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Andreas Scheuer (CSU), Nicola Beer (FDP), Peter Tauber (CDU) und Michael Kellner (Grüne, von links nach rechts).
© dpa

Koalitionsverhandlungen: Es kracht bei Gesprächen über Jamaika

Ärger bei der Sondierung – vor allem zwischen FDP und Grünen. Geredet wird deshalb zunächst über Stilfragen, erst dann geht es um Inhalte.

Wolfgang Kubicki ist ein alter Kämpfer, und alte Kämpfer kennen eine alte Regel: Angriff ist manchmal die beste Verteidigung. In der Frühe steht der FDP-Vize vor der Parlamentarischen Gesellschaft und übt Generalkritik an den Kollegen Jamaika-Sondierern. „Es fehlt hier an Vertrauen zwischen den Verhandelnden“, raunzt der Schleswig-Holsteiner.

Damit hat er sicher recht. Nur gehört Kubicki selbst zu den Verursachern der ersten offenen Vertrauenskrise der Berliner Sondierungsgespräche. Direkt nach der Runde der Finanz-Unterhändler hatte der Freidemokrat die komplette Abschaffung des Solidarzuschlags zur ausgemachten Sache erklärt. Die Grünen sahen das völlig anders – und schon war der Zank im Gange.

Am Donnerstag geht er erst einmal munter weiter. FDP-Chef Christian Lindner – der das Einigungspapier der Finanzgruppe sofort als mögliche „Trendwende“ in die Welt getwittert hatte – zeigt sich via Interview über die „Kommunikationsstrategie“ der Grünen verwundert – die seien in den Gesprächen selbst viel konzilianter als hinterher.

Die Grünen schimpfen über die FDP

Dafür schimpft Grünen-Chef Cem Özdemir über Leute, die „sehr mutwillig“ Dinge in die Vereinbarung hineinlesen, „die da nicht drinstehen“. Lindner und seine Leute müssten langsam mal in der Realität ankommen und den eigenen Leuten erklären, dass ihre „Blütenträume“ im Wahlprogramm nicht komplett in Erfüllung gehen könnten.

„Der Wahlkampf ist vorbei“, schimpft Özdemir unter beifälligem Nicken der Grünen-Verhandlungsgruppe. Bevor man gleich zur Sache komme, müsse noch mal dringend über Stil gesprochen werden. Das wurde dann auch. Angela Merkel stellte gleich eingangs fest, dass es so nicht weiter gehen könne.

Der Kanzlerin widersprach keiner, auch wenn noch ein kurzer Hahnenkampf ausgetragen wurde über die Frage, wer den Zank angefangen habe. Als praktische Konsequenz sollen in künftigen Sachstandspapieren Konsens- und Dissenspunkte klar benannt und Papiere generell zurückhaltender behandelt werden. Manche, etwa zum Super-Streitthema Zuwanderung, wird es wohl erst nach dem zweiten Beratungsdurchgang geben.

Zur vorläufigen Befriedung mag übrigens ein Treffen vor dem Treffen beigetragen haben. Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer hatten sich mit Lindner verabredet. Das war jetzt ohnehin mal fällig. Denn es gibt zwar – etwa aus der ersten Sitzung des Bundestages – zahllose Bilder von spontanen schwarz-grünen Spitzentreffen. Aber das Verhältnis der einstigen schwarz-gelben Partner wirkte in- wie außerhalb der Verhandlungsrunden distanziert, ja angespannt.

Am Donnerstag liegen harte Brocken auf dem Verhandlungstisch

Ob das Frühstück zu dritt daran etwas geändert hat, wird sich zeigen. Nötig wäre es. Am Donnerstag liegen harte Brocken auf dem Verhandlungstisch: noch einmal Europa, dann Klima- und Energiepolitik, anschließend Flüchtlingspolitik und Zuwanderung. Das Europa-Papier, das ein kleiner Expertenkreis als Ergebnis des letzten Treffens formulieren sollte, muss noch einmal überarbeitet werden. Merkel habe die Formeln zum Thema Türkei nicht gebilligt, heißt es aus Teilnehmerkreisen; auch die Grünen hatten Einwände. Die CSU will – Bayerns Innenminister Joachim Herrmann wiederholt es am Morgen – festgestellt wissen, dass es „keine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU“ geben könne.

Soweit das die derzeitige Türkei mit ihrer derzeitigen Führung meint, könnten sich die Jamaika-Partner schnell einig werden. Aber ein prinzipielles Nein ist eine ganz andere Sache. Merkel wollte sich außerdem nicht ins Regierungsprogramm schreiben lassen, dass die EU die Beitrittsgespräche abbrechen müsse. Denn dafür wäre in Brüssel keine Mehrheit zu bekommen, sondern nur bei jedem Gipfel aufs Neue eine blutige Nase.

Gegen Mittag ziehen sich die Europa-Experten zur Überarbeitung ihres Papiers zurück. Bis zum frühen Abend sollte eine vorläufige Einigung stehen. Die große Runde geht derweil das Klima an – das Weltklima, nicht das eigene. Nach fünf Stunden ist man dann gerade mal so weit, dass sich – vorläufig – alle zu den seit Jahren vereinbarten Klimazielen bekennen wollen. Und zwar den internationalen wie den nationalen.

Streit um Klimapolitik

Das wäre ein wichtiges Detail. Vor Beginn hatte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt durchblicken lassen, dass man auf Unionsseite die lästigen nationalen Verpflichtungen gerne anderswo los würde. „Wir werden das Klima nicht in Deutschland alleine retten“, erklärte der Verkehrsminister. Deutsche Investitionen in Klimaschutz „in anderen Regionen der Welt mit hoher Umweltverschmutzung“ hätten hundertfach mehr Effekt als die gleiche Summe hierzulande.

Das ist abstrakt sogar richtig, würde konkret aber wohl den deutschen Abschied von europäischen Selbstverpflichtungen bedeuten – ein schwieriges Signal in Zeiten, in denen ein US-Präsident Donald Trump den Weltklimavertrag kündigt. Immerhin verhakte sich die Runde aber an dem Punkt noch nicht. Man beschloss, das Klima-Thema nicht bis zur ohnehin geplanten zweiten Runde zu vertagen, sondern auch schon in die Debatte über Instrumente für den Klimaschutz einzusteigen, von Verkehrspolitik bis zur Zukunft der Braunkohle-Kraftwerke.

Womit aber auch klar war: Es würde ein langer Abend. Denn da lag noch der dicke Brocken Zuwanderung. Herrmann und Dobrindt rammten da noch einmal fest die christsozialen Pflöcke ein. 200.000 Zufluchtsuchende als Grenze der Integrationsfähigkeit und, als Obersatz: „Das Jahr 2015 darf sich nicht wiederholen.“

CSU fordert bei Zuwanderung Bewegung von den Grünen

Über Kompromisswege mag Dobrindt nicht reden. Alle vier Jamaika-Parteien hätten erklärt, sie wollten nicht, „dass eine rechte Randpartei zur Dauererscheinung im Deutschen Bundestag wird“ – dann müssten sich die Grünen jetzt aber auch bewegen. Die stecken ihrerseits Grenzen ab: „keine Grundlage“ für Gespräche könne es sein, dass man sich auf den Unionskompromiss einigen müsse, sagt Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Ob die CSU ihnen womöglich beim Familiennachzug entgegenkommt? Herrmann weicht aus: Da wolle er erst Klarheit über die Zahlen. Die Angaben aus der Bundesregierung schwankten zwischen 20.000 und einer Million möglicher Nachzügler.

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