„Lafontaine macht Maskottchen für Sarrazin“: Ex-Linken-Chef bringt Genossen gegen sich auf
Kamingespräch in München: Thilo Sarrazin auf einem Podium mit Oskar Lafontaine. Dessen Parteifreunde sind fassungslos und wütend.
Die Provokation war mutmaßlich einkalkuliert. Der frühere Linken-Vorsitzende Oskar Lafontaine ist gemeinsam mit dem ehemaligen SPD-Politiker Thilo Sarrazin in einem Münchener Nobelhotel aufgetreten - und hat unter Parteifreunden einen Sturm der Entrüstung ausgelöst.
„So etwas macht man, wenn man Die Linke zerstören möchte“, twitterte deren stellvertretende Vorsitzende Martina Renner. Der Rassist Sarrazin gehe auf Promotionstour für sein neues Machwerk - gemeint ist seine neue Streitschrift „Der Staat an seinen Grenzen“ - und Lafontaine als Fraktionsvorsitzender im Saarland „macht das Maskottchen und sekundiert mit flüchtlingsfeindlichen Aussagen“.
Die sachsen-anhaltische Linken-Landtagspolitikerin Henriette Quade, Innenpolitikerin ihrer Fraktion, äußerte sich im Kurznachrichtendienst ebenfalls empört: „Echt, es kotzt mich an. So viele stabile Genoss*innen machen tolle und wichtige Arbeit und bekommen von Lafontaine und Co. so oft in die Fresse. Wann hört das auf und wann ziehen wir hier endlichen mal Konsequenzen? Der Typ hat in einer Linken nix verloren.“
Und der scheidende nordrhein-westfälische Linken-Bundestagsabgeordnete Niema Movassat kritisierte ebenfalls scharf: „Ekelhafter geht es wirklich nicht mehr. Da tritt Oskar Lafontaine zusammen mit dem Rassisten Sarrazin auf und erzählt, dass geflüchtete Kinder zu viel kosten.“ Ein solches „Drauftreten auf die Ärmsten und Ausspielen gegen andere Arme“ sei inakzeptabel.
An dem Buch-Talk hatte auch CSU-Urgestein Peter Gauweiler teilgenommen - er war in den vergangenen Jahren mehrfach mit Lafontaine und auch seiner Gattin, der früheren Linken-Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht, aufgetreten.
Trotz unterschiedlicher Biografien seien Lafontaine, Gaulweiler und Sarrazin in vielen Punkten einig gewesen, berichtete der Bayerische Rundfunk von der als Kamingespräch titulierten Veranstaltung.
Der Sender zitierte Lafontaine mit der Kritik, „jedes unbegleitete Flüchtlingskind“ koste monatlich 5000 Euro, was einer Sozialrentnerin guten Gewissens nicht zu vermitteln sei. Und: Wenn hundert Menschen hungerten, sei es wenig sinnvoll, einen von ihnen ins „Feinschmecker-Lokal“ einzuladen, wenn die dortige Rechnung allemal dafür ausreiche, allen Betroffenen Brot zu geben. Wählern der Grünen warf Lafontaine demnach eine Doppelmoral in Flüchtlingsfragen vor - er begründete dies damit, dass in deutschen „Mittelstandshaushalten“ auch „philippinische Haushaltshilfen, polnische Pflegekräfte und Gärtner vom Balkan“ schuften würden.
Gauweiler brachte einen „Zivildienst“ für arbeitslose Flüchtlinge ins Gespräch. Und Sarrazin raunte dem BR zufolge mehrmals von der „Bevölkerungsexplosion“ in Afrika und im Orient.
„Ein befremdlicher Retro-Abend mit Gruseleffekten“
Der Reporter des Bayerischen Rundfunks fasste zusammen: „Insgesamt ein befremdlicher Retro-Abend mit Gruseleffekten und der besonders verfänglichen Spielart von deutscher ,Gemütlichkeit', nämlich der Sehnsucht danach, von den Zumutungen der Welt möglichst verschont zu bleiben.“
Ende Juli hatte das oberste Schiedsgericht der SPD den Ausschluss von Sarrazin aus der Partei nach jahrelangem Gezerre für rechtmäßig erklärt. In der Begründung hieß es: Die in seinem Buch „Feindliche Übernahme“ propagierten Äußerungen und Forderungen stünden „mit den Grundsätzen und den Grundwerten der Sozialdemokratie so erheblich in Differenz“, dass die dauerhafte Trennung von dem Parteimitglied erforderlich sei. Zugleich warf ihm das SPD-Schiedsgericht eine „Herabwürdigung von Menschen vor allem muslimischen Glaubens“ vor.
Im Frühjahr vergangenen Jahres hatte ein thüringischer SPD-Landtagsabgeordneter den umstrittenen Bestsellerautor Sarrazin mitten im Wahlkampf nach Erfurt eingeladen und damit die Landespartei-Spitze unter dem damaligen Vorsitzenden Wolfgang Tiefensee massiv verärgert.
Parteigliederung AKL fordert Rücktritt Lafontaines von Ämtern
In der Linkspartei wiederum gibt es seit Jahren erhebliche Kritik an Lafontaines Positionen vor allem in der Flüchtlingspolitik. Kontroversen gab es deshalb nahezu regelmäßig mit den Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger, die sich auf dem nächsten Bundesparteitag Ende Oktober/Anfang November in Erfurt nicht zur Wiederwahl stellen. Sie wie auch ihre designierten Nachfolgerinnen Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler vermieden am Mittwoch eine Stellungnahme zu Lafontaines Auftritt mit Sarrazin.
Die Partei-Gliederung Antikapitalistische Linke aber sprach Klartext. Sie forderte, Lafontaine solle von allen politischen Ämtern zurücktreten, in denen er Die Linke vertreten müsse: „Sarrazin ist ein landesweit bekannter Rassist, der gerade und nach langem quälenden Verfahren aus der SPD ausgeschlossen wurde. Eine solche rassistische und rechtsradikale Ikone, deren Bücher immer noch oben auf den Sachbuch-Bestsellerlisten rangieren, darf von einem Mitglied der Linken nicht öffentlich aufgewertet werden.“ Sein Auftritt in München sei parteischädigend.