zum Hauptinhalt
Frankreichs Präsident bei seiner Rede an der Sorbonne zur Zukunft in Europa.
© Reuters

Nach Macrons Rede: Europa wartet nicht

Deutsches Zögern wird Macron nicht von seinem Projekt einer größeren Integration abhalten. Er könnte sich andere Partner suchen. Ein Kommentar.

Da helfen keine Dementis. Natürlich hat das Ergebnis der Bundestagswahl Auswirkungen auf die Europäische Union und auf die deutsche Europapolitik. Erst nach dem 24. September wollte sie detaillierte Vorstellungen über die künftige Entwicklung der Union und speziell der Euro-Zone präsentieren, hatte Angela Merkel vor der Wahl klar gemacht. Dabei hatte sie vor allem Angst, die Ankündigung eines stärkeren deutschen finanziellen Engagements würde EU-Skeptiker von der AfD über die CSU bis zur FDP stärken. Und natürlich hielt der französische Staatspräsident Emmanuel Macron seine Grundsatzrede zur Zukunft Europas genau deshalb zwei Tage nach der Bundestagswahl. Denn klar war, dass bei Merkel genau wie bei Macron ein Gedanke zentrale Bedeutung haben musste: dass nach dem Brexit und der immer noch nicht ausgestandenen Euro-Krise ein Mehr an Kooperation auf allen Gebieten und nicht etwa ein Weniger im Mittelpunkt stehen müssten.

Taktisch war der Zeitpunkt also geschickt gewählt. Macron wollte mit der Rede an der Sorbonne seine Koordinaten für das künftige Euro-Europa vor dem Beginn der Koalitionsverhandlungen in Berlin fixieren. Mit zwei Forderungen kam er deutschen Erwartungen entgegen: ein europäisches Militärbudget könnte die Rolle der EU im Konzert der globalen Mächte glaubwürdiger machen. Ein gemeinsamer Grenzschutz würde Griechenland und Italien entlasten, jene Länder, in denen jetzt die meisten Flüchtlinge anlanden. Der unausgesprochene Deal zwischen Macron und Merkel sah aber mehr vor: Frankreich führt die notwendigen Wirtschaftsreformen durch, Deutschland sträubt sich im Gegenzug nicht gegen die Institutionalisierung eines Euro-Finanzministers und die Bildung eines europäischen Währungsfonds, der die Hilfe des IWF überflüssig macht.

Kein Land hat mehr profitiert als Deutschland

Zwei der vier Parteien einer deutschen Jamaika-Koalition sehen solche Entwicklungen skeptisch. CSU und FDP werden versuchen, in einem Koalitionsvertrag festzuschreiben, dass die EU keine Transferunion werden dürfe, wie sie eine stärkere Bereitschaft der starken Euro-Länder zu einem finanziellen Engagement innerhalb der 19 Euro-Staaten nennen. Horst Seehofer, durch ein miserables Wahlergebnis angeschlagen, hat diese Richtung bereits markiert. Und mit der AfD sitzt nun eine Anti-Euro-Partei im Bundestag, die alle Kraft einsetzen wird, jede Nachgiebigkeit der Bundesregierung in finanziellen Fragen als Verrat an der Stabilität des Staates anzuprangern.

Nicht nur die AfD, auch CSU, FDP und der konservative Flügel der CDU verweigern sich der Erkenntnis, dass kein europäisches Land so umfangreich vom Euro profitiert wie Deutschland und dass deshalb die Vorstellung eines europäischen Konjunkturprogramms für Südeuropa mit deutscher Unterstützung nicht absurd ist. Es ist kein Geheimnis, dass Emmanuel Macron auf eine Fortsetzung der Europa-freundlichen großen Koalition in Berlin gehofft hatte. Er kann sich aber nicht durch deutsches Zögern von seinen Plänen abbringen lassen. Seine Glaubwürdigkeit im eigenen Land und als europäische Galionsfigur steht auf dem Spiel. Er wird sich andere Partner suchen, und das können nach Lage der Dinge nur die südeuropäischen Staaten sein. Wenn sich Deutschland also verweigert, verzichtet es darauf, Einfluss auf die künftige Entwicklung der Euro-Zone zu nehmen – eigentlich unvorstellbar.

Gerd Appenzeller

Zur Startseite