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Eritreer sind eine der größten Flüchtlingsgruppen - und das schon seit Jahren. Hier campen einige vor dem Berliner Lageso.
© Axel Schmidt/Reuters

Flucht nach Europa: "Eritrea ist ein großes Gefängnis"

22 Jahre nach dem Ende des Unabhängigkeitskampfes von Eritrea verlässt die Jugend das Land in Scharen in Richtung Sudan, Äthiopien und auch nach Europa.

Eritrea ist 22 Jahre alt. Aber eine Wahl hat es in dem kleinen Land am Horn von Afrika noch nie gegeben. Die einzige Abstimmung, die bereits seit Mitte der 2000er Jahre stattfindet, ist die mit den Füßen. Nach Schätzung des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR verlassen jeden Monat etwa 5000 junge Eritreer ihr Land. Sie flüchten vor einer paranoiden, diktatorischen Regierung, die den ursprünglich 18 Monate langen Militärdienst inzwischen auf Lebenszeit verlängert hat – und die Wehrpflichtigen als Zwangsarbeiter einsetzt.
Sie flüchten in den Sudan, nach Äthiopien, über Djibouti und den Golf von Aden in den Jemen, obwohl dort seit dem Frühjahr Krieg herrscht. Sie kämpfen sich durch die Wüste nach Libyen, um von Menschenschmugglern mit einem Seelenverkäufer nach Italien geschickt zu werden. Oder sie flüchten durch den gefährlichen Sinai nach Israel, wo sie eingesperrt und bald wieder abgeschoben werden. Oft kommen sie gar nicht so weit, sondern werden von Banditen gefangen. Die Kidnapper verkaufen die Organe ihrer Gefangenen, oder erpressen große Summen von den Familien der Opfer. Tausende eritreische Flüchtlinge sind gefoltert, vergewaltigt, verstümmelt worden, bevor sie es geschafft haben, einen der Häfen zu erreichen, um weiter nach Europa zu fliehen. Hunderte sind auf dem Weg dorthin gestorben, 2013 kamen bei einem Unglück vor Lampedusa allein mehr als 300 Eritreer um. Hunderte sind in der Wüste vermisst.
Nach den Syrern, Irakern und Afghanen sind die Eritreer die größte Gruppe geflüchteter Menschen, die es irgendwie bis nach Europa geschafft haben. In Deutschland gehören sie zu den wenigen, die Aussicht auf Asyl haben, weil seit dem Sommer auch der erste Länderbericht des UN-Menschenrechtsrats nur einen Schluss zulässt: In Eritrea ist niemand vor Verfolgung sicher. Flüchtlinge, die in Lampedusa angekommen sind, haben in Interviews immer wieder gesagt: „Eritrea ist ein großes Gefängnis.“

Isayas Afewerki ist seit 22 Jahren Präsident von Eritrea. Zuvor hat er den Freiheitskampf gegen Äthiopien angeführt. Er hat das Land seit 2001 ziemlich komplett isoliert.
Isayas Afewerki ist seit 22 Jahren Präsident von Eritrea. Zuvor hat er den Freiheitskampf gegen Äthiopien angeführt. Er hat das Land seit 2001 ziemlich komplett isoliert.
© Atta Kenare/AFP

Beim EU-Afrika-Flüchtlingsgipfel in Valetta auf Malta sind die eritreischen Flüchtlinge auch ein Thema. Außenminister Osman Saleh Mohammed, ein enger Vertrauter des ehemaligen Freiheitskämpfers und Langzeitdiktators Isaias Afewerki, saß dort mit 60 Staats- und Regierungschefs, die darüber berieten, wie viel Europa dafür bezahlen muss, damit die afrikanischen Staaten ihre Bürger von der Flucht abhalten. Ein Fonds in einer Höhe von 1,8 Milliarden Euro ist dafür im Gespräch - und war am Ende des Gipfels noch nicht solide finanziert. Senegals Präsdient Macky Sall sagte dazu, das sei nicht genug Geld für ganz Afrika. Doch das seit einem guten Jahrzehnt komplett isolierte Eritrea soll 200 Millionen Euro europäischer Entwicklungshilfemittel bekommen. Das Land gehört zudem zur Steuergruppe des sogenannten Khartum-Prozesses, über den beispielsweise Rückübernahmeabkommen und Hilfe für die Grenzsicherung erreicht werden sollen.

Eritrea hat sich fast vollständig isoliert

Seit die Auslandssteuern – jeder Eritreer im Ausland muss zwei Prozent seines Einkommens an die Regierung in Asmara abtreten – nicht mehr so üppig fließen, beginnt das Land sich etwas zu öffnen. 2007 hatte Deutschland die Entwicklungszusammenarbeit mit Eritrea beendet, weil es keine Basis für einen Zusammenarbeit mehr gegeben habe. Der Afrikabeauftragte des Auswärtigen Amts, Georg Schmidt, hat aber in diesem Jahr Asmara erstmals wieder besucht, und Mitte Dezember will Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) sich selbst ein Bild vor Ort machen. Erst vergangene Woche ist eine deutsche Delegation auf Arbeitsebene in Asmara gewesen. Der finnische Parlamentsabgeordnete Pekka Haavisto hat die Deutschen in Asmara getroffen, berichtete er am Mittwochabend beim Abschiedssymposium für Klaus Töpfer als Gründungsdirektor des IASS-Instituts in Potsdam.

Menschenrechtsorganisationen haben wütend dagegen protestiert, dass Europa mit der Regierung in Asmara kooperiert. Doch Haavisto, der auch in der westsudanesischen Krisenregion Darfur schon vermittelt hat, sieht das anders. "Was ist erfolgreicher: totale Isolation oder vorsichtige Annäherung?" Er verwies auf Birma oder Kuba, "wo sich einiges bewegt". Darauf hofft er auch im Falle Eritreas. Allerdings weiß er, dass es nicht einfach wird. In Regierungskreisen heißt es, dass nicht nur wegen der Flüchtlingskrise die Einsicht gereift sei, dass mit der bisherigen Isolationsstrategie in Eritrea kaum etwas zu gewinnen sei.

Fortschritte bei der medizinischen Versorgung

Wenige medizinische Hilfsorganisationen sind inzwischen wieder im Land. Dazu gehört auch die deutsche Ärzteinitiative Archemed, die zwar 2010 erst gegründet worden ist. Doch die beteiligten Ärzte haben zum Teil schon seit mehr als 20 Jahren vor allem Kinder behandelt, Krankenhäuser eingerichtet und medizinisches Personal ausgebildet. Der Vorsitzende des Vereins, Peter Schwidtal, sagt: "Die eritreische Regierung will kooperieren und hat viel in das Gesundheitswesen investiert." Die Vereinten Nationen haben in ihrer Berichterstattung über die Milleniums-Entwicklungsziele festgehalten, dass die Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren und die Müttersterblichkeit erheblich gesunken seien.

Minen statt Auslandssteuern

Seit ein paar Jahren haben Minenkonzerne aus Kanada, Australien, Russland und China Eritrea entdeckt. Der kanadische Bergbaukonzern Nevsun hat 2007 mit der Regierung in Asmara einen Vertrag geschlossen, der Afewerki und seinen Vertrauten in den kommenden zehn Jahren 14 Milliarden Dollar Einnahmen aus der Goldförderung bringen soll. Sunridge Gold Corp. fördert seit diesem Jahr Gold nicht allzu weit von der Hauptstadt entfernt. Die Straße dorthin haben Wehrpflichtige im Arbeitsdienst bauen müssen.

Es gibt wirtschaftlich offenbar interessante Vorkommen an Kupfer, Zink aber auch von seltenen Erden wie beispielsweise Tantal. Vor der Küste werden Öl- und Gasvorkommen vermutet. Die australische Firma Danakali plant die Ausbeutung größerer Kalisalzvorkommen, die zu Düngemittel verarbeitet werden können. Den möglichen Investoren in das Joint Venture mit einem eritreischen Staatskonzern macht ein Verkaufsprospekt das Projekt folgendermaßen schmackhaft: "Eritrea hat möglichen Investoren viele Vorteile zu bieten. Es verfügt über eine sichere und stabile Regierung mit ein gut ausgebildeten und disziplinierten Arbeitskräften."

Der ewige Krieg mit Äthiopien

Der neue Informationsminister Yemane Gebremeskel, sein Vorgänger flüchtete im späten Frühjahr aus Eritrea, bezeichnete die internationale Berichterstattung über den Valletta-Gipfel und die Flüchtenden aus Eritrea im britischen Sender BBC als "Schmierenkampagne". Eritrea sei gezwungen, Hunderttausende im Wehrdienst zu halten, weil das Land vom großen Nachbarn Äthiopien bedroht werde. 30 Jahre hat der Unabhängigkeitskampf Eritreas von Äthiopien gedauert. Zehntausende starben in den Kämpfen. Isaias Afewerki gehörte zu den bewunderten Anführern der Rebellion - und fordert von seinem Volk bis heute Dankbarkeit und Gehorsam dafür.

Nach der Unabhängigkeit, für die mehr als 99 Prozent der Eritreer in einem Referendum gestimmt hatten, endeten die Spannungen nicht. 1998 bis 2000 kämpften die Nachbarn erneut mit Zehntausenden Opfern auf beiden Seiten. In Algier wurde schließlich ein Friedensvertrag geschlossen. Eine Grenzkommission sollte die Grenze zwischen Eritrea und Äthiopien festlegen. Der Internationale Gerichtshof verurteilte Äthiopien zur Anerkennung der Ergebnisse der Grenzkommission. Allerdings entschied der Internationale Gerichtshof auch, dass Eritrea den Krieg damit begonnen habe, dass es äthiopisches Gebiet besetzt habe. Beiden Regierungen dienen die Richtersprüche dazu, sich als Opfer zu stilisieren. Der Grenzkrieg zwischen Eritrea und Äthiopien ist ein seit mehr als einem Jahrzehnt "eingefrorener Konflikt".

Dagmar Dehmer

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