zum Hauptinhalt
Gute und schlechte Nachrichten. Dank Entwicklungshilfe können immer mehr afghanische Kinder zur Schule gehen. Doch nur wenige finden danach Arbeit.
© Ulrike Scheffer

Perspektivlosigkeit treibt Flüchtlinge aus Afghanistan: In Kabuler Reisebüros werben Schleuser

Nicht die schlechte Sicherheitslage treibt Afghanen in die Flucht. Schulabgänger sehen vielmehr keine Perspektive für sich in ihrem Heimatland. Trotz massiver Aufbauhilfe gibt es kaum Jobs.

Für 18.500 Dollar ist es zu haben: ein neues Leben in Deutschland. Das jedenfalls steht auf den Zetteln, die derzeit in Kabul, der Hauptstadt Afghanistans, kursieren. Wer die darauf angegebene Telefonnummer anruft, dem wird ein Visum für Deutschland versprochen. Kein echtes natürlich. Afghanen stellen inzwischen hinter Syrern und Irakern die drittstärkste Gruppe in der deutschen Asylstatistik. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums reisten allein im September mehr als 18.000 Afghanen nach Deutschland ein. Die Mehrzahl kommt allerdings nicht mit gefälschten Visa per Flugzeug, sondern schlägt sich über den Iran, die Türkei und die sogenannte Balkanroute durch, um in Deutschland Asyl zu beantragen. In Kabuler Reisebüros werben Schleuser ganz offen um Kunden.

Fehlende Sicherheit

In der vergangenen Woche hätten 10.000 Afghanen einen Reisepass beantragt, berichtet der Grünenpolitiker Omid Nouripour, der gerade aus Afghanistan zurückgekehrt ist. Dort habe er auch die Werbezettel gesehen. Nouripour spricht von einer „Exodus-Stimmung“ in dem Land, das seit 14 Jahren massive Aufbauhilfe der internationalen Gemeinschaft erhält. 430 Millionen Euro fließen allein aus Deutschland jedes Jahr nach Afghanistan.

Doch seit dem Ende des Nato-Kampfeinsatzes am Hindukusch Ende 2014 hat sich die Sicherheitslage Schritt für Schritt verschlechtert. In der Mehrzahl der afghanischen Provinzen kämpfen die afghanischen Sicherheitskräfte gegen Aufständische. Ihr Hauptgegner sind die Taliban, doch auch der sogenannte Islamische Staat hat inzwischen in Afghanistan Fuß gefasst. Hinzu kommen die Milizen ehemaliger Kriegsherren, die eine weitere Destabilisierung des Landes ausnutzen könnten, um wieder eigene Einflussgebiete abzustecken. Die afghanischen Sicherheitskräfte erhalten zwar weiter Ausbildungshilfe durch die USA und die Nato. Auch 860 Bundeswehrsoldaten sind in dieser Mission in Afghanistan und in Usbekistan stationiert. Zuletzt gelang es den Taliban aber sogar, mit Kundus eine Provinzhauptstadt einzunehmen.

Gute Ausbildung, keine Jobs

Dennoch wird die Sicherheitslage in diplomatischen Kreisen in Kabul nicht als der entscheidende Grund für die Massenflucht aus Afghanistan gesehen. „Es ist vielmehr die Perspektivlosigkeit, gerade bei jungen Afghanen“, sagte ein Diplomat dem Tagesspiegel. Und in gewisser Weise ist sogar der Erfolg der Aufbauhilfe für die Entwicklung mitverantwortlich. Denn inzwischen verlassen immer mehr Jugendliche und junge Erwachsene die neu aufgebauten Schulen und Universitäten des Landes. Das Auswärtige Amt gibt allein die Zahl der Abiturienten für 2015 mit 248 000 an.

Der Deutsche Akademische Austauschdienst beziffert die Zahl der Bachelorabschlüsse derzeit mit rund 100 000 pro Jahr. Tendenz steigend. Das sind eigentlich gute Nachrichten aus einem Land, in dem selbst Polizisten oftmals kaum lesen und schreiben können. Die schlechte Nachricht lautet: Es gibt in Afghanistan viel zu wenig Jobs für junge, gut ausgebildete Berufseinsteiger. Und die wenigen, die es gibt, werden meist nicht nach Qualifikation, sondern über Beziehungen vergeben. Diese Gemengelage, so sagen Beobachter in Kabul, sei vermutlich der Hauptgrund für die steigenden Flüchtlingszahlen.

Politische Lähmung

Omid Nouripour beschreibt aber auch die politische Situation in Afghanistan als problematisch. Mehr als ein Jahr nach der Bildung einer Koalitionsregierung zwischen den beiden Präsidentschaftskandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah seien noch immer nicht alle Regierungsposten besetzt, sagte er am Montag in Berlin. „Personalfragen stehen im Mittelpunkt der Politik“, sagt der Grünenpolitiker. In diplomatischen Kreisen in Kabul wird von einer „politischen Lähmung“ des Landes gesprochen. Auch das treibe vermutlich viele in die Flucht. Der frühere Präsident Hamid Karsai wandte sich kürzlich mit einem Appell an seine Landsleute und forderte sie zum Bleiben auf. Auch eine Medienkampagne wurde gestartet. Ob das viel nutzt, ist allerdings fraglich.

Zur Startseite