Sarrazin nicht mehr Mitglied der SPD: „Das Kapitel Sarrazin ist für uns beendet“
Das oberste Schiedsgericht der SPD hat den Ausschluss des Ex-Finanzsenators für rechtmäßig erklärt. Der will nun gegen seinen Rauswurf klagen.
Auf dem Weg zu seiner Verhandlung musste Thilo Sarrazin an der Statue von Willy Brandt vorbei, dem ehemaligen Kanzler, der bis heute das Selbstverständnis seiner Partei prägt. Doch nach dem Willen der SPD-Führung soll der ehemalige Berliner Finanzsenator nun nicht länger Mitglied der Partei Willy Brandts sein. Die Bundesschiedskommission der Partei kam am Freitag zu dem Ergebnis, dass die SPD den heutigen Bestseller-Autor Sarrazin ausschließen darf.
„Der Parteiausschluss ist damit wirksam", teilte die Kommission nach der mehrstündigen Verhandlung mit. „Sarrazin ist mit dieser Entscheidung nicht mehr Mitglied der SPD.“
Die Kommission habe entschieden, dass der Parteiausschluss „zum Schutz des Ansehens und der Glaubwürdigkeit der SPD“ rechtmäßig sei, da Sarrazin „erheblich gegen die Grundsätze und die Ordnung der Partei verstoßen und ihr damit Schaden zugefügt“ habe. Die in seinem Buch „Feindliche Übernahme“ propagierten Äußerungen und Forderungen stünden „mit den Grundsätzen und den Grundwerten der Sozialdemokratie so erheblich in Differenz“, dass die dauerhafte Trennung von dem Parteimitglied erforderlich sei, urteilte die Kommission.
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Zugleich warf ihm das SPD-Schiedsgericht eine „Herabwürdigung von Menschen vor allem muslimischen Glaubens“ vor. Mit einem Auftritt gemeinsam mit Politikern der rechtspopulistischen FPÖ in Wien habe Sarrazin außerdem gegen das Gebot der innerparteilichen Solidarität verstoßen.
Sarrazin will gerichtlich gegen den Rauswurf vorgehen
Sarrazin sagte dem Tagesspiegel nach der Entscheidung: "Ich glaube, das Urteil stand vorher schon fest und wurde heute nur noch umgesetzt." Dem SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil warf er vor, während der Verhandlung "extrem polemisch" agiert zu haben. Um eine sachliche Beweisfindung sei es ihm erkennbar nicht gegangen.
Sarrazin kündigte an, gegen den Parteiausschluss das Landgericht Berlin anzurufen, sobald die schriftliche Urteilsbegründung vorliege. "Die Vorwürfe gegen mich sind ehrenrührig, es bleibt mir gar nichts anderes übrig."
Klingbeil begrüßte die Entscheidung. „Das Kapitel Thilo Sarrazin ist für uns beendet“, sagte der SPD-Generalsekretär. „Er wird künftig seine rassistischen, seine antimuslimischen Thesen nicht mehr unter dem Deckmantel einer SPD-Mitgliedschaft verbreiten können.“ Für die SPD sei das ein wichtiger und guter Tag.
Bereits seit einem Jahrzehnt hat die Partei versucht, ihr Mitglied Sarrazin loszuwerden. Zweimal hat die SPD-Führung in Berlin und im Bund dabei bereits eine schwere Niederlage hinnehmen müssen.
Im Oktober 2009 leiteten der SPD-Kreisverband Spandau und der Ortsverband Alt-Pankow ein Parteiordnungsverfahren ein. Die Initiatoren waren der heutige SPD-Fraktionschef Read Saleh und dessen enger Vertrauter, der Fraktionsgeschäftsführer Torsten Schneider. Anlass war ein Interview in der Zeitschrift „Lettre International“, das Verfahren scheiterte ein Jahr später vor dem SPD-Landesschiedsgericht. Die Volkspartei SPD müsse Sarrazins provokante Äußerungen aushalten, so das Urteil.
Doch 2010 veröffentlichte Sarrazin das Buch „Deutschland schafft sich ab“, in dem er sich mit der Einwanderung aus islamischen Staaten auseinandersetzte. In einer breiten öffentlichen Debatte über seine Thesen wurde dem ehemaligen Finanzsenator und Bundesbank-Vorstand Rassismus vorgeworfen. Nun schaltete sich die Führung der Bundespartei ein und setzte ein neues Parteiordnungsverfahren in Gang, das allerdings schon auf Kreisverbandsebene eingestellt wurde.
Parteiführung machte nach zwei vergeblichen Ausschluss-Versuchen neuen Anlauf
Trotz dieser beiden Niederlagen entschied der SPD-Bundesvorstand 2018, ein drittes Verfahren gegen Sarrazin einzuleiten. Mittlerweile hatte Sarrazin ein weiteres Buch mit dem Titel „Feindliche Übernahme“ geschrieben, in dem er sich mit dem Islam und der Einwanderung nach Europa und Deutschland auseinandersetzte. Wer gegen Minderheiten hetze, für den sei kein Platz in der Partei, sagte der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil bereits im Januar. Außerdem hatte Sarrazin 2018 bei einer Anhörung im Bundestag auf Einladung der AfD gesprochen und war in Österreich bei einer Veranstaltung einer FPÖ-nahen Organisation aufgetreten.
In erster und zweiter Instanz entschieden das SPD-Kreisschiedsgericht in Charlottenburg-Wilmersdorf und das Landesschiedsgericht auf Parteiausschluss. Sarrazin wurden „antimuslimische und kulturrassistische Äußerungen“ vorgeworfen. Er habe der SPD schweren Schaden zugefügt und gegen die Grundsätze der Sozialdemokratie verstoßen. Doch Sarrazin wollte seinen Rauswurf nicht hinnehmen und ging in Berufung. Nun musste sich erstmals die Bundesschiedskommission der SPD mit dem Fall Sarrazin befassen.
Die Bundesschiedskommission ist das höchste Schiedsgericht der Partei, ihre sieben Mitglieder sind unabhängig und nicht an Weisungen der Parteiführung gebunden. Der Vorsitzende der Kommission, Thorsten Jobs, kennt sich mit komplizierten juristischen Streitfragen aus, er ist Richter am Oberverwaltungsgericht in Potsdam.
Einer der stellvertretenden Vorsitzenden ist Roland Rixecker, der Präsident des saarländischen Verfassungsgerichtshofs. In der Verhandlung traten neben dem Beschwerdeführer Sarrazin der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sowie zwei Vertreter des Kreisverbands Charlottenburg-Wilmersdorf auf.
Nach Informationen aus der mitgliederöffentlichen Anhörung vor dem Bundesschiedsgericht versuchte Sarrazin vor allem den Vorwurf zu entkräften, dass er in seinem Buch „Feindliche Übernahme“ gegen die Grundsätze der SPD erheblich verstoßen habe. Ihm sei in der Urteilsbegründung der Landesschiedskommission vom Januar dieses Jahres unterstellt worden, er habe das geltende Hamburger Programm der Bundes-SPD für sich selbst nicht verbindlich erklärt.
Das sei falsch, er habe das aktuelle Programm gar nicht erwähnt und gesagt, dass er zu den Grundwerten des Godesberger Programms von 1959 - Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität - stehe.
An diesen Grundsätzen, so Sarrazin in der Verhandlung, habe sich bis heute nichts geändert, auch sein letztes Buch stehe in voller Übereinstimmung mit dem Hamburger Programm. In einer 14-seitigen Verteidigungsschrift versuchte er dies im Detail zu belegen.
Dem SPD-Parteivorstand und dessen Gutachtern warf er vor, seine „wissenschaftlichen Hypothesen“ zur kulturellen Prägung der islamischen Welt durch die Religion des Islam mit dem „negativen moralischen Vorurteil des antimuslimischen, kulturellen Rassismus“ zu versehen. Ihm sei in dem Buch „Feindliche Übernahme“ kein sachlicher Fehler nachweisbar. Die Behauptung von Gutachtern des Parteivorstands, seine Quellen seien unseriös, nannte Sarrazin „unerhört und anmaßend“.
Sarrazins Parteibuch angeblich nicht auffindbar
Zu Ende ist der Fall Sarrazin für die SPD aber noch lange nicht. Der von Sarrazin angekündigte Rechtsstreit könnte sich über Jahre hinziehen – zumal Sarrazin notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht gehen will, um Mitglied der SPD zu bleiben Abgegeben hat Sarrazin sein Parteibuch übrigens bis heute nicht, wie bereits die Landesschiedskommission mitteilte.
Zur Begründung sagte er, es müsse im Lauf der Zeit verloren gegangen sein. Er könne es trotz intensiver Suche nicht finden.