EU-Migrationspolitik: Warum Libyen und Niger extrem schwierige Partner sind
In Italien kommen deutlich weniger Flüchtlinge aus Afrika an. Das klingt nur auf den ersten Blick positiv, denn allein in Libyen sitzen 700.000 Menschen fest.
Für die wahlkämpfende Angela Merkel (CDU) und ihren neugewählten Kollegen Emmanuel Macron aus Frankreich hätten die Nachrichten vor dem EU-Minigipfel zur illegalen Migration nach Europa kaum besser ausfallen können. In Italien kommen plötzlich kaum noch Flüchtlinge an. Kurz vor Ende des Monats zeichnet sich ab, dass im August fast 90 Prozent weniger Flüchtlinge von Libyen aus nach Italien übersetzen als im August 2016. Auch im Vergleich zum vergangenen Monat sind die Zahlen deutlich gefallen.
In Libyen sitzen 700.000 Menschen fest
Italien, das ebenso wie Spanien am Montag bei den Gesprächen in Paris vertreten war, führt dies auf seine Unterstützung für die libysche Küstenwache zurück und darauf, dass privaten Rettern strenge Auflagen für ihren Einsatz im Mittelmeer gemacht wurden. Möglicherweise spielt aber auch die sogenannte Brigade 48 eine nicht ganz unwichtige Rolle. Die Miliz, deren Anführer früher selbst sein Geld mit dem Menschenschmuggel verdiente, hindert nun offenbar Flüchtlingsboote, die libysche Küste zu verlassen.
Die Motive für den Seitenwechsel sind noch unklar, und auch die Frage, ob die Miliz Gelder aus der libyschen Staatskasse erhält. Die Flüchtlinge, mindestens 700.000 sollen sich laut Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Libyen aufhalten, sind damit natürlich nicht einfach verschwunden. Manche suchen sich nun offenbar andere Wege. Laut IOM kommen inzwischen deutlich mehr Flüchtlinge in Spanien an.
Tausende ließen sich schon auf geförderte Rückkehr ein
Mittelfristig zeichnet sich aber möglicherweise ein Abflauen der Flüchtlingsbewegungen ab. Denn auch weiter im Süden des afrikanischen Kontinents zählen IOM-Mitarbeiter deutlich weniger Migranten als im vergangenen Jahr. In Niger, das sich zu einem Drehkreuz für Migranten auf dem Weg von Westafrika nach Europa entwickelt hat, kamen im Juli 2016 rund 18.000 Flüchtlinge an, fast 50.000 reisten von hier aus weiter durch die Sahara nach Libyen, Algerien oder Marokko. In diesem Jahr ging die Zahl der durchreisenden Flüchtlinge kontinuierlich zurück. Im Juli 2017 zählte IOM gerade einmal 6.000 ankommende Migranten in Niger und nur 4.000 ausreisende.
Nicht zuletzt auf Druck der EU hat Niger inzwischen Gesetze erlassen, die den Menschenschmuggel unter Strafe stellen. Das Land erhält auch Ausrüstung und Training für seine Sicherheitskräfte. Und IOM Geld, um Migranten zu versorgen und zu beraten. Immer mehr kehren dann zurück, was ebenfalls mit Geldern der EU und Deutschlands finanziert wird. 2016 brachte IOM 5.000 Migranten nach Hause, in diesem Jahr schon 4.800.
Transitstaaten: Arm und autoritär
Ob die Kooperation mit Niger und jetzt mit Libyen dauerhaft Erfolg hat, ist allerdings unklar. „Es ist zu früh, um endgültige Schlussfolgerungen aus den aktuellen Zahlen zu ziehen“, sagte eine IOM-Sprecherin dem Tagesspiegel. In Niger beobachteten ihre Kollegen, dass Schmuggler zunehmend auf neue, bisher unbekannte Routen auswichen. „Wir wissen daher nicht, ob die Zahlen wirklich so deutlich sinken, oder ob wir die Migranten nur nicht mehr sehen.“ Die Lage in den allen Ländern, mit denen die vier EU-Staaten am Montag verhandelten, ist ohnehin mehr als kritisch – und Menschenrechtsorganisationen klagen teils Folter und Missbrauch an. Außen Niger und Libyen saß auch der Tschad in Paris am Tisch. In dem Land leben knapp 400.000 Geflüchtete: Menschen, die seit 2013 aus dem kriegszerrissenen Zentralafrikanischen Republik fliehen mussten, Flüchtlinge aus Nigeria und dem Sudan – alle unter schlechten Bedingungen in überfüllten Lagern.
Seit die Islamistenmiliz Boko Haram Angriffe in der Region des Tschadsees begann, sind auch etwa 105.000 Einheimische Flüchtlinge im eigenen Land.
Hilfe von außen ist dringend geboten. Ein UN-Bericht von September 2016 sprach von 3,8 Millionen, die im Tschad nicht ausreichend zu essen haben, die Ernährungssituation von einer Million Menschen sei akut kritisch. Doch das Regime von Idriss Déby lässt auch mutmaßliche Gegner foltern und verschwinden und auf Demonstranten schießen. In der Konfliktzone am Tschadsee gibt es kaum noch Landwirtschaft, Fischerei oder Handel.
UN-Experten: Migranten werden in Libyen verkauft
Das bitterarme Niger, dessen Staatsgebiet zu zwei Dritteln Wüste ist, nahm im Index der menschlichen Entwicklung 2016 den vorletzten Platz ein, Dürren und Hunger bedrohen die eigene Bevölkerung. Wie viele Migranten auf dem Weg durch die Sahara im Land umkamen, ist unbekannt. „Möglicherweise sterben in der Wüste mehr Migranten als im Mittelmeer“, schreibt IOM auf ihrer Seite im Internet. Wenn jetzt dort Militär eingesetzt werde, wie von der EU gewünscht und finanziert, werde „das Leid der Flüchtlinge weggeschoben, nicht gelindert“, warnt Pro Asyl. Sie würden „weit abseits der europäischen Öffentlichkeit zugrunde gehen.“
Tief gespalten, eine desolate Wirtschaftslage und weitverbreitete Gesetzlosigkeit: Auf Libyen trifft von allen Verhandlungspartnern in Paris die Beschreibung „gescheiterter Staat“ am klarsten zu: „Bewaffnete Gruppen und Milizen entführten Menschen, um Lösegeld zu erpressen, und begingen rechtswidrige Tötungen“ heißt es im Jahresbericht 2017 von Amnesty über das Land, von wo aus bisher die meisten Flüchtlingsboote Richtung Europa ablegten. Der Bericht einer Expertengruppe für den UN-Sicherheitsrat von Juni legt zudem enge Verbindungen zwischen der international anerkannten Regierung in Tripolis und Warlords nahe.
Einige der bewaffneten Gruppen hätten „ein Mandat oder mindestens die Anerkennung des Parlaments oder der Regierung“. Sie missbrauchten und bedrohten libysche Bürger, Kriegsgefangene und Migranten. Mindestens eine von ihnen kontrolliere seit 2014 die Küstenwache von Zawiya. Mit deren Schiffen habe sie Migranten von Booten geholt und in ein Lager gebracht, um sie „an andere Schmuggler zu ’verkaufen’“. Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts wird dort gefoltert und vergewaltigt. Migranten, die nicht zahlen, werden auch in der Wüste ausgesetzt oder umgebracht.
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