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Abgelehnte Asylbewerber steigen .2015 am Baden-Airport in Rheinmünster (Baden-Württemberg) im Rahmen einer landesweiten Sammelabschiebung in ein Flugzeug.
© Patrick Seeger/dpa
Update

Kampagnen der Bundesregierung: Flüchtlinge abschieben und abschrecken

4477 Personen wurden allein im letzten Jahr an den deutschen Flughäfen zurückgewiesen. Zudem versucht Deutschland die Einreise von Asylbewerbern zu reduzieren. 14 wurden am Dienstag direkt nach Afghanistan abgeschoben.

Erneut wurde nach Afghanistan abgeschoben. Am Dienstagabend startete eine Maschine von München nach Kabul. Eine Sammelabschiebung, wie die Bundespolizei dem Bayerischen Rundfunk bestätigte. Bereits der zehnte Abschiebeflug in das Kriegsland seit Dezember 2016. Angaben darüber, wer in diesem Flieger sitzen soll und was genau diese Menschen verbrochen haben, gibt die Polizei vor Abflug der Maschine nicht. Der "Erfolg der Rückführungsmaßnahmen" solle nicht gefährdet werden, so die Bundespolizei. Ebenso wie bei den letzten Abschiebungen kam es zu Protestaktionen. Am Dienstagabend protestierten auf dem Marienplatz in München etwa 200 Menschen.

Gegen 11 Uhr Ortszeit landete das Flugzeug in Kabul. An Bord waren 14 Männer, deren Asylanträge abgelehnt wurden. An der Rückführungsmaßnahme beteiligten sich Baden-Württemberg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, wie das Bundesinnenministerium dem Tagesspiegel mitteilte. Zehn von ihnen seien Straftäter. Es handele sich um schweren Raub, sexuelle Nötigung, gefährliche Körperverletzung und Diebstahl. Ein weiterer Passagier sei „als Gefährder eingeordnet“ worden. Drei Personen seien als "Identitätsverweigerer" eingestuft worden. 43 Beamte der Bundespolizei, ein Arzt und ein Dolmetscher begleiteten den Flug.

Nach Angaben von Nachrichtenagenturen kamen allein in Kabul im Jahr 2017 mehr als 500 Menschen bei Anschlägen ums Leben. 70 Prozent des afghanischen Staatsgebiets werden von Warlords und islamistischen Extremisten kontrolliert, wie die Gesellschaft für bedrohte Völker meldet.

Amnesty: Abschiebungen nach Afghanistan verstoßen gegen das Menschenrecht

Das Auswärtige Amt hat Ende Juli 2017 einen Zwischenbericht zur Sicherheitslage in Afghanistan vorgelegt, der "klarstellt, dass es unter Berücksichtigung der Umstände jedes Einzelfalls verantwortbar und geboten ist, Rückführungen durchzuführen", wie das Bundesinnenministerium am Dienstag auf Anfrage erklärte. Innerhalb der Bundesregierung bestehe Einigkeit, "dass auf der Grundlage dieses Berichtes Straftäter, Gefährder und Personen, die sich hartnäckig einer Identitätsfeststellung verweigern, abgeschoben werden können."

Amnesty International sieht das anders: "Abschiebungen nach Afghanistan sind angesichts der gegenwärtigen Sicherheits- und Menschenrechtslage unverantwortlich und verstoßen gegen das Völkerrecht", erklärt Franziska Vilmar, Expertin für Asylrecht und Asylpolitik bei der Menschenrechtsorganisation. "Die Europäische Menschenrechtskonvention verbietet es, Menschen in Länder abzuschieben, in denen ihr Leben in Gefahr ist."

Joachim Herrmann sind die Abschiebungen zu lasch

Aus Deutschland abgeschoben würden nur "Straftäter und Gefährder", sagte jüngst der bayerische Innenminister Joachim Herrmann. Dem CSU-Politiker ist der "deutsche Rechtsstaat" zu lasch, er wolle "zum normalen Vollzug kommen." Viele Flüchtlingsorganisationen sowie der Flüchtlingsrat kritisieren, dass an Bord der Maschine am Dienstag erneut Menschen sitzen würden, die weder Straftaten begangen hätten, noch sogenannte Gefährder oder "Identitätsverweigerer" seien. Besonders unter dem Oberbegriff der Verweigerung der Identität würden immer wieder willkürlich Menschen abgeschoben.

Martin Scholtysik vom Bayerischen Innenministerium wies die Vorwürfe im Bayerischen Rundfunk gegenüber zurück. Jeder Einzelfall werde von den Ausländerbehörden genauestens geprüft. Überprüfen lässt sich dies jedoch kaum, da das Ministerium keine genauen Angaben zu den abgeschobenen Personen macht. Bei den letztmaligen Abschiebungen fanden sich immer wieder zweifelhafte Fälle.

Die innenpolitische Sprecherin der Linken, Ulla Jelpke, spricht von "Hohn für die Menschenrechte und das Grundrecht auf Asyl", wenn in das Kriegsland Afghanistan abgeschoben werde. "Abschiebungen in den Krieg sind unmenschlich und illegitim", sagt Jelpke.

Piloten weigern sich, Abschiebeflüge durchzuführen

Immer wieder scheitern die Abschiebeversuche auch, nicht nur nach Afghanistan. Im vergangenen Jahr seien 981 Rückführungen "gescheitert", wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht. 2017 seien damit fast doppelt so viele Abschiebungen in letzter Minute abgebrochen wie im Jahr zuvor. 2016 waren es nach Angaben der Fraktion 502 Fälle. Das Dokument liegt dem Evangelischen Pressedienst (epd) vor. Demnach scheiterten 2017 insgesamt 525 Abschiebungen, weil sich der Betroffene wehrte (2016: 263). In 111 Fällen bestanden gesundheitliche Bedenken (2016: 74). 314 Mal weigerten sich Piloten oder die Flugzeugbesatzung, die Abzuschiebenden zu transportieren (2016: 139).

In 31 Fällen verweigerten die Herkunftsländer die Aufnahme (2016: 26). Die Zahl der Abschiebungen insgesamt ist nach Angaben des Innenministeriums im Jahr 2017 auf knapp 24.000 gesunken. 2016 gab es knapp 25.400 Abschiebungen. Auch die Zahl der sogenannten geförderten Ausreisen sei zurückgegangen - von rund 54.000 im Jahr 2016 auf knapp 30.000 im vergangenen Jahr. Die Bundespolizei registrierte den Angaben zufolge rund 43.000 Ausreisen. "Dass immer rigoroser selbst in Bürgerkriegsländer wie Afghanistan abgeschoben wird, hat zwangsläufig zur Folge, dass Betroffene vermehrt panisch reagieren oder Piloten die Mitwirkung an Abschiebungen verweigern", sagt Jelpke. Zum Thema "freiwillige Ausreisen" schreibt das "Berliner Bündnis gegen Abschiebungen" am Dienstag, diese seien "erzwungen, aber fälschlicherweise als freiwillig bezeichnet".

Zweifel an den Zahlen der Bundesregierung

Linken-Politikerin Jelpke spricht von einer "Abschiebehysterie", die, befeuert durch die AfD, derzeit in Deutschland grassiere. Jelpke vertraut auch den Zahlen nicht, die von der Bundesregierung zum Thema zur Verfügung stehen. Diese würden keine Kosten und Mühen scheuen, "um mit falschen Prognosen ihre flüchtlingsfeindliche Politik durchzudrücken." So habe die Bundesregierung die vollkommen falsche Prognose von angeblich 485.000 Ausreisepflichtigen in die Welt gesetzt. Real waren es jedoch nicht einmal die Hälfte, wie Jelpke durch eine Anfrage an die Regierung erfuhr, nämlich 230.000. Zudem sei auch diese Zahl irreführend, denn 166.000 von ihnen verfügten beispielsweise über eine Duldung.

"Längst nicht alle Menschen, die im Ausländerzentralregister formell als Ausreisepflichtige gelten, müssen oder sollen Deutschland verlassen", sagt Jelpke. "Wer vor diesem Hintergrund weitere Verschärfungen bei Abschiebungen und im Umgang mit Schutzsuchenden fordert, handelt unverantwortlich und stärkt die extreme Rechte."

4744 Zurückweisungen "auf dem Luftweg"

2017 hat die Bundespolizei 4744 Personen bereits "auf dem Luftweg" zurückgewiesen. Das geht aus einer Antwort der Bundespolizei auf eine Tagesspiegel-Anfrage hervor. 2437 Menschen hätten kein gültiges Visum oder verfälschte Reisedokumente gehabt. 417 seien nicht im Besitz ausreichender Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts gewesen. 425 sollen eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit und Gesundheit dargestellt haben. Die meisten Personen, nämlich 2480, wurden am Flughafen in Frankfurt am Main direkt zurückgeschickt.

In Berlin-Schönfeld waren es 197. So geschehen auch am 25. Januar 2018. Ein Easyjet-Flug von Berlin nach Kavala in Griechenland. Mit an Bord: Eine Familie mit mehreren Kindern, darunter Babys und einem behinderten Kind in einem Rollstuhl. Die Familie wurde von mehreren Polizisten bewacht und in einem Polizeiwagen zum Flugzeug gebracht.

Die Bundespolizei versichert dem Tagesspiegel auf Nachfrage, das hier "keine Rückführung durchgeführt wurde": Die Einreise der Personen sei verweigert worden, da erforderliche Einreisevoraussetzungen nicht vorgelegen hätten. Angaben, was genau mit dem Dokumenten nicht gestimmt habe und woher die Personen stammten, macht die Bundespolizei nicht. Es werden "grundsätzlich keine öffentlichen Auskünfte zu Entscheidungen oder Maßnahmen erteilt, die einzelne Reisende betrifft."

Easyjet sagte auf Nachfrage, man wisse nicht, was mit den Dokumenten der Personen falsch gewesen sei. Sie seien am selben Tag mit einem Easyjet-Flug von Athen in Berlin angekommen und direkt von der Bundespolizei zurückgeschickt worden. Vermutlich, so ein Sprecher, seien sie keine griechischen Staatsbürger gewesen, sonst hätten sie ja einreisen können. Die Bundespolizei teilte auf Nachfrage mit, dass "nur an der deutsch-österreichischen Landgrenze Grenzkontrollen stattfinden und seit dem 12. November 2017 im Schengenbinnenluftverkehr zu Griechenland."

Falsche Angaben in Infokampagnen der Bundesregierung?

Laut der Linken-Fraktion versucht Deutschland auch massiv, mögliche Asylsuchende direkt von der Reise abzuhalten oder zum Abbruch dieser zu bewegen. Sie spricht von "Abschreckungskampagnen gegen Asylsuchende". Gemeint ist die Kampagne "Rumours about germany". Die Bundesregierung nennt hier das Ziel, „möglichst wirkungsvoll gegen illegale Migration vorzugehen.“ Flüchtlingsorganisationen haben an der Kampagne bereits erhebliche Kritik geäußert.

Es sei zum einen nicht ersichtlich, woher die auf der Homepage korrigierten Gerüchte überhaupt stammten, beziehungsweise sei es unwahrscheinlich, dass Geflüchtete tatsächlich aufgrund solcher Gerüchte zur Flucht motiviert werden. Auch nach Ansicht der Linksfraktion stellen diese Kampagnen nicht in erster Linie sachliche und hilfreiche Informationen zusammen, "sondern dienen vor allem der Abschreckung von (potentiellen) Asylsuchenden."

Die auf www.rumoursaboutgermany.info angegebenen Antworten und Informationen beziehungsweise die "Richtigstellung von Gerüchten" seien falsch und irreführend. Das gelte unter anderem für die Frage, ob die Bundesregierung Geflüchtete in Deutschland mit Geld zur Lebensführung helfe, die zunächst mit einem großformatigen „Nein“ beantwortet wird. Richtig sei dagegen, dass Geflüchteten prinzipiell Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zustehen.

Robert Klages

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