Guido Westerwelle im Interview: „Es ist das Ziel von Diplomatie, Kriege zu verhindern“
Außenminister Guido Westerwelle über ein militärisches Eingreifen in Syrien, mögliche israelische Angriffe auf Irans Atomanlagen und die Folgen des FDP-Erfolgs bei der Kür von Joachim Gauck für die Koalition.
Herr Minister, vor rund einem Jahr besuchten Sie mehrere nordafrikanische Länder, die ihre alten Führungen verjagt hatten, und feierten die arabische Freiheitsbewegung. Ist der Optimismus von damals heute noch angebracht?
Durchaus. Kein vernünftiger Mensch durfte damals erwarten, dass der Umbruch ohne Schwierigkeiten gelingen würde. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich in Tunis kurz nach der Flucht des damaligen Präsidenten Ben Ali jungen Revolutionären vor dem Cafe Tunis auf der Avenue Bourguiba gesagt habe: Seid ausdauernd, ihr werdet nicht über Nacht gewinnen, die Mühen der Ebenen kommen noch.
Viele Entwicklungen in der Region sind besorgniserregend: Wo freie Wahlen abgehalten werden, gewinnen islamistische Kräfte. In Syrien gelingt es nicht, die Gewalt zu stoppen. Sind die Risiken heute nicht höher als vor einem Jahr?
Ich warne davor, alle arabischen Länder in einen Topf zu werfen. In Tunesien ist die arabische Revolution sehr weit fortgeschritten, die islamisch-demokratischen Politiker müssen sich jetzt bewähren. In Libyen besteht nach dem Umsturz die Chance zum friedlichen und freiheitlichen Wandel. In Ägypten ist einiges gelungen, aber manches steht auf der Kippe, deshalb wollen wir die Zivilgesellschaft weiter stärken. In Syrien sehen wir eine Revolution am Anfang, die Menschen leiden unter der andauernden Gewalt und Repression des Regimes. Und wir sehen Reformländer, etwa Marokko, wo König Mohammed VI. schon früh Reformen eingeleitet hat.
Reden wir über Syrien: US-Außenministerin Hillary Clinton sieht Indizien für einen Zerfall des Assad-Regimes. Sie auch?
Es gibt erste Anzeichen dafür, dass dem Regime die Gefolgschaft wegbröckelt. Das ist erfreulich, weil damit die Chancen für eine friedliche Lösung steigen.
Steht die Welt vor der paradoxen Situation, dass die Gewalt Assads unerträglich ist, der Zusammenbruch staatlicher Ordnung in Syrien aber eine noch schlimmere Entwicklung heraufbeschwören könnte?
Wir wollen, dass Assad endlich den Weg für ein politische Lösung frei macht. Wir haben drei Ziele für Syrien: das Ende der Gewalt, humanitäre Hilfe und den politischen Wandel. Wir werden am Montag in der EU neue, verschärfte Sanktionen beschließen. Wir setzen auch nach dem Scheitern der Sicherheitsratsresolution weiter auf die Vereinten Nationen (UN). Und schließlich hat die Freundesgruppe des syrischen Volkes am Freitag in Tunis ihren Beitrag dazu geleistet, die Opposition gegen Assad zu stärken.
Welche neuen Sanktionen gegen das Assad-Regime wird die EU verhängen?
Wir werden am Montag unter anderem Einschränkungen für den syrischen Finanzsektor und den Flugverkehr beschließen.
Deutschland hat gemeinsam mit der Kontaktgruppe den Syrischen Nationalrat als eine legitime Vertretung seines Landes bezeichnet. Wie schlagkräftig ist er?
Wir ermutigen die syrische Opposition, sich zu einigen. Uns ist aber nicht nur wichtig, wogegen die Opposition kämpft, sondern auch wofür sie kämpft. Wir erwarten von ihr ein klares Bekenntnis zu einer demokratischen und pluralen Gesellschaft in Syrien, so wie es von Professor Ghalioun in Tunis gesagt wurde.
Es war Ihr Vorschlag, die Syrien-Kontaktgruppe einzurichten. Hat Deutschland eine besondere Rolle bei der Suche nach einer Lösung?
Kein Land des Westens sollte bei der Lösung dieses Konflikts eine Führungsrolle beanspruchen. Wenn die Arabische Liga vorangeht und handelt, widerlegt das die Propaganda des Assad-Regimes, wonach der Westen in Syrien nur seine Einflusssphäre ausweiten will.
In den USA fordern einflussreiche Senatoren eine Bewaffnung der syrischen Opposition. Was würde das bewirken?
Ich beteilige mich nicht an dieser Debatte. Eine Diskussion über ein militärisches Eingreifen kann die sorgfältig geschmiedete internationale Allianz in Gefahr bringen und damit Assad stärken. Wir müssen alles vermeiden, was Syrien einem Stellvertreterkrieg näher bringen könnte. Das könnte in der Region einen Flächenbrand auslösen und am Ende eine Konfrontation heraufbeschwören, die bis nach Moskau oder Peking reicht.
Sehen Sie für diesen Fall die Gefahr, dass beide Mächte direkt Konfliktparteien werden?
Ich rede einer Eskalation nicht das Wort, wir suchen nach Wegen, sie zu vermeiden. Deshalb haben wir sehr früh vorgeschlagen, dass die UN einen Sonderbeauftragten für Syrien ernennen. Die UN und die Arabische Liga haben nun Kofi Annan eingesetzt. Er ist eine hoch anerkannte Persönlichkeit, die auch in Russland und China geschätzt wird.
Ist der Konflikt in Syrien eine Gefahr für eine friedliche Lösung des Atomkonflikts mit Iran?
Es ist doch offensichtlich, dass der Iran sich in Syrien mehr einmischt, als uns allen lieb sein kann. Es ist auch sehr bedauerlich, dass Russland sich mit seinem Veto im Sicherheitsrat auf die falsche Seite der Geschichte gestellt hat. All das muss in eine umfassende Bewertung einfließen. Die Sanktionen gegen Iran fangen an zu wirken. Aber es bleibt unser Ziel, dass sich noch mehr Länder daran beteiligen. Je breiter sie getragen werden, umso besser und schneller wirken sie. Ich teile die Ansicht meines israelischen Amtskollegen Avigdor Lieberman, wonach öffentliche Diskussionen über Militärschläge gegen Iran schädlich sind. Das würde die Allianz gegen das iranische Atomprogramm nur schwächen. Viele Länder werden keine Sanktionen gegen Iran mittragen, wenn sie den Eindruck haben, der Westen wolle nur eine militärische Intervention vorbereiten.
Kein anderes Land fürchtet eine iranische Atombombe so sehr wie Israel. Die Existenz Israels zu schützen, ist Teil der deutschen Staatsräson. Zu welcher Hilfe verpflichtet das im Ernstfall?
Wenn ich sage, die Sicherheit Israels ist „raison d’état“, dann gibt es dem nichts hinzuzufügen.
Die Kanzlerin versprach vor der Knesset, das Wort von der deutschen Staatsräson werde „in der Stunde der Bewährung“ kein leeres Wort sein. Steht die „Stunde der Bewährung“ bevor?
Unser Ziel ist es, die Option einer nuklearen Bewaffnung des Irans zu verhindern – und zwar so, dass ein Krieg verhindert wird. Es ist das Ziel von Diplomatie, Kriege zu verhindern …
… auch einen israelischen Angriff auf iranische Atomanlagen zu verhindern?
Diese Spekulationen können sich Medien erlauben. Als Außenminister kann ich sie mir nicht erlauben.
Ihr Kabinettskollege Thomas de Maizière warnt, der Erfolg eines israelischen Angriffs auf iranische Atomanlagen sei „höchst unwahrscheinlich“. Sehen Sie das auch so?
Der Verteidigungsminister urteilt sehr sachkundig über diese operativ-militärische Fragen. Politisch halte ich fest, dass die neuen Sanktionen der EU, die noch nicht einmal voll in Kraft gesetzt sind, bereits zu wirken beginnen. Der Iran steht vor Wahlen. Seine politische Führung ist tief verunsichert, gemäßigte und radikale Kräfte ringen um die Vorherrschaft. Viele Iraner wissen, dass die Schwäche ihrer Wirtschaft Folge der internationalen Isolierung ist. Der Iran hat es jederzeit in der Hand, Sanktionen abzuwenden, wenn er zu ernsthaften und substanziellen Gesprächen zurückkehrt.
Was Westerwelle über den Streit der Koalition im Zuge der Bundespräsidentenwahl sagt.
Herr Minister, wir machen einen großen Sprung: Wie wichtig war die Durchsetzung von Joachim Gauck für das Selbstbewusstsein der FDP?
Es geht hier nicht um die FDP, sondern um das höchste Staatsamt, das Deutschland zu vergeben hat. Joachim Gauck wird ein Bundespräsident, der mit seiner Freiheitsvita das Ansehen Deutschlands auch international mehren wird. Seine Botschaft ist klar und hat viele Menschen beeindruckt. Deshalb gratuliere ich Philipp Rösler und Rainer Brüderle, dass es ihnen gelungen ist, diesen Kandidaten durchzusetzen.
War es nicht vor allem der Erfolg von Philipp Rösler?
Ich freue mich für Philipp Rösler. Während der Entscheidungsfindung habe ich von Lateinamerika aus viele Telefongespräche mit dem Parteichef, dem Fraktionschef und der Bundeskanzlerin geführt. Der Parteichef, der Fraktionschef und die Koalition als Ganzes haben klug und richtig gehandelt.
Waren Sie gegenüber der Kanzlerin jemals in einer Streitfrage so hart und kompromisslos wie Philipp Rösler bei der Präsidentensuche?
Die Frage soll Zwietracht säen. Deshalb nur so viel: Es war in den vergangenen Jahren nicht das einzige Mal, dass zwischen FDP und Union ein ernstes Ringen stattgefunden hat. Das gehört in einer Koalition dazu.
Sie kennen die Kanzlerin gut. Wie wird sie damit umgehen, dass die FDP sie in der Präsidentenfrage erpresst hat?
Ich kann nicht erkennen, dass diese Wortwahl hier passt. Angela Merkel freut sich auf unseren künftigen Bundespräsidenten. Das eint uns.
In der Union haben sich aber viele vorgenommen, der FDP gar nichts mehr zu gönnen. Wird Ihre Partei in der Koalition nun ausgebremst?
Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass sich jemand so etwas Sachfremdes überhaupt überlegen könnte ...
Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach etwa hat gedroht, man sehe sich immer zwei Mal im Leben.
Der liebe Wolfgang hat vergessen, dass man sich in einer Koalition nicht nur zwei Mal sieht, sondern ungefähr vier bis fünf Mal. In der Woche.
Das Gespräch führte Hans Monath.
Zur Person Guido Westerwelle:
RÜCKKEHRER
Nach seiner Entmachtung als Parteichef und Vizekanzler im Frühjahr 2011 hatte sich Guido Westerwelle fast vollständig aus der Innenpolitik zurückgezogen und Nachfolger Philipp Rösler das Feld überlassen. Seit Jahresanfang mischt er sich wegen der FDP-Existenzkrise wieder stärker in den Kampf ein. Parteifreunde setzen auf seine Hilfe bei den Landtagswahlen.
ANTIDIPLOMAT
Lange tat sich Guido Westerwelle schwer mit dem Amt des Außenministers. Im Inland setzte er weiter auf knallharte Konfrontation, sein Auftreten passte nicht zur Aura eines Chefdiplomaten. Schließlich meuterte sogar die eigene Partei. Als er im Sommer 2011 den Sieg der libyschen Rebellen als eigenen Erfolg verkaufte, stand er kurz vor der Ablösung.
SPÄTANKÖMMLING
Seither hat Westerwelle seinen Stil weiter verändert und bearbeitet ohne Aufsehen schwierige Probleme, die keine schnellen Lorbeeren versprechen. Auch ihm gegenüber kritische Diplomaten sagen, er sei nun im Amt angekommen.
Hans Monath
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