur über die Länderhaushalte, wird derzeit über eine Grundgesetzänderung beraten.
Städtetag, Gemeindebund und Landkreistag verlangen die konsequente Unterscheidung zwischen chancenlosen Bewerbern (also vor allem denen vom Balkan) und Flüchtlingen etwa aus Syrien und dem Iran, die zum großen Teil anerkannt werden wegen der Bürgerkriegssituation in diesen Ländern. Zudem schlägt der Städtetag vor, die Dauer des Aufenthalts in den Erstaufnahmeeinrichtungen, die von Bund und Ländern getragen werden, über die bisher geltende Höchstgrenze von drei Monaten hinaus zu verlängern. Für die Flüchtlinge, die dann in die Kommunen kommen, wird ein Bauprogramm des Bundes gefordert. Landsberg plädiert dafür, hier auf bestimmte Standards zu verzichten. Auch müssten vergaberechtliche Vorgaben gelockert werden. Beim Verband wird ein Beispiel genannt: Wenn man ein Gebäude als Unterkunft für Flüchtlinge herrichten wolle, müssten auch genügend Stellplätze für Autos nachgewiesen werden. Flüchtlinge hätten in der Regel aber keine eigenen Wagen. Auch bei der energetischen Sanierung könne man deutliche Abstriche machen. Das scheint beim Bund anzukommen. Bauministerin Barbara Hendricks (SPD) zeigte sich am Mittwoch bereit, auf Klimaschutz- und Energiesparmaßnahmen zu verzichten.