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Gendergerechte Sprache: Mehr als zwei Drittel wollen keine Zuhörer:innen

Die Abneigung gegen Gender-Lücke und Binnen-I ist groß im Land. Sogar unter Frauen - die sich nachweislich von männlichen Formen nicht gemeint fühlen.

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Knapp zwei Drittel der deutschen Bevölkerung sind einer Umfrage zufolge gegen stärkeres Gendern in der Sprache. Wie das Meinungsforschungsinstitut infratest dimap im Auftrag der Zeitung „Welt am Sonntag“ feststellte, halten 65 Prozent der Befragten nichts von einer stärkeren Berücksichtigung unterschiedlicher Geschlechter in der Sprache und lehnten Formulierungen wie „Zuhörende“ statt „Zuhörer“ und die Nutzung des großen Binnen-I („WählerInnen“) in der Schriftsprache ab.

Ebenfalls unbeliebt ist demnach die kurze Pause vor der zweiten Worthälfte in der gesprochenen Sprache („Pendler_innen“) berichtet die Zeitung. Im vergangenen Jahr sei die Ablehnung mit 56 Prozent noch schwächer gewesen.

Auch Verbote wie in Frankreich wollen die Deutschen nicht

Zwar bewerteten Frauen die Gendersprache positiver als Männer, doch auch von ihnen lehnten 59 Prozent diese ab. Zuvor waren nur 52 Prozent der Frauen dagegen. Selbst in der Wählerklientel der Grünen, die von jeher Geschlechtergerechtigkeit in Programm und praktischer Politik vertreten, seien 48 Prozent gegen gegendertes Deutsch, 47 Prozent sprachen sich dafür aus.

Bei den Anhängern aller anderen Parteien überwiegt die Kritik deutlich: Bei denen der SPD sind 57 Prozent dagegen, bei denen der Union 68 Prozent. Es folgen die Linken mit 72, die FDP mit 77 und die AfD mit 83 Prozent Ablehnung. Die Umfrage wurde Mitte Mai erhoben.

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Allerdings lehnt auch eine Mehrheit ab, dass gendergerechte Sprache in öffentlichen Einrichtungen verboten wird. Dies hatte Frankreichs Regierung kürzlich als Gesetzentwurf in die Nationalversammlung eingebracht. 51 Prozent der Befragten in Deutschland wären eher dagegen, nur ein gutes Drittel (/36 Prozent) würde ein Verbot „eher begrüßen“.

Das Thema schlug auch in Deutschland hohe Wellen, als das Haus von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) ihren Entwurf für ein neues Insolvenzrecht durchgängig im generischen Femininum formuliert hatte („Schuldnerinnen“, „Geschäftsführerinnen“).

Ministerin zog „weiblichen“ Gesetzentwurf zurück

Das Bundesinnenministerium hatte daraufhin die Verfassungsmäßigkeit des Texts bezweifelt; schließlich präsentierte die Justizministerin den Entwurf doch im generischen Maskulinum. das heißt, es nutzte die männliche als allgemeine Form in den Fällen, in denen alle Geschlechter bezeichnet werden sollen.

Geschlechtergerechte Sprache ist im vergangenen Jahr ohnehin stärker zum Thema einer weiteren Öffentlichkeit geworden, nachdem es zuvor eher unter Linguist:innen debattiert wurde. Der Rat für deutsche Rechtschreibung – wo germanistischer Sachverstand nicht nur aus Deutschland sitzt – befasste sich vor drei Jahren damit.

Inzwischen diskutieren aber auch – Jahrzehnte nach der frühen Pionierin taz – viele Medien über das Gendern und experimentieren damit. Der Deutschlandfunk nennt seit dem letzten Jahr verstärkt Männer und Frauen, wenn beide gemeint sind oder lässt den „Gender Gap“ hören, eine kleine Wortpause, etwa bei „Hörer-innen“. Der Tagesspiegel gab sich im Januar dieses Jahres ebenfalls Leitlinien, die mehrere Formen des Genderns ermöglichen. Das generische Maskulinum ist möglich wie bisher.

„Männer fühlen sich schon benachteiligt, wenn Frauen genannt werden“

In mehreren Studien wurde festgestellt, dass sich Frauen in der Regel nicht vom generischen Maskulinum gemeint fühlen, also Ärztinnen nicht angesprochen, wenn allgemein von „Ärzten“ oder „dem Arzt“ die Rede ist, Schülerinnen nicht von „die Schüler“. Als die Universität Leipzig 2013 das generische Femininum für ihre interne und externe Kommunikation einführte, gab es intern massiven Protest.

Der Berliner Linguist Anatol Stefanowitsch kommentierte die Aufregung auf Spiegel online: Die Irritation der Leipziger Initiative löse zuallererst den Impuls aus, „den angeblich unterdrückten Männern zu helfen“. Die meisten Kritiker machten „sich nicht klar, dass 99 Prozent aller Gesetzestexte, Verordnungen und Universitätssatzungen die männliche Form als allgemeingültig darstellen. Das ist genauso ungerecht. Viele Männer fühlen sich laut psycholinguistischen Untersuchungen schon benachteiligt, wenn beide Geschlechter genannt werden“. (mit epd/AFP/dpa)

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