Neuer Bundesinnenminister: Wie realistisch sind Seehofers Abschiebepläne?
Bundesinnenminister Horst Seehofer macht Druck: Mit einem „Masterplan“ will er die Zahl der Abschiebungen deutlich erhöhen. Doch das Thema ist schwierig - und ganz allein kann er sein Ziel nicht erreichen.
Die Landtagswahl in Bayern naht, Horst Seehofer hat keine Zeit zu verlieren. Von Anfang an will sich der frisch gekürte Bundesinnenminister von der CSU als Mann der Tat profilieren. Als schwarzer Sheriff mit Null-Toleranz-Strategie. Sein erstes Ziel: mehr Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern. Seinen „Masterplan“ für schnellere Asylverfahren und Abschiebungen kündigte er schon vor der Vereidigung der neuen Bundesregierung an, konkreter wurde es am Donnerstag – da durfte sein Staatssekretär verkünden, ein erstes Rückführungszentrum solle es bis zum Herbst geben. Doch sich so auf Abschiebungen zu konzentrieren, birgt für Seehofer auch Gefahren. Denn die Vergangenheit hat gezeigt, dass es bei Abschiebungen viele Probleme gibt, deren Lösung nicht allein in Seehofers Zuständigkeit liegt.
Was plant Horst Seehofer?
Der CSU-Mann hat sich bereits mit Innenpolitikern und Staatssekretären zusammengesetzt und Aufgaben verteilt. Er will die Taktzahl bei Abschiebungen deutlich erhöhen. Besonders bei Straftätern und Gefährdern unter den Asylbewerbern müsse Deutschland härter durchgreifen, sagt er.
2017 wurden nach Angaben der Bundesregierung knapp 24 000 Menschen aus Deutschland abgeschoben – die meisten davon aus NRW (6300), Baden-Württemberg (3440) und Bayern (3300). Aus Berlin waren es 1600. Die Zahl derer, die theoretisch abgeschoben werden könnten, ist allerdings um einiges höher: In Berlin wären es Ende vergangenen Jahres 6640 gewesen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken hervor.
Es gibt auch Asylbewerber, deren Asylantrag abgelehnt wurde – die aber aus humanitären, familiären oder gesundheitlichen Gründen geduldet werden und vorerst bleiben können. Um sie dürfte es Seehofer nicht gehen.
Seehofers erste konkrete Maßnahme, das Rückführungszentrum, soll bis zur Landtagswahl im Oktober umgesetzt sein. Seehofer will, dass es in Verantwortung der Bundespolizei betrieben wird. Es soll als Modell für die sogenannten „Ankerzentren“ dienen, in denen künftig das gesamte Asylverfahren abgewickelt werden soll und in denen Asylbewerber für die Dauer der Antragsbearbeitung leben. „Es würde sich anbieten, für das Modellprojekt eine schon vorhandene Einrichtung zu nutzen“, sagte Innenstaatssekretär Stephan Mayer (CSU) der „Süddeutschen Zeitung“. Denkbare Standorte wären Manching oder Bamberg in Bayern, wo es bereits Transitzentren gibt. Auch die Erstaufnahmeeinrichtung im hessischen Gießen komme in Betracht. Ziel muss es Mayer zufolge zudem sein, die Zahl der Abschiebehaftplätze – gegenwärtig 400 – „erheblich zu erhöhen“.
Welche Kritik gibt es an Ankerzentren?
Die Bundespolizei ist wenig begeistert davon, dass sie für den Betrieb der Ankerzentren verantwortlich sein soll. „Bewachung und Betreuung von Ausreisepflichtigen ist keine polizeiliche Aufgabe“, sagte Jörg Radek, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in der Bundespolizei. „Wir bilden nicht Polizisten aus, um Haftanstalten zu betreiben.“
Deutliche Kritik kommt auch von der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. „Wenn Menschen monate- oder jahrelang in solchen Großlagern bleiben, führt das zu psychischer Zerstörung. Sie werden ihrer Integrationschancen beraubt“, sagte der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, dem Tagesspiegel. Er bezweifle außerdem, „dass in Ankerzentren faire Verfahren stattfinden, wo die Fluchtgründe ausreichend geprüft und gewürdigt werden“. Wenn man die Menschen isoliere, so dass sie keinen Zugang zu unabhängige Beratungsstellen und Anwälten hätten, schädige man den Rechtsstaat. Bereits jetzt hätten viele Geflüchtete vor Gericht Erfolg, wenn sie gegen ihre Ablehnung klagten, weil es zu vielen Fehlentscheidungen käme.
Welche Probleme gibt es bei der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber?
Wenn abgelehnte Asylbewerber nicht in der gesetzten Frist ausreisen und keine humanitären Gründe für sie sprechen, können sie theoretisch abgeschoben werden. „Das Hauptproblem dabei ist die Frage nach der Nationalität, nach der Identität und nach dem Alter“, berichtet ein Abteilungsleiter im Regierungspräsidium in Karlsruhe, das für die Rückführung abgelehnter Asylbewerber in ganz Baden-Württemberg verantwortlich ist. „Viele haben keine Dokumente, so dass man welche beschaffen muss.“
In dieser Woche wurde bekannt, dass es Ende 2017 in Deutschland 65 000 Migranten gab, die nicht abgeschoben werden konnten, weil keine Reisedokumente oder Passersatzpapiere aus dem Herkunftsland vorlagen. Bei fast 3800 Menschen war die Staatsangehörigkeit für die deutschen Behörden ungeklärt. In Berlin machten diese 2017 sogar ein Zehntel aller abgelehnten Asylbewerber aus. Solange das Herkunftsland unbekannt ist, bleibt die Abschiebung ausgesetzt.
„Bereits im Laufe des Verfahrens bitten wir Asylbewerber ohne Papiere, dass sie sich an einen Anwalt wenden oder ihre Familie im Heimatland kontaktieren, so dass die ihnen einen Identitätsnachweis schicken“, erklärt der Karlsruher Abteilungsleiter. Doch vor allem bei Asylbewerbern aus Afrika, die eine sehr geringe Bleibeperspektive haben, sei die Mitwirkungsbereitschaft begrenzt.
Dann brauchen er und seine Mitarbeiter die Hilfe der Auslandsvertretung des mutmaßlichen Heimatlandes. Die Mitarbeiter würden zur Botschaft nach Berlin oder in ein Konsulat fahren, auch der Asylbewerber müsse sich dort einfinden – „entweder freiwillig oder er wird vorgeführt“. Gemeinsam mit dem Vertreter des Herkunftslandes werde geprüft, ob der Betreffende aus dem Land komme. Wenn auch die Identität geklärt sei, könnten Passersatzpapiere ausgestellt sein.
Oft mangelt es aber auch an der Mitwirkungsbereitschaft der Herkunftsstaaten. Schlecht ist die zum Beispiel bei den sogenannten Maghrebstaaten: Viele Algerier, Marokkaner, Tunesier und Libyer werden wegen fehlender Passersatzpapiere nicht zurückgeführt. Zum Teil gibt es nur wenige Termine bei der Botschaft, teilweise nehmen die Staaten gar keine oder nur eine begrenzte Anzahl von Menschen zurück, wenn es sich um eine Sammelabschiebung mit Chartermaschine handelt. Besonders schlecht ist die Bereitschaft, Straftäter zurückzunehmen. Und in Tunesien, wo viele Kämpfer der Terrormiliz IS herstammen, hat die Bevölkerung Angst vor den Sicherheitsrisiken, die mit der Rücknahme einhergehen würden.
Doch auch, wenn Papiere vorhanden sind und das Herkunftsland mit der Rücknahme einverstanden ist, scheitern viele Abschiebungen. Für die abgelehnten Asylbewerber werden nämlich nicht nur Linienflüge organisiert, sondern „wenn es sich lohnt auch eine Chartermaschine“, sagt der Karlsruher Abteilungsleiter. Das sind dann die sogenannten Sammelabschiebungen. Ein Problem sei, dass die Abschiebung zwar nicht angekündigt werde, sich aber die Termine der Charterflüge herumsprächen. Oft sei am Tag der Abschiebung derjenige dann untergetaucht. „Wir bereiten doppelt so viele Abschiebungen vor, wie nachher durchgeführt werden.“
Wie lassen sich die Herkunftsstaaten zu einer besseren Kooperation bewegen?
Als möglicher Ansatzpunkt gilt der sogenannte Visa-Hebel: Bei unkooperativen Herkunftsländern könnte deren Staatsbürgern die reguläre Einreise nach Deutschland erschwert werden. Dafür plädiert etwa Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht. „Ich würde bei unkooperativen Staaten drastisch die Visavergabe für die Einreise nach Deutschland verschärfen“, sagte der CDU-Politiker. Er hat derzeit den Vorsitz der Innenministerkonferenz inne.
Denkbar ist auch, die Länder mit Geldzahlungen zu einer besseren Kooperation zu bewegen. Zwischen Afghanistan und der EU gibt es beispielsweise seit 2016 ein entsprechendes Abkommen. Es sieht vor, dass das Land abgelehnte Asylbewerber zurücknimmt. Dafür war von den EU-Staaten ein milliardenschweres Hilfspaket in Aussicht gestellt worden. Derzeit haben aber viele Bundesländer erhebliche Skrupel, nach Afghanistan abzuschieben. Es werden nur Straftäter, Gefährder oder Menschen, die sich hartnäckig der Identitätsfeststellung verweigern, dorthin zurückgebracht. Gegen Sammelabschiebungen nach Afghanistan gibt es dennoch immer wieder Proteste wegen der Sicherheitslage im Land. Dazu kommt, dass vor allem der Vorwurf der „Identitätsverweigerung“ nicht immer zutreffend ist, da es für Afghanen zum Teil sehr schwer oder sogar unmöglich ist, aus Deutschland heraus an ihre Geburtsurkunde zu kommen und diese den Behörden zur Verfügung zu stellen.
Doch die Einflussmöglichkeiten von Innenminister Seehofer sind auf diesem Gebiet ohnehin begrenzt, wenn es darum geht, die Herkunftsländer zur Zusammenarbeit zu bewegen. Hier ist das SPD-geführte Auswärtige Amt zuständig.
Welche Alternativen gibt es?
„Für uns sind Abschiebungen immer eine Zwangsmaßnahme. Wenn man früh morgens aus dem Bett geholt wird, um zum Flughafen gebracht zu werden, hinterlässt das Traumata“, sagt Nora Brezger vom Berliner Flüchtlingsrat. Auch Pro-Asyl-Chef Burkhardt sagt, eine Abschiebungen träfe Menschen, die schon länger in Deutschland lebten, „wie der Blitz aus blauem Himmel“.
Die natürliche Alternative zur Abschiebung ist die freiwillige Ausreise, wenn also der abgelehnte Asylbewerber innerhalb der vorgegeben Frist das Land verlässt – oder sogar noch bevor er einen Bescheid erhalten hat. Dabei werden teilweise die Reisekosten übernommen. Je nach Herkunftsland besteht die Möglichkeit, eine Reisebeihilfe und Starthilfe zu erhalten. Pro Asyl kritisiert aber, dass die Rückkehrberatung oft nicht ergebnisoffen erfolge. „Das Ziel der staatlichen Rückkehrberatung ist die Rückkehr“, sagt Pro-Asyl-Chef Burkhardt. In der hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen beispielsweise bekämen Asylbewerber bereits am zweiten Tag nach der Ankunft einen Laufzettel, auf dem stehe, sie sollten sich bei der Rückkehrberatung einfinden. Die Asylbewerber würden zum Teil zur Rücknahme ihres Antrages gedrängt, mit der Ansage: Je eher sie gehen, desto mehr Geld gibt es. Auch vor diesem Hintergrund sehe er Seehofers Pläne von abgeschotteten Ankerzentren kritisch.