Nach tödlichem Anschlag auf Atomwissenschaftler: Iranische Streitkräfte drohen Israel mit „fürchterlicher Rache“
Mohsen Fachrisadeh galt als Schlüsselfigur der iranischen Militärentwicklung. Seine Ermordung trifft das Land hart. Die Regierung zeigt auf den Erzfeind Israel.
Der iranische Präsident Hassan Ruhani wirft Israel die Tötung des Atomwissenschaftlers Mohsen Fachrisadeh vor. Einmal mehr seien die bösen Hände der globalen Arroganz mit dem Blut des zionistischen Regimes befleckt worden, erklärte Ruhani am Samstag dem staatlichen Fernsehen zufolge und nutzte den in der iranischen Führung gängigen Begriff für Israel. "Die Ermordung des Märtyrers Fachrisadeh zeigt die Verzweiflung unserer Feinde und die Tiefe ihres Hasses", sagte Ruhani. "Sein Martyrium wird unsere Erfolge nicht verlangsamen."
Es gebe "ernsthafte Hinweise" auf eine Beteiligung Israels an dem Anschlag auf Mohsen Fachrisadeh durch "Terroristen", schrieb auch Außenminister Mohammed Dschawad Sarif auf Twitter. Der Generalstabschef der Streitkräfte drohte "fürchterliche Rache" an.
Fachrisadeh war staatlichen iranischen Medien zufolge am Freitag nach einem Attentat nahe der Hauptstadt Teheran seinen Verletzungen erlegen. Sein Tod könnte in den letzten Wochen der Amtszeit von US-Präsident Donald Trump den Konflikt zwischen dem Iran und seinen Gegnern verschärfen. Zugleich dürfte das Trumps designiertem Nachfolger Joe Biden die Bemühungen erschweren, die Entspannungspolitik aus der Zeit von US-Präsident Barack Obama wiederzubeleben.
Fachrisadeh stand bei westlichen Staaten und in Israel im Verdacht, der Architekt eines verdeckten Atomwaffenprogramms gewesen zu sein. Dieses wurde nach Darstellung der Regierung in Teheran 2003 eingestellt. Die USA und Israel gehen davon aus, dass der Iran das Programm fortzusetzen versucht.
UN-Generalsekretär António Guterres Zurückhaltung mahnte zur Zurückhaltung. Man habe Berichte über den Vorfall zur Kenntnis genommen, teilte UN-Sprecher Farhan Haq der Deutschen Presse-Agentur am Freitag in New York mit. „Wir fordern Zurückhaltung und sehen es als notwendig an, dass Maßnahmen vermieden werden, die zu einer Eskalation der Spannungen in der Region führen könnten.“
Der 63 Jahre alte Mohsen Fachrisadeh wurde am Freitag nach Angaben der Regierung in seinem Auto angeschossen und schwer verletzt. Kurz darauf sei er in einem Krankenhaus gestorben.
Iran spricht von „Märtyrertod“
Das iranische Verteidigungsministerium sprach bei Bekanntgabe der Nachricht von einem „Märtyrertod“. Außenminister Dschawad Sarif berichtete von „ernstzunehmenden Hinweisen“ auf eine Beteiligung Israels. Zunächst gab es jedoch keine Klarheit, wer hinter dem Anschlag steckt.
Medienberichten zufolge wurde Fachrisadeh in Ab-Sard erschossen, einem Vorort östlich der Hauptstadt Teheran. Örtlichen Behörden zufolge wurden auch mehrere Angreifer getötet.
Das Verteidigungsministerium erklärte später in einer offiziellen Mitteilung über das Staatsfernsehen:„Wir geben hiermit den Märtyrertod von Dr. Mohsen Fachrisadeh bekannt.“
Der Kernphysiker war Mitglied der iranischen Revolutionsgarden und ein Experte für die Herstellung von Raketen. Nach Informationen der iranischen Nachrichtenagentur Fars sollen israelische Geheimdienste seit Jahren dahinter gewesen sein, ihn auszuschalten. Zuletzt leitete Fachrisadeh die Abteilung für Forschung und technologische Erneuerung im Verteidigungsministerium.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte ihn im Frühjahr 2018 im Zusammenhang mit einer Präsentation über das iranische Atomprogramm hervorgehoben. „Merken Sie sich diesen Namen: Fachrisadeh“, sagte Netanjahu damals. Irans Außenminister Sarif appellierte nun auf Twitter insbesondere an die Europäische Union, „ihre beschämenden Doppelstandards aufzugeben und diesen Akt des Staatsterrors zu verurteilen“.
Israel und der Iran sind Erzfeinde. Der Zerfall Israels und die „Befreiung Palästinas“ gehören zur außenpolitischen Doktrin der Islamischen Republik. Der jüdische Staat sieht sich durch den schiitischen Iran und sein Atomprogramm in seiner Existenz bedroht. Jüngst hatte Irans oberster Führer Ajatollah Ali Chamenei Israel als „Geschwulst“ bezeichnet, das mit einem Dschihad (Heiliger Krieg) der Palästinenser entwurzelt und entfernt werden müsse.
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Unter Präsident Donald Trump hatten die USA ein internationales Abkommen, das den Iran am Bau einer Atombombe hindern soll, 2018 einseitig aufgekündigt und neue Sanktionen gegen die Regierung in Teheran verhängt. Nach einer Frist von einem Jahr, in der Teheran die anderen Vertragspartner vergeblich zur Vertragseinhaltung drängte, hatte der Iran schrittweise ebenfalls fast alle Bestimmungen des Abkommens ignoriert. Ungewiss ist, ob die USA unter dem neugewählten Präsidenten Joe Biden zum Atomdeal zurückkehren könnten.
Im Sommer hatte es eine mysteriöse Brand- und Explosionsserie im Iran gegeben. Sie betraf unter anderem eine Atomanlage. Die Ursachen blieben meist unklar. Dies bot Raum für Spekulationen - auch über Israel als möglichen Urheber.
USA schweigen erst einmal
Die USA äußerten sich zunächst nicht zu der Ermordung. Präsident Trump leitete aber über seinen Twitter-Account unkommentiert einen Tweet des israelischen Journalisten Yossi Melman zum Tod Fachrisadehs weiter. Darin schrieb Melman, Fachrisadeh sei der Leiter des geheimen iranischen Militärprogramms gewesen und seit Jahren vom israelischen Geheimdienst Mossad gesucht worden. Sein Tod sei ein schwerer Schlag für den Iran. Melman äußerte sich in einem weiteren Tweet „verwirrt“ über Trumps Retweet.
Trump fährt seit der einseitigen Aufkündigung des Atomabkommens eine Kampagne des „maximalen Drucks“ mit harten Sanktionen, um den Iran zu zwingen, ein neues Abkommen mit weiter reichenden Auflagen zu verhandeln. Die Strafmaßnahmen der USA verschärften die Wirtschafts- und Finanzkrise im Iran. Teheran hat jedoch die Urananreicherung hochgefahren. Der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA verfügt der Iran nun über mehr als 2400 Kilogramm. Im Abkommen war eine Höchstmenge von rund 200 Kilogramm vereinbart.
Vergangene Woche hatten US-Medien berichtet, hochrangige Berater hätten Trump davon abgeraten, militärisch gegen eine iranische Atomanlage vorzugehen. Die Amtszeit des abgewählten Präsidenten endet am 20. Januar. Nachfolger Biden hat in Aussicht gestellt, in das Abkommen zurückzukehren, sofern der Iran sich ebenfalls wieder an die Obergrenzen halte.
Für Verwirrung sorgte zwischenzeitlich der Sprecher der iranischen Atomorganisation AEOI mit seinem Kommentar zu ersten Todesmeldungen. „Unsere Atomwissenschaftler sind alle gesund“, sagte Behrus Kamalwandi der Nachrichtenagentur Isna. Angeblich war Fachrisadeh nicht mehr Teil der AEOI, was das Dementi erklären würde. (dpa)