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JVA Leipzig.
© AFP

Suizid von Jaber Albakr: Fatales Staatsversagen in Sachsen

Das Maß an Fehlern, Unzulänglichkeiten und Inkonsequenz ist überschritten. Politische Folgen? Fehlanzeige. Das ist der Nährboden für Politik- und Demokratieverdrossenheit. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christian Tretbar

Seit Jahren wird weltweit gegen den islamistischen Terror gekämpft. Mit Vehemenz, Nachdrücklichkeit und zum Teil aller Härte gehen Staaten gegen den Terrorismus vor. In Sachsen wurde dieser Kampf jetzt durch eine sagenhafte Pannenserie ad absurdum geführt. Fehler können bei jeder Polizeiaktion, in jedem Ermittlungsverfahren und in jeder Haftanstalt passieren. Überall agieren Menschen und keine Roboter. Die Masse der Verfehlungen ist im konkreten Fall aber nicht mehr tragbar.

Ein mutmaßlicher Terrorist flieht vor den Augen der Ermittler, weil die Beamten angeblich wegen ihrer schweren Sicherheitskleidung nicht hinterher kommen. Fast zwei Tage kann er ungehindert durch Sachsen reisen, ohne dass Polizisten dem Mann auch nur auf die Spur kommen. Eine Gruppe Syrer, deren genaue Rolle noch unklar ist, überwältigt ihn, ruft die Polizei an, die erstmal nichts versteht. Die Männer müssen auf die Polizeiwache fahren, ehe die Beamten begreifen, worum es geht.

Schema F in Leipzig - F wie fatal

Die Haftrichterin weist auf die Suizidgefahr des Gefangenen hin, doch im Gefängnis werden nur unzureichende Sicherheitsmaßnahmen ergriffen. Eine im Umgang mit Terroristen unerfahrene Psychologin stuft Albakr sogar als nicht akut selbstmordgefährdet ein. Selbst demolierte Lampen und Steckdosen in der Zelle führen nicht zu einer lückenlosen Überwachung des Verdächtigen. Am Ende hängt ein potenzieller Terrorist tot in der Zelle. Ein Mann, von dem sich Aufklärung erhofft hatte. Spätestens seit sich in den 70er Jahren Terroristen der RAF im Gefängnis umgebracht haben, sollte man davon ausgehen, dass jeglicher noch so geringe Hinweis auf eine Selbsttötungsabsicht ausreicht, um in Haftanstalten Vorkehrungen zu treffen, die das ausschließen. In Leipzig ist man nach Schema F verfahren. F wie fatal.

Immer wieder ist es Sachsen. Justiz und Polizei sind hier nicht in der Lage, eine Einheitsfeier konsequent abzusichern, rechte Umtriebe klein zu halten und rechte Gewalttäter nachhaltig zu verfolgen. Jetzt zeigt sich, dass sie auch im Anti-Terror-Kampf fahrlässig agieren. Meistens handelt es sich um Fehler, Unzulänglichkeiten, mangelnde Konsequenz und Ernsthaftigkeit. In der Summe ist es nur eines: Staatsversagen.

Politische Konsequenzen will in Sachsen aber niemand ziehen. Der Ministerpräsident und sein Justizminister, beide CDU, sehen kein Fehlverhalten. Das ist selbstherrlich und drückt die Überheblichkeit einer Partei aus, die seit Jahrzehnten an der Macht ist. Auch so kann man Vertrauen in politische und staatliche Institutionen leichtfertig verspielen. Das ist der Nährboden für Politik- und Demokratieverdrossenheit.

Viel Futter für Verschwörungstheoretiker

Blamiert hat sich aber nicht nur Sachsen, sondern ganz Deutschland steht international im Kampf gegen den Terror beschämt da. Denn Albakr war möglicherweise Teil eines größeren Terrornetzwerks, über dessen Hintergründe jetzt aber nichts mehr von ihm zu erfahren ist. Und er hatte, auch wenn der Wert des Gesagten zweifelhaft war, angefangen zu sprechen.

Der Fall Albakr ist auch ein Rückschlag für den gesamten Justiz- und Sicherheitsapparat, der gerade dabei war, sich vom Imageschaden des NSU-Desasters zu erholen. Schon jetzt haben Verschwörungstheoretiker viel Futter für ihre Fantasien. Was jetzt noch hilft? Energische Aufklärung, ehrliche Selbstkritik – und personelle Konsequenzen.

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