Deutsche Bauern ärgern Putin: Russlands Lebensmittel-Embargo ist löchrig
Eigentlich importiert Russland keine Nahrungsmittel aus Europa mehr. Doch deutsche Anbieter haben aber eine Lösung gefunden, um ihre Waren dennoch abzusetzen.
Stell dir vor, es herrscht ein Embargo, aber keiner merkt’s. Ein solches Schicksal scheint derzeit Russlands Präsident Wladimir Putin zu widerfahren. Als Retourkutsche für die Sanktionen, mit denen die Europäische Union sein Land wegen des Ukraine-Konflikts bestraft, hat Putin europäische Agrarerzeugnisse aus seinem Land verbannt. Obst und Gemüse, Milch und Fleisch aus der Europäischen Union dürfen seit einigen Wochen nicht mehr eingeführt werden. Ein Jahr lang soll der Bann halten. Europas Bauern bekommen bereits Entschädigungen aus Brüssel, an diesem Freitag wollen die EU-Agrarminister weiter über das Thema beraten. Unterdessen sucht der deutsche Agrarminister Christian Schmidt (CSU) nach neuen Absatzmärkten für deutsche Äpfel und Milch und fordert heimische Supermarktketten dazu auf, nicht holländische, sondern lieber deutsche Äpfel zu verkaufen.
Dabei landen viele deutsche Waren weiterhin in Russland – allerdings auf Umwegen. Statt nach Moskau wird nun nach Minsk geliefert. Von Weißrussland, dem Verbündeten Putins, geht es dann weiter in die russische Hauptstadt oder nach St. Petersburg. Auch mit dem Umweg über Kasachstan können deutsche Bauern und Lebensmittelproduzenten das russische Embargo unterlaufen – und tun das auch.
Offen sagt das niemand, doch in der Branche sind solche Aus- und Umwege ein offenes Geheimnis. Besonders leichtes Spiel haben Produzenten, die bereits eigene Werke in Weißrussland besitzen oder ihre Produkte dort zumindest weiterverarbeiten lassen. Wie man Schleichwege nutzt, wissen auch die deutschen Milchbauern. Die Milchviehhalter haben schon mehrfach unter Importverboten gelitten. „2012 und 2013 konnten wir noch über Umwege liefern“, gibt Hans Foldenauer vom Bund Deutscher Milchviehhalter zu. Das sei jetzt aber vorbei. Für die Milchbauern ist das ein schwerer Schlag. Sie leiden schon seit längerem unter einem Preisverfall bei der Milch – „40 Prozent minus seit Jahresanfang“, sagt Foldenauer. Das russische Embargo und der versiegende Milchdurst der Chinesen verschärfen die Nöte der Landwirte noch.
Embargo soll vor allem Polen und das Baltikum treffen
Dabei will Putin mit seinem Embargo für Nahrungsmittel gar nicht primär die Deutschen treffen. Der Einfuhrstopp für europäische Lebensmittel straft vor allem jene, die am lautesten Sanktionen gegen Russland gefordert hatten: Polen und die baltischen Ex-Sowjetrepubliken. Deren Russland-Geschäft macht bis zu knapp zehn Prozent der gesamten Außenhandelsbilanz aus. Mit Abstand größter Posten: Agrarerzeugnisse.
Mit Importen aus Lateinamerika will Russland nun die Regale füllen. Die Einfuhren sollen schon diesen Monat anlaufen. Der weite Weg dürfte aber für einen drastischen Preisauftrieb sorgen. Händler probieren in mehreren Regionen schon jetzt aus, was sie dem Geldbeutel ihrer Kunden zumuten können. Wer kann, sucht daher nach neuen Quellen. Bewohner grenznaher Regionen kaufen bevorzugt im billigeren Ausland ein. In Weißrussland etwa und notfalls sogar in Finnland, das die Russen bisher eher nicht als Tiefstpreis-Paradies wahrgenommen hatten. Doch jetzt bieten Supermärkte in Helsinki den Petersburgern wahre Butterfahrten an. In bequemen Reisebussen geht es – gratis – hin und zurück. Die Busse, so ein Shop-Tourist, sind knackend voll.
In Sibirien gedeihen nicht einmal Kartoffeln und Kohl
Die russische Landwirtschaft kann den Bedarf nicht decken. Das würde nur mit rentabel wirtschaftenden Großbetrieben klappen. Klein- und Mittelbauern produzieren zu wenig und zu teuer. Doch die meisten Kollektivwirtschaften und Staatsgüter aus der Sowjetära waren bereits bankrott, als Putin großzügige Agrar-Förderprogramme auf den Weg brachte, viele Dörfer entvölkert. Auch gedeihen in der Arktis und weiten Teilen Sibiriens nicht mal Kartoffeln und Kohl. Angesichts dieser Zwänge lockerte die Regierung ihr Einfuhrverbot bereits in aller Stille. Ausnahmen, sagt Vizepremier Arkadi Dworkowitsch, soll es für „sensible Güter“ wie Diabetiker-Nahrung, laktosefreie Lebensmittel und Saatgut geben.
Heike Jahberg, Elke Windisch