Russland und die EU: Finnlands Premier: „Man kann sich seine Nachbarn nicht aussuchen“
Der finnische Regierungschef Alexander Stubb über das schwierige Verhältnis zu Russland, die Fehler der EU – und ein neues Atomkraftwerk, das mit russischer Beteiligung in Finnland gebaut wird.
Als die Europäische Union vor kurzem über eine weitere Verschärfung der Sanktionen gegen Russland beriet, meldete ausgerechnet ein Land Bedenken an, das als eine Art Musterschüler der EU gilt: Finnland. Man sehe den Zeitpunkt der neuen Sanktionen als ungünstig an, schließlich war gerade eine Waffenruhe für die Ostukraine vereinbart worden, hieß es. Aber am Ende trug auch Finnland den Sanktionsbeschluss mit. Bei einem Besuch in Berlin versicherte Finnlands Ministerpräsident Alexander Stubb nun, die Entscheidung sei richtig gewesen. Kanzlerin Angela Merkel betonte nach ihrem Gespräch mit Stubb, die Sanktionen gegen Russland könnten auf absehbare Zeit nicht aufgehoben werden. „Wir sind davon leider sehr weit entfernt.“
Kritik am Umgang der EU mit Russland
Stubb forderte im Hinblick auf die Sanktionen mehr Geduld. Es werde dauern, bis sie wirkten, sagte der Regierungschef am Montagabend in einem Vortrag vor der Körber-Stiftung in Berlin. Zugleich kritisierte er einen falschen Umgang der EU mit Russland bereits in den 90er Jahren. „Wir versuchten, Russland unser Gesellschaftsmodell aufzudrängen.“ Doch solche Veränderungen müssten von innen passieren. „Wir können Russland die Demokratie nicht aufzwingen.“
Im aktuellen Ukraine-Konflikt mahnte Stubb: „Wir müssen die russische Aggression ernst nehmen und unseren Werten treu bleiben.“ Stubbs Botschaft: Was Russland angeht, solle Europa trotz allem die Hoffnung nicht aufgeben. Das Land könne wieder ein strategischer Partner werden. Daran hat gerade Finnland ein großes Interesse: „Wenn man eine Grenze von 1300 Kilometern mit Russland hat, ist es wichtig, gut funktionierende Beziehungen zu haben", betonte Stubb. „Man kann sich seine Nachbarn nicht aussuchen.“
Finnland besorgt über Zustand der russischen Wirtschaft
Die direkten Auswirkungen der EU-Sanktionen seien für Finnland klein, aber die indirekten Folgen könnten groß sein. „Unsere größte Sorge in Finnland sind nicht so sehr die Sanktionen, sondern der Zustand der russischen Wirtschaft.“ Diese bedürfe der Modernisierung und sei bereits vor der Verhängung der Sanktionen geschrumpft. Zugleich wies Stubb darauf hin, dass in Russland keine finnischen Milchprodukte mehr in den Läden zu finden seien. Moskau hatte als Reaktion auf die Sanktionen die Einfuhr vieler Lebensmittel aus der EU gestoppt.
Russischer Konzern soll Atomkraftwerk bauen
Stubb verteidigte auch die Entscheidung seiner Regierung, den Bau eines neuen Atomkraftwerks durch ein finnisch-russisches Konsortium zu genehmigen. Der vom russischen Staat kontrollierte Konzern Rosatom ist mit 34 Prozent an dem Projekt beteiligt und soll die Anlage auch selbst bauen. Das Atomkraftwerk werde Finnlands Abhängigkeit von Russland im Energiesektor reduzieren, argumentierte Stubb.
Die Abhängigkeit seines Landes von russischem Erdgas – Finnland bezieht 100 Prozent des verbrauchten Gases aus Russland - macht dem Regierungschef unterdessen wenig Sorgen. Gas mache schließlich nur zehn Prozent vom gesamten Energieverbrauch Finnlands aus.