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«Lehrer» in verschiedenen Gender-Schreibweisen, die nicht jedem geläufig sind.
© Ulli Deck/dpa

Kein Gendersternchen in Bundesbehörden: Es lebe der Pragmatismus!

Ministerin Lambrecht hat recht: Gendergerechtere Sprache geht auch ohne Sonderzeichen. Und Verwaltungstexte müssen für alle verständlich sein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Nüsse

Der gesellschaftliche Streit um das Gendersternchen tobt und kann auch Behörden nicht kalt lassen. Nun hat ausgerechnet Frauenministerin Christine Lambrecht den Bundesbehörden empfohlen, in ihrer Kommunikation auf Sonderzeichen wie das Sternchen, den Binnendoppelpunkt oder Binnenunterstrich, aber auch das große Binnen-I zu verzichten.

"Sonderzeichen als Wortbestandteilte in der offiziellen Kommunikation" seien nicht zu verwenden, heißt es nach Angaben der Osnabrücker Zeitung in den Empfehlungen.

Wer jetzt denkt, dass die Gleichberechtigung und Gleichstellung damit quasi von der Regierung verhindert werden soll, der irrt. Vielmehr gibt Lambrecht einen wohltuend pragmatischen Kurs bei diesem polarisierenden Thema vor. Denn gleichzeitig fordert sie, das generische Maskulinum zu vermeiden, wenn es eine weibliche Form gibt (Kunde/Kundin).

Ausgenommen seien juristische oder abstrakte Begriffe wie "Arbeitgeber". Ansonsten geschlechtsneutrale Begriffe (Vorsitz, Pflegekraft) sonst die Nennung der männlichen und der weiblichen Form.

Gendersternchen polarisieren noch zu stark

Das mag vielen Anhängern und Anhängerinnen des Gendersternchens, gerade Jüngeren, nicht weit genug gehen. Aber viele Gruppen der Bevölkerung können mit diesen Sonderzeichen nichts anfangen oder lehnen sie ab. Und das sind mehr Menschen, als sich Aktivisten oder manch grüner Wähler in Berlin-Mitte vorstellen können.

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Da das Gendern in dieser Form derzeit noch so polarisiert und die Debatte darüber in vollem Gang ist, enthält die Nutzung der Sonderzeichen zum Gendern eine politische Konnotation weit über die selbstverständliche Forderung der Gleichberechtigung hinaus. Darauf sollten Verwaltungstexte bitte bitte verzichten. Es mag ja sein, dass es irgendwann einen gesamtgesellschaftlichen Konsens darüber gibt, dass Sonderzeichen das geeignete Mittel sind - dann wird sich auch die Behördensprache anpassen.

Viele Menschen verstehen einen Doppelpunkt im Wort nicht

Und auch wenn es schwer vorstellbar ist: Es gibt viele Menschen, die die Debatten in den Feuilletons und auf Twitter gar nicht verfolgen - und nicht verstehen, was ein Unterstrich oder ein Doppelpunkt mitten im Wort bedeutet. Aber Sprache soll ja zuallererst verständlich sein, schließlich dient sie der Verständigung. Und das gilt ganz besonders für Behörden.

Da eben doch vielen Menschen die diversen Sonderzeichen mit ihren diversen Gender-Bedeutungen nicht geläufig sind, ist es vernünftig, auf diese zu verzichten. Die Ministerin verwies in ihren Empfehlungen ja auch auf den Rat der Deutschen Rechtschreibung, der im März von der Nutzung der Sonderzeichen abgeraten hatte. Dieser Rat soll dafür sorgen, dass die deutsche Sprache eine Einheitlichkeit bewahrt und gleichzeitig ihre Weiterentwicklung zu begleiten. Das ist gut, sinnvoll und offen für Veränderungen. Aber es macht eben auch Sinn, wenn es eine gewisse Einheitlichkeit gibt.

Die Sprach-Empfehlungen der Ministerin sind pragmatisch, sie schließen nicht aus, sondern versuchen, Diversität einzubringen, ohne andere Bevölkerungsgruppen vor den Kopf zu stoßen oder auszuschließen. Verständlichkeit wird groß geschrieben. Wäre man konsequent, müsste als Nächstes allerdings das Verwaltungsdeutsch an sich auf den Prüfstand. Das ist - mit oder ohne Gendern - oft schwere Kost. Vielleicht sollten die Verwaltungen jeden Text erst einmal durch eine Programm "Einfache Sprache" jagen.

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