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CSU-Chef Horst Seehofer beim Parteitag 2017
© dpa/Sven Hoppe

Experte Oberreuter über den Zustand der CSU: „Es mangelt an politischer Intelligenz“

Das Soziale und das Christliche sei bei der CSU aufgrund der Flüchtlingsthematik völlig zurückgetreten, sagt der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter. Das habe verheerende Folgen für die Partei.

Herr Oberreuter, die CSU hat sich offenbar verrechnet. Sie gewinnt keine AfD-Wähler, verliert aber im bürgerlichen Spektrum. Wie konnte das passieren?

Durch Borniertheit und eindimensionale Betrachtungsweise komplexer Themenfelder. Vor der Bundestagswahl hat sich die CSU auf das Flüchtlingsthema konzentriert, hat einen Kriegszustand mit Angela Merkel inszeniert und dann aus Opportunitätsgründen wieder Waffenstillstand geschlossen, ohne dass die Frage wirklich geklärt gewesen wäre. Nun kam sie mit dem Versprechen, alles erfolgreich zu Ende zu bringen. Sie hat es zum Glaubwürdigkeitstest gemacht – mit der Anmaßung, von Bayern aus die Bundesrepublik und die europäischen Zusammenhänge gestalten zu können. Dabei wurde eine Koalitionskrise in Kauf genommen, die bis zur Staatskrise hätte führen können. Denn das wäre es geworden beim Bruch der Fraktionsgemeinschaft...

Manche in der CSU sagen: Der Wählerfrust liegt nicht an den Inhalten, sondern am Stil der Auseinandersetzung. Machen sie es sich mit dieser Erklärung zu einfach?

Streit hat Politikern und Parteien immer geschadet. Das Tohuwabohu hat aber auch bewirkt, dass die Flüchtlingsfrage für viele wieder ins Zentrum gerückt ist. Damit verbunden sind Unbehaglichkeits- und Unsicherheitsgefühle. Die Leute hätten das Problem gern gelöst. Sie empfinden die Verantwortlichen als entscheidungs- und handlungsunfähig in einer sie beunruhigenden Angelegenheit. Das Nicht-Entscheiden und der Stil der Auseinandersetzung haben gleichermaßen zu dem Zustimmungsverlust beigetragen.

Kann es die CSU ihren verschiedenen Wählergruppen überhaupt recht machen? Den einen ist sie zu heftig, den andern noch nicht heftig genug.

In einer Volkspartei wohnen nicht nur zwei Seelen, sondern Dutzende. Wenn ich die gesamte Kalkulation auf Rechtskonservative abstelle, die zur AfD abgewandert sind, sagen die Liberaleren logischerweise: Das trage ich nicht mit. Zu sagen, wir sind Volkspartei, holen uns aber unsere Wähler vom äußeren Rand, ist Schwachsinn. Die CSU muss sich ihre Wähler von überall herholen. Sonst gibt sie die Mitte und die konservative Linke preis. Das nicht zu sehen, bedeutet, dass es einem an politischer Intelligenz fehlt.

Die CSU stand immer auch fürs Soziale. Vernachlässigt die Partei diesen Aspekt und erklärt sich das Abwandern von Wählern auch dadurch?

Die monothematische Orientierung hat dazu geführt, dass man alles andere verdrängt hat, sogar eigene Verdienste. Dabei hat keiner im Land so viel getan für die Bewältigung der Flüchtlingskrise wie Bayern. Seehofers Hinweis, dass man sich immer an humanitären Verpflichtungen orientiert habe, ist nicht gelogen. Aber man hat sich mit dem ständigen Hinweis auf Missbrauch und durch Verbalinjurien in eine Ecke gestellt, in die man nicht gehört. Das Soziale und das Christliche ist in der Eigendarstellung völlig zurückgetreten gegenüber dem Ordnungs- und Sicherheitsdenken. Mit verheerenden Folgen.

Das Verhältnis zu den Kirchen ist schwer gestört. Fehlt nur noch der Appell von den Kanzeln, diesmal die CSU nicht zu wählen. Lässt sich das wieder einrenken?

Ein solcher Appell würde mich an meine Kindheit erinnern, wo es grade andersrum war. Damals wurde man in den Kirchen aufgefordert, gefälligst christlich-sozial zu wählen und den großen Unionsgedanken zu berücksichtigen – wie es zugespitzt ironisch hieß. Die Kanzelerklärung wird nicht kommen, aber die Distanzierungserklärungen sind sehr deutlich. Und sie wirken ja auch. Aber prominente Katholiken wie den langjährigen Kultusminister Hans Maier als christliche Moralapostel zu diffamieren, bloß weil einem dessen Kritik nicht passt, ist schändlich. Das ist so ähnlich wie Seehofers Umgang mit den stellvertretenden Parteivorsitzenden, von denen er statt Argumenten nur Gefolgschaft verlangt. Wir sind doch nicht bei Stalin oder in China. Das ist alles ganz grotesk. 

Was kann der CSU jetzt noch helfen? Ein Weichspülgang und die bloße Beschränkung auf rein bayerische Themen?

Natürlich hilft die Verabschiedung von der Monothematik. Es würde auch helfen, eigene Verdienste hervorzuheben und in der Flüchtlingsdebatte eine wirklichkeitsnähere Position einzunehmen. Der Eindruck bei einer solchen Kehrtwende könnte dann aber auch sein, dass die CSU wieder bloß der Demoskopie nachläuft – weil sie sieht, dass ihr ihre Zuspitzungen nicht mal dabei helfen, Wähler von der AfD zurückzukriegen. Damit wäre sie dann wieder in eine Falle getappt, nämlich die der Glaubwürdigkeit.

Es wäre also auch nichts gewonnen, wenn Söder doch noch den Schulterschluss mit der Kanzlerin suchen würde, etwa durch einen gemeinsamen Wahlauftritt in Bayern?

Das wäre eine Wiederholung des Fehlers, den man schon bei der Bundestagswahl gemacht hat: erst Merkel in die Rippen boxen, dann mit ihr auf der Couch poussieren. Damals haben die Wähler gesagt: Auf die CSU ist kein Verlass. Jetzt würden sie sagen: Welch ein Opportunismus. Nein, eine Strategie, um sich in drei Monaten auf die 44 oder 45 Prozent zu hieven, die es für eine Mehrheit der Landtagsmandate bräuchte, sehe ich nicht.

Nicht nur Experte für die CSU, sondern selber auch langjähriges Parteimitglied: der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter.
Nicht nur Experte für die CSU, sondern selber auch langjähriges Parteimitglied: der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter.
© imago/Jürgen Heinrich

Auf 38 Prozent kommt die CSU momentan in den Umfragen. Kann sich Söder als Ministerpräsident halten, wenn es im Oktober dabei bleibt? Sein Vorvorgänger Günther Beckstein musste 2008 mit mehr als 43 Prozent gehen…

Die persönlichen Alternativen in der CSU sind verbraucht. Insofern glaube ich nicht, dass man den Ministerpräsidenten bei einem schlechten Wahlergebnis in Frage stellt. Ich vermute sogar, dass in dieser Situation auf ihn auch noch der Parteivorsitz zukäme. Nach einem solchen Desaster wären Diadochenkämpfe irrsinnig. Aber Söder müsste sich dann sicher auch stärker innerparteilichen Diskussionen stellen.

Der CSU ist es immer gut bekommen, wenn sie einen Spagat hingelegt hat. Laptop und Lederhose, weltoffen und heimatverbunden. Würde es ihr nicht helfen, das auch wieder besser im Spitzenpersonal widerzuspiegeln? Zum Beispiel hier ein Söder als Ministerpräsident, da ein Manfred Weber als Parteichef?

Ich halte sehr viel von Weber. Wir wissen auch alle, dass er gerne CSU-Chef werden würde. Aber ich glaube, dass die Partei noch nicht so weit ist, jemanden aus der Europa-Szene zu ihrem Vorsitzenden zu machen.

Rein arithmetisch wäre, wenn es der CSU fürs Alleinregieren der CSU nicht mehr reicht, Schwarz-Grün die beste Lösung. Aber würde das die Christsozialen nicht vollends zerreißen – und die Grünen gleich mit?

Ach, wissen Sie: Die CSU will an der Macht bleiben. Und die Grünen gieren geradezu nach der Möglichkeit, in der Regierung mitzugestalten. Insofern halte ich Schwarz-Grün in Bayern für durchaus denkbar. Wenn es aber mit den Freien Wählern reichen würde, würde die CSU dieser Konstellation natürlich den Vorzug geben. Nicht nur, weil da Fleisch vom gleichen Fleische zusammenkäme. Dieser Partner wäre für die CSU auch intellektuell und politisch viel berechenbarer als die Grünen.  

Heinrich Oberreuter (75) ist Politikwissenschaftler und langjähriges CSU-Mitglied. Er lehrte 30 Jahre an der Universität Passau und leitete die Akademie für Politische Bildung in Tutzing.

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