Studie der Bertelsmann-Stiftung: Flüchtlinge sollen leichter Jobs bekommen
Die Bertelsmann-Stiftung kritisiert hohe Hürden für Flüchtlinge bei der Arbeitssuche. Der Bearbeitungsstau in Deutschland bei den Asylanträgen ist nach ihrer Darstellung europaweit ohne Parallele.
In Deutschland hat sich seit Jahrzehnten ein „äußerst restriktives“ Abwehrregime gegen Asylbewerber verfestigt, das Flüchtlinge daran hindert, Initiativen zu entwickeln und ihr eigenes Leben produktiv zu gestalten. Zu diesem Schluss kommt der Migrationswissenschaftler Dietrich Thränhardt in einer Studie der Bertelsmann-Stiftung, die am Dienstag offiziell präsentiert wurde. Der Autor wirbt für eine schnellere Eingliederung von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt und kritisiert die langen Asylverfahren als „hohe Hürde“ bei deren Jobsuche.
Der Studie zufolge hat sich die Willkommenskultur zuletzt deutlich verschlechtert – auch, weil Asylbewerber nicht arbeiten dürfen. „Damit schöpfen sie ihre Fähigkeiten nicht aus und können weder zur Entwicklung des Einwanderungslandes beitragen noch Angehörigen im Herkunftsland helfen“, schreibt Thränhardt. Verschärft wird die Lage durch Stimmungsmache gegen Flüchtlinge – erwähnt werden in der Studie die Wahlkampagnen der AfD im vergangenen Jahr in Sachsen, Brandenburg und Thüringen sowie die Pegida-Proteste, die sich „häufig auf ein Unbehagen in Bezug auf Asyl und Ausländer“ konzentrieren würden. Laut Bertelsmann-Stiftung warteten Ende 2014 fast 222000 Flüchtlinge auf eine endgültige Entscheidung über ihren Asylantrag – der Bearbeitungsstau sei in keinem anderen EU-Land so groß wie in Deutschland.
Die Bearbeitungszeit beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) habe im vergangenen Jahr bei durchschnittlich 7,1 Monaten gelegen. Bei bestimmten Ländern aber auch deutlich darüber: Asylsuchende aus Afghanistan etwa mussten im Schnitt 16,5 Monate auf eine Entscheidung warten. Der Wissenschaftler nennt das „extrem unbefriedigend“, denn im Koalitionsvertrag wird als Ziel formuliert, die Dauer von Asylverfahren auf drei Monate zu begrenzen. Er begrüßt, dass das Personal beim BAMF demnächst deutlich aufgestockt werden soll.
Die Stiftung kritisiert, dass der Bund Asylbewerber nicht in das Integrationskurs-Programm einbezieht: Ihnen würden damit später erwartete Qualifikationen verwehrt. Nur Bayern, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein bieten Deutschkurse während der Wartezeit, wie es Thränhardt generell fordert. Konkret für die Westbalkanstaaten schlägt er vor, Arbeitsvermittlungsagenturen zu eröffnen. Dort könnten Jobs in Bereichen mit Personalmangel wie dem Handwerk, Pflegeberufen und Saisonbeschäftigung in der Landwirtschaft vermittelt werden.
Streit in der EU um neue Quote
Die umstrittene Verteilung von Flüchtlingen in Europa per Quote stößt derweil auf heftigen Widerstand vieler Staaten. Bislang fehlt der EU-Kommission eine Mehrheit dafür. „Ich glaube nicht, dass die Quote durch den Rat kommen wird“, sagte ein EU-Diplomat mit Blick auf den EU-Ministerrat, in dem die Staaten den Plänen zustimmen müssen. An diesem Mittwoch wird die EU-Behörde den Gesetzesvorschlag zu ihren Ideen präsentieren. Die grundlegenden Vorstellungen dazu hatte sie bereits vor knapp zwei Wochen veröffentlicht.
Trotz der Kritik hält die EU-Behörde an ihren Plänen fest. „Änderungen sind nicht vorgesehen“, hieß es aus Kommissionskreisen. Demnach sollen Flüchtlinge künftig per Quote auf die Staaten verteilt werden – vorerst aber nur in Notlagen wie bei einem großen Flüchtlingsstrom. Basis soll ein Schlüssel sein aus der Wirtschaftsleistung, der Bevölkerungszahl, der Arbeitslosenquote und der Zahl der bereits aufgenommenen Flüchtlinge. Deutschland würde demnach mit 18,4 Prozent den höchsten Anteil aufnehmen, gefolgt von Frankreich mit 14,2 Prozent der Flüchtlinge.
Deutschland unterstützt die Quote. „Alle Mitgliedstaaten tragen gemeinsame Verantwortung, Flüchtlinge aufzunehmen“, fordert Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Die Gruppe der Gegner ist groß. Großbritannien wird nicht mitmachen – es nimmt eine Sonderrolle bei der EU-Asylpolitik ein und hat vertraglich das Recht, sich nicht an europäischen Maßnahmen in diesem Bereich zu beteiligen. Das Gleiche gilt für Irland und Dänemark. Auch Polen, Ungarn und Tschechien haben Bedenken. Diese Länder sind nur selten ein Ziel von Migranten aus Afrika, die häufig aus wirtschaftlichen Gründen nach Europa kommen. Ohne Quoten hoffen diese Staaten, besser da zu stehen.
Ungarns Regierungschef Viktor Orbán nennt die Einwanderungspolitik der EU „Wahnsinn“, damit würden nur noch mehr Menschen nach Europa kommen. Frankreich hat sich bislang zurückhaltend geäußert, die Regierung befürchtet ein Erstarken der rechten Kräfte im Land. „Ich bin gegen Quoten, das entsprach noch nie der Position Frankreichs“, sagte Premierminister Manuel Valls. Spanien und Portugal wollen, dass die Arbeitslosigkeit stärker gewichtet wird. Denkbar wäre, den Vorschlag mit einer Zweidrittelmehrheit im Rat zu beschließen. Allerdings ist dies bei kontroversen Themen selten. „Es wäre ein politischer Fehler, wenn die EU ein Thema von dieser Dimension mit Mehrheit durchdrücken würde“, warnt ein EU-Diplomat. (mit dpa)