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Ein Wahlplakat mit Frauke Petry an einer Laterne in Rathmannsdorf (Sachsen), im Hintergrund das stillgelegte Bahnhofsgebäude.
© picture alliance / Monika Skolim

Nach der Bundestagswahl: Vier Thesen zum AfD-Erfolg in Ostdeutschland

Wenn Protest auf Frust trifft: Im Osten gab jeder Vierte seine Stimme der AfD. Welche Gründe stecken dahinter? Ein Deutungsversuch.

Von Antje Sirleschtov

Es ist eines der Ergebnisse dieser Bundestagswahl: Jeder vierte Ostdeutsche hat seine Stimme der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) gegeben. In Sachsen, das seit der Wiedervereinigung von der CDU regiert wird, erhielt die AfD sogar 27 Prozent – und damit mehr Stimmen als die CDU. Und selbst in Thüringen, wo die Linkspartei mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten stellt und der AfD-Politiker Björn Höcke auf Marktplätzen offen rassistische Reden hielt, entschieden sich fast 23 Prozent der Wähler für die AfD.

In wenigen Tagen, am 3. Oktober, begehen die Deutschen den Tag der Einheit, zum 27. Mal. Obwohl die alljährlichen Berichte der Bundesregierung über den wirtschaftlichen Stand der Einheit noch immer einen beachtlichen Abstand zur Entwicklung des Westens belegen, gibt es viele Zeichen dafür, dass die Wirtschaft der östlichen Bundesländer wächst und sich die Lücke bei den Lebensverhältnissen in Ost und West stetig – wenn auch langsam und regional unterschiedlich – schließt. Warum schenken dennoch so viele Menschen zwischen Rostock und Bautzen der AfD ihr Vertrauen? Ein Deutungsversuch in vier Thesen.

1. Protest gegen „Die da oben“

Fragt man AfD-Wähler nach den Gründen ihrer Stimmabgabe, offenbart sich weit überwiegendes Desinteresse an programmatischen Inhalten der Partei. Stattdessen wird berichtet von Widersprüchen zwischen dem, was aus dem Mund von Vertretern der bundesweit agierenden „Altparteien“ zu hören ist, und den eigenen Lebenserfahrungen. Begriffe, wie „wirtschaftliche Stärke Deutschlands“ oder „Vollbeschäftigung“ prallen (mal abgesehen von eng begrenzten ostdeutschen Boomregionen) auf das Erleben einer unternehmens- und wachstumsarmen Heimatregion. In dieser sind Minijobs an der Tagesordnung und werden Handwerker zu Nomaden, die ihr Geld im Westen verdienen oder mit polnischen und tschechischen Niedrigpreis-Wettbewerbern zu kämpfen haben.

Deshalb wählten im Osten nicht nur sozial Schwache, sondern vergleichsweise viele kleine Mittelständler AfD. Die so genannten „Altparteien“ reden von Globalisierung und Digitalisierung und hinterlassen den Eindruck großer thematischer Ferne. Dagegen regt sich Widerstand in der Wahlkabine. Das Erschrecken der Demokraten davor, dass so viele Ostdeutsche eine Partei wählen, deren Vertreter zum Teil offen rassistisch auftreten, bestätigt die Protestwähler sogar: Jetzt wachen sie auf.

2. Die Linke verliert Bindungskraft

Nur ein Beispiel: Im Osten Brandenburgs, in Frankfurt/Oder, kam die Linkspartei 2013 mit 24,7 Prozent der Zweitstimmen auf Platz Zwei. In diesem Jahr wurde sie von der AfD (22,1 Prozent) nach unten durchgereicht. So sieht es in vielen Regionen des Ostens aus. Die Linke war zwei Jahrzehnte lang der „Protest-Anker“ der Ostdeutschen. Eine Partei, die in den Regionen breit aufgestellt war und ein „Wir-sind-doch-alle-Ossis-Gefühl“ vermittelte. Doch mittlerweile gehört die Linke zum Establishment. Und weil Protest im Osten auch immer latent Protest gegen den etablierten Westen ist, übernimmt die AfD diese Funktion.

3. Der Staat kümmert sich nicht

Wer vierzig Jahre alt war, als die Mauer fiel, war geprägt von einem Staat, der DDR, der allwissend war und das Leben bestimmte. 1990 kam Helmut Kohl und bestätigte die Menschen in ihrer Erfahrung: Der Staat wird es richten. Diese Erfahrung tragen viele ältere Ostdeutsche noch heute in sich – und sie haben sie an ihre Kinder weitergegeben.

Wer jedoch hinter die schmucken Fassaden auf den Marktplätzen der Mittel- und Kleinstädte schaut, erkennt Leerstand, Überalterung. Es fehlen Ärzte, die nächste Polizeistation ist weit, der örtliche Bahnhof längst abgebaut und selbst der Bus kommt nur noch zweimal am Tag vorbei. Wo nicht aktive Bürgermeister, Bürgerinitiativen oder Kirchengemeinden für gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgen, entsteht rasch der Eindruck des Verlassenseins, des Staatsversagens. Wenn diese Grunderfahrung nun auf die Nachricht vom Zuzug hunderttausender unregistrierter Flüchtlinge trifft, die nach Deutschland kommen, werden spontan Abwehrreflexe wach. Ganz gleich, ob man davon persönlich überhaupt betroffen ist oder nicht.

Ein Staat, der noch nicht mal Internetzugänge und regelmäßige Busverbindungen organisieren kann, der nicht genügend Schulen und Lehrer zur Verfügung stellt, wie soll der mit hunderttausenden Zuzüglern zurecht kommen? Wobei nicht vergessen werden darf: Es gibt nach wie vor große Wissenslücken über demokratische Strukturen und wenig traditionelle Bindungen an die Parteien, die das bundespolitische Geschehen dominieren – und damit wenig Vertrauen darin, dass eigenes gesellschaftliches Engagement wirkungsvoll sein kann oder Vertreter der „Altparteien“ an der Lösung der Probleme interessiert sind.

4. Die zerklüftete Gesellschaft

Die 90er Jahre mit ihren gewaltigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen haben dazu geführt, dass viele aktive und junge Ostdeutsche ihre Zukunft im Westen gesucht haben. Wer zurück blieb, war meist zu alt für einen Neubeginn, hat oft mehrere Firmenzusammenbrüche mit allen sozialen und emotionalen Folgen erlebt. Das hat Auswirkungen auf gesellschaftliche Bindungen, soziale Absicherung, wirtschaftliches Selbstvertrauen. Hier gibt es nichts zu vererben, es fehlen Kinder, die das Geschäft übernehmen und für Kontinuität sorgen, die Aussicht auf Altersarmut belastet vergleichsweise mehr Menschen als in Regionen des Westens.

Hinzu tritt oft die fehlende Erfahrung, dass das Aufstiegsversprechen der Marktwirtschaft real ist. Schließlich stehen an der Spitze der West-Tochterfirmen im Osten zu großen Teilen keine Ostdeutschen. So entstehen geschlossene Milieus, in denen nationalistische und rassistische Argumente kaum auf Widerstand stoßen.

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