Flüchtlingskrise: Europa will in Afrika investieren
Merkel sieht dort das „größte Migrationsproblem“ – dabei ist Deutschland nur gering betroffen. Die Angst vor afrikanischen Einwanderern ist größer als ihre Chance je im Deutschland anzukommen.
Afrika ist nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel die größte Herausforderung für die Europäischen Union (EU) in der Migrationspolitik. Die Probleme mit Irak und Syrien könnten in absehbarer Zeit gelöst werden, sagte Merkel auf dem Wirtschaftstag der CDU in Berlin. „Das zentrale Problem ist die Migration aus Afrika mit 1,2 Milliarden Menschen“, sagte sie. In Afrika gebe es ein erhebliches Bevölkerungswachstum und gleichzeitig keine ausreichende wirtschaftliche Entwicklung. „Wir müssen uns zentral mit Afrika beschäftigen“, forderte sie. Ansonsten lasse sich die künftige Migration von Menschen nicht in den Griff bekommen. Denn die Digitalisierung bewirke gleichzeitig, dass die Menschen in Afrika über Smartphones sehr gut über die riesigen Wohlstandsunterschiede informiert würden. „Wir Europäer haben eine geografisch komplizierte Lage“, sagte sie mit Blick auf Afrika und den Nahen Osten.
Der frühere Bundespräsident Horst Köhler hatte vor der CDU-CSU-Fraktion im Bundestag schon im März gesagt: „Kein Land kann sich abschotten von den Problemen der Welt und Deutschland, das seinen Wohlstand der Offenheit der Welt verdankt, schon gar nicht.“ Deshalb wirbt Köhler seit Jahren für mehr Investitionen auf dem Nachbarkontinent. Dem schließt sich nun auch die Europäische Investitionsbank (EIB) an. EIB-Chef Werner Hoyer sagte der „Süddeutschen Zeitung“: „Es ist entscheidend, dass Europa jene Länder unterstützt, die eine große Zahl an Flüchtlingen aufgenommen haben.“ Das Geld solle vor allem Projekten in Jordanien, Libanon, Ägypten und den Maghreb-Staaten zugutekommen. Auch Westbalkanländer wie Serbien und Albanien sollten in hohem Maß davon profitieren. Unter anderem sei geplant, Schulen zu bauen und Gesundheitssysteme zu verbessern. Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten der Europäischen Investitionsbank im März den Auftrag erteilt, einen Vorschlag zu machen. Bislang sind für Investitionen in Bildung, das Gesundheitswesen und Basisinfrastruktur wie Wasser- und Sanitärversorgung 7,5 Milliarden Euro für fünf Jahre vorgesehen. Hoyer fordert diese Summe um sechs Milliarden Euro aufzustocken. „Die zusätzlichen sechs Milliarden Euro an Krediten könnten bis zu 15 Milliarden Euro an neuen Investitionen bringen.“
Die Angst vor den afrikanischen Flüchtlingen
Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte: „Wir haben keine überzeugenden europäischen Antworten in der Flüchtlingskrise. Wir müssen unsere Außengrenzen besser kontrollieren. Dafür brauchen wir unsere Nachbarländer als Partner, auch die Türkei. Das ist ganz unabhängig davon, ob uns das Regime dort gefällt oder nicht.“ Im übrigen sagte er ebenfalls beim CDU-Wirtschaftrat unter großem Applaus: „Ein Christ muss barmherzig sein, aber der Staat darf nicht barmherzig sein, er muss gerecht sein, weil er sonst Stabilität und Gerechtigkeit nicht gewährleisten kann.“ Er plädierte dafür, Not und Elend dort anzugehen, „wo die Flüchtlinge herkommen. Wir werden uns viel stärker im mittleren Osten und in Afrika engagieren müssen“. So ähnlich sieht das auch Jeroen Dijsselbloem, der Sprecher der Euro-Gruppe: „Die Flüchtlingskrise und der Terrorismus haben uns schmerzhaft vor Augen geführt, dass die EU Wohlstand und Sicherheit für alle nicht leisten kann, wie wir uns das eigentlich vorstellen würden. Wir spüren, wie die starke Zuwanderung uns unter Druck setzt. Wir müssen nun das soziale Gleichgewicht schützen. Und: Die EU ist nicht kugelsicher, die Außengrenzen sind bisher nicht stark genug.“ Er betonte, dass die Zuwanderung durch Flüchtlinge nicht die demographischen Probleme in Europa lösen könne.
Der Chef der EU-Grenzschutzagentur Frontex, Fabrice Leggeri, bestätigte, dass aktuell die Zahl der Flüchtlinge aus Afrika steigt. Aus Libyen und Ägypten versuchten sie Italien zu erreichen. „Das wird wohl der Schwerpunkt dieses Jahres“, sagte Leggeri. Er forderte mehr legale Einreisemöglichkeiten nach Europa - „für schutzbedürftige Menschen, aber auch für jene, die aus wirtschaftlichen Motiven auswandern“. Der Zuzug von Flüchtlingen nach Europa werde noch lange anhalten, „weil dessen Ursachen nicht so schnell verschwinden werden“, sagte Leggeri mit Blick auf Kriege und Gewalt. „Aber das sollte uns keine Angst machen. Die Geschichtsbücher sind voll von Völkerwanderungen“, sagte er.
Die Fakten sprechen eine andere Sprache
Schon 2010 hat Susanne Schmid für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BaMF) einen Forschungsbericht über das Migrationspotenzial aus Afrika vorgelegt. Als Gründe für Migrationsbewegungen nannte sie in dem Bericht wie Merkel das schnelle Bevölkerungswachstum bei gleichzeitiger hoher Arbeitslosigkeit. Der Jugend fehlt es an Perspektiven. Wer gut gebildet ist, sucht Chancen anderswo. Vor dem arabischen Frühling gehörte Libyen zu den Zielstaaten afrikanischer Arbeitsmigranten. Dort gab es in der Ölindustrie aber vor allem in den Dienstleistungssektoren Arbeitsmöglichkeiten für Hunderttausende Afrikaner vor allem aus West- und Ostafrika. Seit dem Zusammenbruch Libyens ist das Land nur noch ein Transitland in Richtung Europa.
Bis 2013 gehörten auch Saudi-Arabien und die arabischen Emirate zu bevorzugten Zielländern für Arbeitsmigranten. Zwischen 1998 und 2013 hat die Internationale Migrationsorganisation (IOM) eine gute halbe Million vor allem Somalier und Äthiopier registriert, die mit oft nicht seetüchtigen Schiffen den Golf von Aden in Richtung Jemen überquert haben, um auf der arabischen Halbinsel Arbeit zu suchen. Angesichts der Krise in Jemen und verschärften Einreiseregelungen in Saudi-Arabien seit 2013 registriert die IOM inzwischen Bewegungen in beide Richtungen. Viele Somalier und Äthiopier kehren inzwischen zurück. Eine weitere Migrationsroute führt nach Süden durch Kenia, Tansania bis nach Südafrika. Dort finden viele Afrikaner Arbeit, andere wandern von dort aus weiter Richtung Amerika, über Brasilien, Mittelamerika bis in die USA.
Warum wandern Menschen aus?
Migrationsgründe hat Susanne Schmid in ihrer Studie bereits viele gefunden. Neben der schlechten Regierungsführung in vielen Ländern nannte sie auch die europäische Subventions- und Handelspolitik als Entwicklungshindernis für viele afrikanische Staaten. Dazu kommen Risiken wie der Klimawandel, Unsicherheit und Kriege, die wiederum Menschen in Bewegung bringen. Dennoch bleiben die meisten Afrikaner auf dem Kontinent. Entweder, weil sie schnell wieder zurück wollen, oder weil sie sich die Bezahlung teurer Schlepper gar nicht leisten können. Eine Passage über das Mittelmeer kostete für Afrikaner 2015 zwischen 800 und 1000 Dollar, hat das Institut für Sicherheitsstudien (ISS) in Südafrika in einer aktuellen Studie ermittelt. Das reicht aber oft nur für Plätze im Rumpf des Schiffes, wo die Afrikaner oft genug auch noch eingeschlossen werden und im Falle eines Kenterns keine Chance haben, zu entkommen. Allein im Mai hat die IOM mehr als 1000 Tote oder vermisste Flüchtlinge auf dem Mittelmeer registriert.
Claudia Schmid hat in ihrer Studie übrigens festgestellt, dass die meisten politischen Lösungswege, die aktuell versucht werden, kaum einen zählbaren Effekt bringen. „Die Einführung strengerer Einreisebestimmungen und verstärkter Grenzsicherungsmaßnahmen führt zumeist nicht zu weniger Zuwanderung, sondern zur Zunahme irregulärer Migration bei gleichzeitiger Routenverlagerung“, schrieb sie in ihrer Studie. Eine „ Verbesserung der Lebensverhältnisse in den Abwanderungsländern könnte paradoxerweise dazu führen, dass der Wanderungsdruck – bis zum Erreichen einer gewissen Einkommensschwelle – zunimmt, weil damit auch die Zahl der mobilitätswilligen und -fähigen Personen steigt“, schrieb sie. Eine Erfahrung, die Deutschland gerade mit Flüchtlingen aus Afghanistan macht. Aber: „Die Analysen für Deutschland haben ergeben, dass das Migrationspotenzial und die tatsächliche Zuwanderung von Afrika nach Deutschland auf geringem Niveau (20 000 bis 35 000 pro Jahr) verbleiben dürften.“ mit epd/dpa
Dagmar Dehmer