Kämpfe in Donezk und Mariupol: Die Waffenruhe in der Ukraine wurde schon gebrochen
Separatisten und ukrainische Freiwilligenverbände kämpfen trotz der vereinbarten Waffenruhe weiter. Dennoch wurde die Waffenruhe nicht offiziell aufgekündigt. Auch der geplante Gefangenenaustausch soll stattfinden.
Die am Freitag vereinbarte Waffenruhe für die Ostukraine ist nicht eingehalten worden. In den Städten Donezk und Mariupol kam es zu Gefechten, es gab Tote und Verletzte. Bereits am Samstagabend gegen 22.30 Uhr Donezker Ortszeit berichteten die ersten Twittermeldungen vom Beschuss der Hafenstadt Mariupol. Am Sonntagmorgen wurden die Meldungen zur Gewissheit, Fotos und Videos zeigten eine zerstörte Feuerwehrwache, ausgebrannte Militärtrucks sowie eine angegriffene Tankstelle in Mariupol. Bei dem Beschuss kam bis Sonntagnachmittag eine Frau ums Leben, vier Zivilisten wurden verletzt.
Auch aus der Stadt Donezk werden wieder Kämpfe gemeldet. Der Rat der Stadt sprach in einer schriftlichen Mitteilung „von einer sehr angespannten Lage, in fast allen Stadtteilen sind Schüsse zu hören, vom Gebiet des Flughafens sind Explosionen zu hören“. Bereits am Samstag meldete eine Gruppe des Internationalen Roten Kreuzes, sie sei auf der Fahrt nach Luhansk in einem Vorort der seit Monaten von der Außenwelt abgeschlossenen Stadt beschossen worden. Bei den Mitarbeitern handelt es sich um die russische Sektion der Hilfsorganisation.
Mittlerweile ist auch das Protokoll veröffentlicht worden, das die Verhandlungsparteien OSZE, Russland, Ukraine und Separatisten am Freitag in der weißrussischen Hauptstadt Minsk unterschrieben haben. Die OSZE hat das Papier am Samstagabend auf ihre Website gestellt. Es enthält zwölf Punkte.
Neben der bereits bekannten Einigung auf einen Waffenstillstand, die Kontrolle der Einhaltung durch die OSZE sowie den Gefangenenaustausch und die Leistung humanitärer Hilfe für die Menschen der Ostukraine, findet sich in dem Papier auch noch die Schaffung eines Programms zum Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur und Wirtschaft, die Amnestie der am Kampfgeschehen beteiligten Personen, das Abhalten von Kommunalwahlen und unter Punkt drei eine Ankündigung zur Dezentralisierung der Macht in der Ostukraine.
Dafür sollen die Regionen Donezk und Luhansk einen Sonderstatus bekommen. Mit dieser Formulierung ist der von Russland geforderten, verstärkten Eigenständigkeit der Ostgebiete Tür und Tor geöffnet. Allerdings geht aus dem Papier nicht hervor, dass die umkämpften Gebiete der Ostukraine – „Neurussland“ – ein eigenständiger Staat werden sollen. Diese Forderungen haben viele Separatisten erhoben – und sind nun offensichtlich trotz militärischer Erfolge in den vergangenen Wochen zumindest in den Verhandlungsergebnissen von Minsk davon abgerückt.
„Anstatt eine neue Mauer zu bauen, müssen wir nach anderen Wegen Ausschau halten."
Der ukrainische Innenminister Arsen Awakow sagte in einem Fernsehinterview: „Der so genannte Friedensplan von Minsk wird wie der erste Tschetschenienkrieg enden. Der Konflikt im Donbass wird sich über Jahre hinziehen.“ Awakow äußerte die Befürchtung eines „frozen conflicts“, den Putin nach Belieben kontrollieren werde. Ein Menschenrechtsanwalt, der im Auftrag der ukrainischen Regierung über die Freilassung von Gefangenen verhandelt, schreibt: „Wenn ich es richtig verstehe, ist das Waffenstillstandsabkommen das Papier nicht wert, auf das es gedruckt wurde.“
Das Freiwilligen-Bataillon Donbass hat mitgeteilt, das Abkommen von Minsk gelte für seine Soldaten nicht: „So viele von uns haben im Kampf um den Donbass mit dem Leben bezahlt, und jetzt sollen wir auch noch unser Land hergeben. Unser Ziel ist Rache.“
Juri Luzenko, der Vorsitzende von Präsident Petro Poroschenkos Partei „Solidarität“, versucht das Papier als wirtschaftliches Wiederaufbauprogramm zu lesen. Auf seiner Facebook-Seite schreibt er unter der Überschrift „Neustart“, dass es einen „Marshallplan für den Osten der Ukraine“ geben müsse. Der erste Schritt für ein solches Vorhaben, so Luzenko, könnten die Gespräche von Minsk sein. Er führt als Beispiel Kroatien an. Das Land sei während des Jugoslawienkrieges Anfang der 1990er Jahre auch stark zerstört worden. Heute, zwanzig Jahre „nach der Katastrophe“, seien die Kroaten nicht nur in der EU, sondern auch in der Nato. „Anstatt eine neue Mauer zu bauen, müssen wir nach anderen, erfolgreichen Wegen Ausschau halten.“
Damit kritisierte Luzenko, der auch als Berater von Präsident Poroschenko tätig ist, den Regierungschef Arsenij Jazenjuk. Der Ministerpräsident hatte Mitte der Woche mit der Meldung für Aufsehen gesorgt, er habe eine Arbeitsgruppe beauftragt, die den Bau einer Schutzmauer entlang der ukrainisch-russischen Grenze erarbeite. Im Netz kursieren bereits erste Entwürfe der Anlage.
Insgesamt soll an der Grenze ein 25 Meter breiter Sicherheitsstreifen entstehen. Neben einem vier Meter breiten und drei Meter tiefen Wassergraben sollen auf dem Gebiet auch elektronische Sicherheitssysteme installiert sowie ein Betonwall und eine fünf Meter breite Schutzzone aus Beton gebaut werden. Die gesamte Anlage soll durch Wachtürme sowie moderne Überwachungstechnik gesichert werden. Insgesamt müssten 2200 Kilometer durch die Mauer gesichert werden. Das Gebiet um die Mauer würde zum Sperrgebiet erklärt, zu dem nur Personen und Fahrzeuge mit Sondererlaubnis oder das Personal der ukrainischen Grenzschützer Zugang hätten.