Wahl in Thüringen: FDP-Chef Lindner will Kemmerich zum Rückzug bewegen
Der FDP-Chef ist auf dem Weg nach Erfurt. Lindners Ziel: Der gerade frisch gewählte Ministerpräsident Kemmerich soll den Weg für Neuwahlen frei machen.
Nachdem mehrere FDP-Landesverbände den Rücktritt des thüringischen Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich und Neuwahlen gefordert haben, will FDP-Chef Christian Lindner vor Ort in Erfurt Kemmerich zum Rücktritt bewegen. Dazu gäbe es mehrere Szenarien, etwa das Stellen der Vertrauensfrage im Erfurter Landtag, um den Weg für Neuwahlen freizumachen, erfuhr der Tagesspiegel aus Parteikreisen.
Kemmerich lehnt Rücktritt bisher ab
Entscheidend dafür sei aber, dass die CDU-Fraktion mitmache, also dass Kemmerich die Vertrauensfrage verliert. Bekommt Kemmerich dabei nicht die Mehrheit aller Mitglieder des Landtags, kommt es zu Neuwahlen, wenn das Parlament nicht binnen drei Wochen einen neuen Regierungschef wählt. Allerdings muss die FDP, die nur mit 5,0 Prozent in den Landtag eingezogen ist, bei Neuwahlen akut fürchten, den Wiedereinzug zu verpassen.
Lindner war massiv unter Druck geraten, weil er zunächst Kemmerichs Wahl akzeptiert, dies als Sache des Landesverbands eingestuft und CDU, SPD und Grüne zur Mitarbeit aufgerufen hatte – ohne die Stimmen der AfD gäbe es aber gar keine Mehrheiten.
Kemmerich hatte noch am Wahlabend im ZDF einen Rücktritt abgelehnt. Am Donnerstag sagte er im ARD-"Morgenmagazin" auf die Frage, was Parteichef Christian Lindner am Vortag verlangt habe: "Ich war mit Christian Lindner permanent im Kontakt. Wir haben auch besprochen, was wir hier in Thüringen beschlossen haben. Er hat gesagt, die Entscheidung trifft letztlich der Thüringer Verband." CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte betont, sie habe noch versucht Lindner von der Kandidatur Kemmerichs abzubringen.
Lindner steht jetzt auch in der FDP massiv unter Druck
"Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“, hatte Lindner zum Abbruch der Jamaika-Verhandlungen nach der letzten Bundestagswahl gesagt. Das hängt ihm bis heute nach und entwickelte sich im Fall Thüringen zum Bumerang. Der Parteichef ist auch intern mächtig angezählt.
Einen Tag nach der Wahl Kemmerichs sprach sich auch FDP-Vize Wolfgang Kubicki für Neuwahlen aus. "Die Erklärung der Minderheitskoalitionäre aus Linken, SPD und Grünen, Fundamentalopposition zu betreiben, schafft eine neue Lage", sagte Kubicki am Donnerstag. Es gebe offensichtlich keine Mehrheit im Landtag in Erfurt jenseits der AfD.
Auch FDP-Vize hält Neuwahlen für unausweichlich
"Neuwahlen werden damit unausweichlich. Der beste Weg zu Neuwahlen ist die Parlamentsauflösung. Ich erwarte einen entsprechenden Antrag von SPD, Grünen oder Linken im Thüringer Landtag. An der FDP wird er nicht scheitern", sagte er weiter. Am Mittwoch hatte Kubicki noch von einem „großartigen Erfolg“ für Kemmerich gesprochen und für ein Bündnis aller demokratischen Kräfte jenseits der AfD geworben.
Auch FDP-Vize Agnes Strack-Zimmermann kritisierte die Wahl massiv. "Manchmal ist es besser, nicht zu regieren als falsch zu regieren", sagte sie zu zu "Bild". Und in diesem Fall könne sie nur sagen: "Nicht regieren ist in der Tat besser, als von Björn Höcke gewählt zu werden, einem Faschisten."
Auch der Vizefraktionschef der FDP im Bundestag, Alexander Graf Lambsdorff, geht von Neuwahlen aus: "Ich rechne damit, dass Thomas Kemmerich sein Amt zurückgibt in nicht allzu ferner Zukunft und dass es dann Neuwahlen gibt", sagte er am Donnerstag im Deutschlandfunk. "Man kann, ja soll in einer demokratischen Wahl antreten. Aber man lässt sich nicht von AfD-Faschisten wählen. Wenn es doch passiert, nimmt man die Wahl nicht an."
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Durch Kemmerichs Wahl mit Stimmen der AfD sei "Schaden entstanden", sagte Lambsdorff. Die thüringische Landes-FDP habe "sich verführen lassen". Parteichef Lindner habe klar gemacht, dass er eine "stillschweigende Koalition" von FDP, CDU und AfD in Thüringen nicht akzeptiere. "Die FDP als Gesamtpartei schaut auf die Vorgänge in Thüringen und ist überwiegend genauso erschrocken wie große Teile der Bevölkerung."
Lambsdorff rügt FDP in Thüringen scharf
Lambsdorff kritisierte das Vorgehen der thüringischen FDP. "Es hätte diese Kandidatur nicht geben müssen", sagte er. "Es ist ungewöhnlich, dass eine Partei mit fünf Prozent den Ministerpräsidenten stellt." Er wies allerdings auch darauf hin, dass Landesverbände in solchen Fragen autonom seien und die Bundespartei kein Weisungsrecht in der Länder habe.
Auch FDP-Vize Agnes Strack-Zimmermann kritisierte die Wahl massiv. "Manchmal ist es besser, nicht zu regieren als falsch zu regieren", sagte sie zu zu "Bild". Und in diesem Fall könne sie nur sagen: "Nicht regieren ist in der Tat besser, als von Björn Höcke gewählt zu werden, einem Faschisten." Die frühere FDP-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagte: "Der Spuk in Thüringen muss sofort beendet werden, bevor er zum Albtraum wird."
Landesverbände fordern Rücktritt von Kemmerich
Offene Rücktrittsforderungen an Kemmerich kamen aus den FDP-Landesverbänden. Der stellvertretende NRW-Ministerpräsident Jochen Stamp (FDP) erklärte: "Ich fordere Thomas Kemmerich auf, mit einem Rücktritt den Weg zu Neuwahlen in Thüringen frei zu machen." Es dürfe "keine Zusammenarbeit jedweder Art mit der AfD geben". Ähnlich äußerte sich Schleswig-Holsteins Vizeministerpräsident Heiner Garg (FDP), der Kemmerich zum "sofortigen Rücktritt" aufforderte.
Im Erfurter Landtag hatte sich der FDP-Landeschef überraschend im dritten Wahlgang gegen den bisherigen Amtsinhaber Bodo Ramelow von der Linken durchgesetzt. Unterstützt wurde Kemmerich von CDU und AfD. Er erhielt so bei der Abstimmung eine Stimme mehr als Ramelow. Kemmerich, der die kleinste Fraktion im Landtag vertritt, wurde sofort vereidigt. Ramelow hatte eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung bilden wollen.
Friedrich-Naumann-Stiftung sieht schweren Schaden für FDP
Auch die Spitze der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung bezog klar Stellung und sieht in der Wahl von Kemmerich einen schweren Schaden für die Liberalen. Er hätte die Wahl ablehnen müssen, erklärten der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Paqué, die Vizevorsitzende Leutheusser-Schnarrenberger sowie der Ehrenvorsitzende und frühere FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Gerhardt.
"Liberale dürfen nicht durch Unterstützung der AfD in hohe Ämter gewählt werden. Insofern war die Kandidatur von Thomas Kemmerich in dieser politisch verfahrenen Situation ein Fehler, da nach Lage der Dinge eine Mehrheit für ihn nur mit Stimmen der AfD zustande kommen konnte", hieß es in der Erklärung. Seine Wahl biete keinen Weg zu einer tragfähigen Regierungsbildung. "All dies hat nach unserer gemeinsamen Überzeugung der FDP und der gesamten liberalen Familie schweren Schaden zugefügt."
Diesen Schaden nun rasch zu reparieren auch mit dem Risiko, aus dem Landtag bei einer Neuwahl zu fliegen, ist Lindners dringlichste Aufgabe - die Frage ist, ob er sich von diesem Schaden und Laufenlassen einer Wahl, die auch zu wütenden Protestkundgebungen vor der Berliner Parteizentrale fügte, erholen kann. (mit dpa, AFP)