Wer verhandelt Jamaika?: Die Abenteurer
Am Mittwoch geht es los: Union, Grüne und FDP beginnen ihre Sondierung. Rund 50 Personen verhandeln dann über eine Koalition. Kein leichtes Unterfangen – bei vier Parteien.
- Antje Sirleschtov
- Robert Birnbaum
Alle vier Jahre erlebt die ehrwürdige Parlamentarische Gesellschaft einen ganz ungebührlichen Aufgalopp. Normalerweise geht es gediegen zu im historischen Reichspräsidenten-Palais. Hinter der kleinen Eingangstür gegenüber dem Reichstag überwachen livrierte Hausdiener den Zugang zu dem exklusiven Club für Abgeordnete und Diplomaten und ihre Gäste. Alle vier Jahre aber schubst und drängelt sich die halbe Weltpresse vor dem Bau: Sondierung! Die Abtast-Gespräche zwischen potenziellen Koalitionspartnern sind der Auftakt jeder Regierungsbildung in Deutschland, und die Parlamentarische ist der neutrale Ort dafür.
Die meisten, die sich ab kommenden Mittwoch dort treffen, kennen einander und kennen die Abläufe. Angela Merkel und Horst Seehofer haben schon etliche Bundesbünde verhandelt, ihre Pendants von Grünen und FDP bringen zumindest Erfahrung aus den Ländern mit. Sie kennen die technisch-politischen Strukturen jeder Koalitionsverhandlung. Die Facharbeitsgruppen, die ihren Teil des Koalitionsvertrags vorformulieren, die Steuerungsgruppe, die den Überblick behalten muss, den kleinen Kreis der Letztentscheider um die Parteichefs herum, die offen gebliebene Streitfragen auflösen und ganz zum Schluss das Ganze austarieren müssen: erst die Inhalte und zuletzt im kleinsten Kreis das Personal.
Diese letzte „Nacht der langen Messer“ gilt oft als Höhepunkt der Koalitionsverhandlungen. Tatsächlich sind die Sondierungen aber die eigentliche Hürde. Hier werden Knackpunkte definiert und rote Linien gezogen: Dies geht mit uns, das ganz sicher nicht; was also trauen und was muten wir uns gemeinsam zu? Die Frage „Jamaika – wozu?“ muss beantwortet sein, bevor konkret über Wie und Wer geredet werden kann.
Die Expeditionstruppe für das erste Dreierbündnis im Bund ist eine halbe Hundertschaft stark: 30 Frau und Mann umfasst das Sondierungsteam von CDU und CSU, 14 schicken die Grünen. Die FDP bescheidet sich zunächst mit vier bis acht, was sie als bewusste Beschränkung verkauft; aber vielleicht war in Wahrheit mehr Sortierung in der Zurückkommer-Partei noch gar nicht drin. Richtig ist: Wie im politischen Alltag stellen auch in Koalitionsgesprächen letztlich Wenige die Weichen. Die Chefs sind entscheidend qua Amt. Aber noch jedes Mal entpuppen sich ein paar scheinbare Nebendarsteller als die, die im entscheidenden Moment Knoten lösen und Kompromisse finden.
DIE UNION
darf neuerdings wieder so heißen. Seit ihrem Obergrenzen-Kompromiss treten CDU und CSU zumindest in der Flüchtlingspolitik dezidiert gemeinsam auf, auch auf anderen Politikfeldern wollen sich die schwarzen Verhandlungsteams vor und parallel zu den Sondierungen noch einmal abstimmen. Das ändert allerdings nichts daran, dass beide Parteien thematisch wie taktisch unterschiedliche Interessen verfolgen.
In Angela Merkels CDU treten trotz der Enttäuschung über das Wahlergebnis Nachfolgekämpfe zurück. Das Interesse, wieder die Kanzlerin zu stellen, überwiegt jede Lust an einer Demontage. Merkel ist ihrerseits auf ihre Kritiker zugegangen. Deutlichstes Zeichen ist die Berufung von Jens Spahn zum kommissarischen Finanz-Unterhändler. Der Publikumsliebling konservativer Truppenteile ist als Wolfgang Schäubles Parlamentarischer Staatssekretär ins Fach eingearbeitet. Trotzdem wird der 37-Jährige nicht den alten Fuchs Schäuble ersetzen, der als Bundestagspräsident von der Gestaltungs- auf die Kontrollseite des demokratischen Systems wechselt. Kommissarischer Kassenwart im Kabinett ist schon jetzt Merkels Vertrauter Peter Altmaier. Dem Kanzleramtschef fällt in den Koalitionsgesprächen erst recht die Rolle des politischen Chefkoordinators zu, der darauf achten muss, dass die Summe der Wünsche noch zur Kassenlage passt. Daneben hat er einen Nebenjob als traditioneller Grünen-Versteher.
Auf CSU-Seite soll der neue Landesgruppenchef Alexander Dobrindt den Überblick verwalten – mit einem Nebenjob als traditioneller Chefideologen. Dobrindt ist seit Generalsekretärszeiten geübt darin, politische Züge seines Chefs mit taktisch-inhaltlichem Unterbau zu untermauern. Außerdem hat er Übung als Grünen-Verprügler, ein Part, der in den Verhandlungen aus CSU-Sicht noch wichtig werden wird. Denn sein Chef muss dort konstruktiv auftreten, damit er daheim Jamaika als bayerisch geprägte Insel verkaufen kann. Für Horst Seehofer ist die Koalition in Berlin nur Vorspiel für die Landtagswahl 2018. Die entscheidet über sein eigenes Schicksal. Seehofer wird aber auch deshalb bei der CSU stark im Zentrum der Verhandlungen stehen, weil er im Bayern-Team die längste Berlin-Erfahrung hat.
Bei der CDU fällt die starke Länder-Präsenz auf. Alle Ministerpräsidenten mit CDU-Parteibuch sollen den Bundes-Bund mit aushandeln. Was auf den ersten Blick etwas befremdlich wirkt, hat gute Gründe. Da ist einmal die Kleiderordnung – schwer zu begründen, weshalb ein Fürst wichtiger sein soll als ein anderer. Vor allem aber soll die frühe Einbeziehung der Länderchefs dafür sorgen, dass sich hinterher im Bundesrat keiner einen schlanken Fuß machen kann, wenn die zweite Parlamentskammer demnächst Jamaika-Pläne absegnen muss.
Für Angela Merkel selbst sind die Gespräche nach menschlichem Ermessen das Vorspiel zum Endspiel ihrer letzten Regierungszeit. Als künftige Kanzlerin hat sie ein besonderes Interesse daran, wie die Verhandlungen ablaufen – hier werden die Grundlagen für das Binnenklima gelegt. Das Trauma Schwarz-Gelb von 2009 bis 2013 ist als Negativbeispiel noch vielen präsent. Mit der Binnenklimafrage direkt verknüpft ist Merkels zweites Hauptinteresse: Ihre Erfahrung lehrt sie, dass Regierungen mit Krisen umgehen müssen, die kein Koalitionsvertrag vorausahnt. Eine Dreier- bis Viererkoalition schafft das nur, wenn alle Drähte richtig liegen.
DIE GRÜNEN
Verhandlungsführer der Grünen sind die beiden Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir. Bei ihnen liefen bereits im Vorfeld der Sondierungen die Telefone heiß. Die Thüringerin Göring-Eckardt hat einen guten Draht zur Kanzlerin, Özdemir wiederum hat in den vergangenen vier Jahren einen guten Gesprächsfaden zu FDP-Chef Christian Lindner geknüpft. Mit dem ein oder anderen CDU-Verhandler saß Özdemir außerdem schon zu Bonner Parlamentszeiten beim Italiener zusammen – in der schwarz-grünen „Pizza Connection“.
Zum engeren Kreis um Göring-Eckardt und Özdemir gehören qua Amt ihre jeweiligen Ko-Vorsitzenden vom linken Flügel: Fraktionschef Anton Hofreiter und Grünen-Chefin Simone Peter. Während Hofreiter in den vergangenen Tagen vermied, die anstehenden Verhandlungen durch das Formulieren roter Linien zu belasten, fiel Peter durch harsche Äußerungen gegenüber den künftigen Partnern auf. Die Saarländerin ist offenbar schon im Wahlkampfmodus: Nach möglichen Koalitionsverhandlungen will sie sich erneut zur Parteichefin wählen lassen, ihre Rolle sieht sie dabei als „grünes Gewissen“.
Doch im linken Flügel ist Peter ohnehin nicht die tonangebende Stimme, viel wichtiger ist dort nach wie vor Jürgen Trittin. Nach dem enttäuschenden Wahlergebnis bei der Bundestagswahl 2013 zog der damalige Spitzenkandidat und Fraktionschef sich zwar aus der ersten Reihe der Politik zurück. Doch der linke Flügel traut sich noch nicht zu, ohne den erfahrenen einstigen Vorkämpfer im Verhandlungsteam auszukommen. Und auch die Realos wissen, dass sie Trittin brauchen, wenn sie nach den Sondierungsgesprächen einen Parteitag von der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen überzeugen wollen. Hier könnte auch Claudia Roth eine wichtige Rolle zukommen. Die ehemalige Parteichefin ist nicht nur eine Ikone des linken Flügels, sondern auch Parteisoldatin. Sollte Roth vom Sondierungsergebnis überzeugt sein, würde sie auch die Parteitags-Delegierten mitreißen. Nebenbei gilt die Bayerin als Geheimwaffe im Umgang mit konservativen CSUlern.
Ein gutes Verhältnis zu CSU-Chef Seehofer hat auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Als Regierungschef einer grün- schwarzen Koalition sieht er seine Rolle als Brückenbauer zwischen Union und Grünen. Auch aus seiner Wertschätzung für die Kanzlerin hat Kretschmann nie einen Hehl gemacht. Zu einer wichtigen Figur in den Sondierungen könnte außerdem ein weiterer Landespolitiker werden: Robert Habeck aus Schleswig-Holstein. Der Grünen- Politiker hat seiner Partei vor wenigen Monaten gezeigt, wie man auf Landesebene ein Bündnis mit Union und FDP schmieden kann, ohne dass die eigenen Wähler einen dafür abstrafen.
DIE FDP
Womöglich werden ausgerechnet die Liberalen zum größten Risiko für die Verhandlungen. Schließlich sind sie nach der Rückkehr in den Bundestag erst ein paar Tage wieder in Berlin und noch vollends mit dem Aufbau von internen Strukturen beschäftigt. Partei- und Fraktionschef Christian Lindner bemüht sich zwar nach Kräften, den Eindruck zu vermitteln, seine Truppe wisse inhaltlich genau, was sie will und auch, wie sie ihre Ziele in den Verhandlungen umsetzen wollen. Doch in Wahrheit gibt es in Lindners Kern-Team keinen, der jemals an bundespolitischen Sondierungsgesprächen teilgenommen hat. Lindner selbst hat lediglich in Nordrhein-Westfalen mit CDU-Mann Armin Laschet eine Koalition zuwege gebracht, in der es wirkliche Knackpunkte nicht gab. Und auch sein Vize, Wolfgang Kubicki, hat das Jamaika-Bündnis in Schleswig-Holstein eher mit Gleichgesinnten bei Grünen und CDU gebaut.
Dass die Verhandlungspartner schon in der ersten Phase in Mannschaftsstärke auftauchen wollen, hat Lindners Trupp überrascht. Doch statt sich ebenfalls personell breit aufzustellen, setzt Lindner zunächst nur auf sich selbst und Vertraute: Neben Kubicki wird er zunächst nur Generalsekretärin Nicola Beer und den Ersten Parlamentarischen Fraktionsgeschäftsführer, Marco Buschmann, mitbringen. Erst am Montag will der Parteichef in der Präsidiumssitzung darüber reden, wer sich am Mittwoch, Donnerstag und dann am Freitag mit auf das Gruppenbild drängen darf. Wobei Lindner ganz auf sein Präsidium setzt. Beim Treffen mit der Union könnte Finanzmann Volker Wissing dabei sein, wenn über Steuern und Haushalt gesprochen wird. Zum Grünen-Treffen werden voraussichtlich Alexander Lambsdorff und Hermann Otto Solms mitgehen und über Europapolitisches und strittige Fragen der Energiepolitik reden. Erst beim Dreiertreffen am Freitag sollen acht oder vielleicht auch neun Präsidiumsmitglieder, und wenn es zu Koalitionsgesprächen kommt, dann auch noch mehr Liberale, dabei sein.