Ukraine-Krise: Flüchtlinge aus der Ostukraine lösen in Kiew Streit aus
Die vielen Flüchtlinge aus dem Osten der Ukraine bereiten der Hauptstadt Kiew zunehmend Probleme. Viele Kiewer sagen, sie spielen sich "als die neuen Herren auf".
Immer mehr Menschen suchen Schutz in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Die meisten kommen von der im März annektierten Halbinsel Krim und aus dem umkämpften Osten des Landes. Die Flüchtlinge kommen aus den verschiedensten Schichten, zum einen kommen wohlhabende Menschen, die Kiew nur als Zwischenstation für ihre Ausreise ansehen. Die meisten suchen jedoch Arbeit und Unterkunft, beides ist nicht immer leicht.
Die Immobilienmakler haben so einen neuen Kundenkreis. „Seit Juni hat die Nachfrage von Kunden aus der Ostukraine stark zugenommen“, sagt Makler Dmitri Schewtschenko. „In der Regel fragen sie nach großen Wohnungen oder Häusern, ab fünf oder sechs Zimmern. Diese Klienten bleiben meist nur ein paar Wochen.“ Die meisten stellen in den Botschaften in Kiew einen Visumsantrag und wollen nach Europa, in die USA, nach Kanada oder Israel reisen. Das Stadtbild Kiews hat sich in jüngerer Vergangenheit verändert. Zu sehen sind die vielen Autos der Luxusklasse mit Kennzeichen aus den ostukrainischen Krisenregionen, vor allem aus Donezk.
Es gibt aber auch Leute wie Oleg. Er kommt aus Charkiw und fährt seit einigen Monaten Taxi in Kiew. Auch an seinem Auto sind noch die Kennzeichen aus dem Osten. „Ich habe mich in Charkiw sehr stark politisch engagiert und Probleme bekommen, jetzt bin ich in Kiew und fühle mich sicher, außerdem läuft das Geschäft hier besser“, sagt der junge Mann. Diese Arbeit habe er sich selber gesucht, kurzerhand hat er seinen Privatwagen, einen alten Toyota Camry, in ein Taxi verwandelt. Seine Frau und zwei Kinder sitzen den ganzen Tag in einer engen Wohnung, die sich die Familie mit mehreren Flüchtlingen teilt. „Das ist auf Dauer belastend, aber derzeit geht es nicht anders“, sagt Oleg.
Klitschko greift nun ein
Julia Volkowa hingegen ist nicht bereit, ihr Schicksal länger zu erdulden. Vor zwei Monaten kam sie aus der Stadt Donezk nach Kiew. Ihr Arbeitgeber verschaffte ihr eine Wohnung und bezahlte sie auch, doch im August war damit Schluss. Seitdem sucht sie eine neue Unterkunft, bekommt von privaten Vermietern und der Kommunalverwaltung aber nur Absagen. „Oftmals legen die Gesprächspartner den Telefonhörer wortlos auf, wenn sie hören, woher ich komme“, berichtete Volkowa dem ukrainischen Fernsehen unter Tränen. Auch eine neue Arbeit suche sie. Ihre alte Firma zahle das Gehalt nur noch teilweise.
Nach Schätzungen aus dem Büro des Kiewer Bürgermeisters Vitali Klitschko leben in Kiew mittlerweile mehr als 80.000 Binnenflüchtlinge. Dadurch stiegen die Preise für Mieten und Immobilien in der Hauptstadt um bis zu 20 Prozent. Auch die zahlungskräftige Kundschaft hat es schwer, weil sie von vielen als „Schyteli Donbassa“ – Leute aus dem Donbass – und damit als Mitverursacher der gegenwärtigen Krise angesehen werden. „Ich habe für diese Raffzähne kein Verständnis. Erst haben sie jahrzehntelang die kriminellen Machenschaften von Achmetow und Janukowitsch unterstützt und jetzt, wo der Donbass brennt, kommen sie nach Kiew und spielen sich hier als die neuen Herren auf“, wettert Student Alexander Titanrenko.
Mehr als 300.000 Schutzsuchende im Land
Der junge Mann ist Aktivist bei mehreren NGOs in Kiew. Ihn stört, wie er sagt, „das arrogante Gehabe der Donezker“. Auch Bürgermeister Klitschko weiß von der Brisanz um die neuen Mitbürger. Für ihn ist klar, dass trotz allem viele von ihnen in Kiew bleiben werden. Seine Verwaltung beauftragte er deshalb, die Menschen zu integrieren. So seien in den vergangenen Wochen mehrere neue Schulklassen entstanden. „Im September hat die Stadt 70 Lehrer, die als Flüchtlinge von der Krim oder aus dem Donbass kommen, eingestellt“, sagte Klitschko.
Doch nicht nur die Lage in Kiew gestaltet sich problematisch. Nach neuesten Zahlen der Vereinten Nationen sind rund 310.000 Binnenflüchtlinge in der Ukraine registriert. Davon stammen 250.000 aus dem Osten des Landes. „Die tatsächliche Zahl dürfte sehr viel höher sein“, heißt es in einer Presseerklärung der UN. In Kiew leben, kurz vor Anbruch der Heizsaison, rund 20 Prozent der Flüchtlinge in provisorischen Unterkünften. Damit sind Plätze gemeint, die weder über Heizung noch über einen Warmwasseranschluss verfügen.