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Konflikt in Syrien: Wie verhalten sich die Nachbarländer?

Die arabische Liga wirkt in Bezug auf den Konflikt in Syrien geeint. Doch die Anrainerstaaten sind in ihrem Verhältnis zu Assad gespalten. Ein Blick auf die jeweilige Lage vom Libanon bis zum Irak.

Der lange geplante Antrittsbesuch des Generalsekretärs der Arabischen Liga, Nabil al Arabi, in Berlin gab Bundeskanzlerin Angela Merkel die Gelegenheit, der Regionalorganisation den Rücken zu stärken. Die EU unterstütze die „feste Haltung“ der Arabischen Liga zu Syrien und werde sie „durch weitere Sanktionen untermauern“, sagte Merkel am Dienstag vor einem Treffen mit al Arabi. Deutschland und die westliche Welt sind froh, dass die Organisation aus ihrem jahrzehntelangen Dornröschenschlaf erwacht ist und ebenso wie beim Aufstand in Libyen die Initiative ergreift. Denn um jeden Preis will man im arabischen Frühling den Eindruck neokolonialer Einmischung vermeiden.

Doch die Zeit drängt. Das syrische Regime geht weiter brutal gegen die Opposition vor, in der Protesthochburg Homs sitzen nach Angaben von Aktivisten mehr als 100 000 Syrer wegen des Dauerbeschusses fest. Und der jüngste Vorschlag der Liga – ein Friedenseinsatz mit den UN in Syrien – hat noch einmal deutlich gezeigt, dass die Organisation alles andere als geeint ist in ihrer Haltung zu diesem Konflikt. Insbesondere einige Nachbarländer wollen sich der Konfrontation mit dem Regime des syrischen Präsidenten Baschar al Assad nicht anschließen.

Der Libanon, dessen Regierung von der mit Syrien verbündeten Hisbollah dominiert wird, wies gleich den gesamten Beschluss zurück, der auch den Ausbau der Beziehungen zur syrischen Opposition vorsieht. Und das Nachbarland Irak, enger Verbündeter Irans, stimmte nur aus Opportunismus zu. Ein Parlamentarier der Irakischen Liste erklärt: „Der Irak will in der Liga nicht isoliert dastehen. Denn dann wird der nächste arabische Gipfel nicht in Bagdad stattfinden. Und das würde bedeuten, dass Katar weiterhin in allen Sitzungen den Vorsitz hätte, was auch Assad nicht will.“ Katar gilt als treibende Kraft hinter der harten Haltung gegenüber Syrien.

Allen arabischen Nachbarn ist gemeinsam, dass sie wenig Einfluss auf das Assad-Regime haben. Dessen Drohung, der Untergang seines Regimes werde die gesamte Region in Flammen setzen, nehmen sie aber sehr ernst, zumal der Konflikt immer stärker konfessionelle Züge annimmt. Damit ist die nicht-arabische Türkei wohl der wichtigste Spieler, da sie der Opposition und der Freien Syrischen Armee Unterschlupf gewährt. Israel dagegen schaut relativ gelassen zu – weil es seine Grenze zu Syrien als gesichert ansieht und Forderungen nach einer Rückgabe des besetzten Golan in jedem Szenario in weite Ferne rücken.

Wie sich Libanon verhält

LIBANON

Einwohner: rund 4 Millionen Staatsform: parlamentarische Republik Staatschef: Michel Sulaiman Besonderheiten: Von Konfessionen dominiertes, fragiles politisches System Libanon ist am unmittelbarsten betroffen von den Kämpfen und möglichen Umwälzungen in Syrien. Denn Libanon ist wirtschaftlich, politisch und sozial am meisten verwoben mit Syrien – stand das Land doch jahrzehntelang unter direkter syrischer Kontrolle: Erst mit der Zedern-Revolution 2005 nach dem Mord an Ex-Premier Rafik Hariri verließen Zehntausende syrische Truppen das Land. Vor allem aber sind die Bevölkerung und die politischen Parteien antagonistisch gespalten in Unterstützer des Regimes von Baschar al Assad und Anhänger des Aufstandes gegen ihn, je nachdem welcher Konfession sie angehören: Die Hisbollah, mächtigste politische Kraft in der Regierung, ist dem Assad-Regime verpflichtet, weil es die schiitische islamistische Bewegung unterstützt und als Bindeglied zum Hauptförderer Iran dient, der via Damaskus die Hisbollah mit Geld und Waffen versorgt. Daher steht die Hisbollah fest an der Seite Assads und würde durch einen Regimewechsel deutlich geschwächt werden. Die Bewegung um Ex-Premier Hariri sowie einige christliche Gruppen dagegen begrüßen den Aufstand und wünschen einen Sturz des syrischen Regimes. Doch die Angst davor, dass der Konflikt übergreifen und das fragile konfessionelle Gleichgewicht in Libanon durcheinander bringen könnte, führt dazu, dass sich alle Parteien zurückhalten und abwarten. Am Wochenende gab es die ersten drei Toten in der nordlibanesischen Stadt Tripoli, als sich Sunniten und Alewiten wegen unterschiedlicher Loyalitäten im Syrien-Konflikt bekämpften. Daher enthält sich Libanon bei den meisten Abstimmungen im UN-Sicherheitsrat oder in der Arabischen Liga. Den jüngsten Beschluss vom Sonntag, die Beziehungen zur syrischen Opposition auszubauen und die diplomatischen Beziehungen mit Damaskus abzubrechen, lehnt die Regierung rundweg ab. Bisher sind etwa 5000 Flüchtlinge aus Syrien über die Grenze gekommen, zumeist im Norden in der Region um Wadi Khaled, wo mehrheitlich Sunniten leben und viele Familienbande über die Grenze hinweg existieren. Die meisten sind bei Verwandten untergekommen.

Welche Haltung Israel zum Assad-Regime hat

Israel

Einwohner: 7,8 Millionen Staatsform: parlamentarische Republik Staatschef: Schimon Peres Besonderheiten: Die gefühlte Bedrohung durch den Iran beherrscht die politische Agenda Israel scheint die Entwicklungen in Syrien im Gegensatz zu denen im Iran ziemlich gelassen zu verfolgen. Hatte es zunächst so ausgesehen, als würde die politische Führung des Staates am liebsten am Status quo festhalten wollen, also einem Assad-Regime, das berechenbar ist und von dem keine Kriegsgefahr ausgeht, so glaubt man mittlerweile in Tel Aviv, dass das Regime langfristig fallen wird. Doch anders als in Ägypten, mit dem Israel einen Friedensvertrag hat, den die neuen islamistischen Kräfte aufkündigen könnten, braucht Israel keine Verschlechterungen durch einen Umsturz in Damaskus zu befürchten: Es gibt seit Jahrzehnten ohnehin nur einen Waffenstillstand. Die Sicherung der kurzen Grenze wurde bereits verstärkt, nachdem palästinensische Demonstranten im Frühjahr aus Syrien kommend einfach nach Israel einmarschiert waren. Eine neue Zentralregierung in Damaskus würde nach Einschätzung israelischer Kommentatoren eher schwach und damit kaum in der Lage sein, Druck zur Rückgabe des besetzten Golan zu machen. Vielmehr wird jetzt als Vorteil gesehen, dass ein Sturz des Assad-Regimes die verbündete Hisbollah in Libanon und damit den Einfluss des Erzgegners Iran schwächen würde. Damit wäre die Gefahr einer neuen bewaffneten Auseinandersetzung mit der Hisbollah, die den Südlibanon beherrscht, geringer. Anders als in Ägypten, der historischen Heimat der Muslimbrüder, die direkten Einfluss auf die Islamisten in Gaza haben, werden die Auswirkungen einer möglichen neuen islamistischen Führung in Syrien als weniger direkt angesehen. Allerdings sind nicht alle Analysen Israels überzeugend: Armeechef Benny Gantz hatte kürzlich das kuriose Angebot gemacht, den Alewiten – der schiitischen Sekte, der die Assad-Familie angehört – Asyl auf dem besetzten Golan anzubieten. Vor dem Hintergrund, dass die Rückgewinnung der Golan-Höhen für Hafez al Assad und damit wohl auch für seinen Sohn eine höchst emotionale Angelegenheit war, bei der es um die persönliche Ehre ging, ist das entweder als Witz oder Provokation zu verstehen.

Wie sich Jordanien positioniert

Jordanien

Einwohner: 6,3 Millionen Staatsform: Monarchie Staatschef: König Abdullah II. Besonderheiten: Ziemlich homogene sunnitische Bevölkerungsstruktur und Meister im Abfedern von Konflikten in Nachbarländern König Abdullah II. hat sich mit Stellungnahmen zu Syrien lange zurückgehalten. Als die Golf-Staaten und die USA, engster Verbündeter des Königreiches, im Herbst das Regime von Baschar al Assad zu attackieren begannen, zog Jordanien nach: Abdullah war der erste arabische Staatschef, der im November 2011 den Rücktritt Assads forderte – in der britischen BBC. Damit stellte er sicher, dass die US-Gelder für politisches Wohlverhalten weiter fließen. Außerdem will Jordanien aus wirtschaftlicher Not näher an die reichen Golfstaaten rücken, die sogar eine Aufnahme des Wüstenstaates in den Golf-Kooperationsrat prüfen. Deshalb kann Jordanien diese Staaten nicht verprellen. Zudem will Abdullah II. nie wieder so isoliert dastehen wie im ersten Golfkrieg, nach der Invasion Iraks in Kuwait, als sein Vater nicht der arabischen-amerikanischen Kriegsallianz beitrat. Anders als Libanon und Irak hat Jordanien eine relativ homogene sunnitische Bevölkerung und ist daher den konfessionellen Verwerfungen weniger ausgesetzt. Doch in Jordanien sind die Islamisten die treibende Kraft für Reformen – und sie unterstützen auch die Aufständischen in Syrien, deren Bewegung immer stärker islamisiert zu sein scheint. Damit wird die Solidarität mit der syrischen Demokratiebewegung gefährlich für den König, der viel von politischen Reformen redet, aber wenig durchsetzt. Statt dessen entlässt er regelmäßig die Regierungschefs. Ein Umsturz in Syrien, nach dem die sunnitische Bevölkerungsmehrheit wieder stärkeren Einfluss haben würde, hätte wohl gleichzeitig eine Stärkung der islamistischen Opposition in Jordanien zur Folge. Nachdem Tunesien und Ägypten bereits das bisherige „Musterland“ Jordanien im politischen Reformprozess überholt haben, steht König Abdullah seit dem Ausbruch des Aufstands in Syrien unter noch größerem Handlungszwang.

Wie die Türkei reagiert

Türkei

Einwohner: 74,7 Millionen Staatsform: parlamentarische Republik Staatschef: Abdullah Gül Besonderheiten: Dynamische Außenpolitik einer selbstbewussten Regionalmacht

Über Jahre war Syrien ein Schlüsselstaat in der türkischen „Null-Problem“-Außenpolitik. Mit möglichst harmonischen Beziehungen zu allen Nachbarstaaten wollte Ankara in der Region für Stabilität und Ruhe sorgen, um das politische Gewicht der Türkei zu erhöhen und die wirtschaftlichen Exportchancen zu verbessern. Der südliche Nachbar Syrien, mit der Türkei durch eine 900 Kilometer Landgrenze verbunden, war dabei ein wichtiger Faktor: Syrien sollte der Türkei das Tor zum Nahen Osten öffnen. Die Visumspflicht zwischen beiden Staaten wurde abgeschafft, gemeinsame Kabinettssitzungen wurden angesetzt. Doch dann brachen die Unruhen in Syrien aus, und alles wurde anders. Nachdem sich die türkische Regierung monatelang vergeblich bemühte, Baschar al Assad zu Reformen in Syrien zu bewegen, kam im vergangenen August der Bruch. Heute ist die Türkei überzeugt, dass Ruhe und Stabilität in Syrien nur noch ohne Assad möglich sind. Deshalb bot Ankara der syrischen Exilopposition die Möglichkeit, sich auf türkischem Boden zu versammeln. In Auffanglagern an der Grenze wurden teilweise über 10 000 syrische Flüchtlinge versorgt, derzeit sind es rund 7500. Unter den Flüchtlingen waren auch Deserteure der syrischen Armee – sie konnten den Widerstand gegen Assad durch den Aufbau der „Freien Syrischen Armee“ von der Türkei aus organisieren. Für die Lösung des Konflikts beim Nachbarn koordiniert die Türkei eng mit der Arabischen Liga und dem Golf-Kooperationsrat. Einer Militärintervention steht sie offiziell ablehnend gegenüber, weil ein militärischer Konflikt beim Nachbarn auch der Türkei selbst schaden könnte. Einige türkische Experten vermuten aber, dass hinter den Kulissen über eine türkisch-arabische Friedenstruppe nachgedacht wird.

Wie sich Irak verhält

Irak

Einwohner: 29 Millionen Staatsform: föderale Republik Staatschef: Dschalal Talabani Besonderheiten: In Schiiten und Sunniten gespaltenes Land, in dem Iran und die Türkei um Einfluss rivalisieren Irak und Syrien, früher die beiden rivalisierenden Baath-Regime in der Region, verbindet eigentlich eine historische Feindschaft. Doch die Beziehungen hatten sich in den letzten Jahren verbessert. Heute ist Irak für Syrien der wichtigste Partner, wenn es gilt, westliche Sanktionen und Embargos zu umgehen: Es liefert bereits fast 20 Prozent seiner Exporte in das östliche Nachbarland, neue Kooperationen wurden im vergangenen Jahr vereinbart. Diese Solidarität erklärt sich sicher auch damit, dass Irak schiitisch dominiert und damit seit dem Sturz von Saddam Hussein näher an den Iran gerückt ist, einen der letzten Getreuen Syriens. Doch besonders in den westlichen Provinzen Iraks, die an Syrien grenzen und die von Sunniten bewohnt werden, ist wiederum die Solidarität mit den Aufständischen im Nachbarland besonders groß. Dabei spielt die gemeinsame sunnitische Identität eine Rolle, aber vor allem gibt es Familien- und Stammesbande über die Grenze hinweg. Die Provinz hat Hilfsgüter, Geld und angeblich auch Waffen nach Syrien gebracht. Der irakische Vize-Innenminister hat zudem vom Einsickern von Al-Qaida-Kämpfern gesprochen. Offiziell lässt Bagdad keine Waffen über die Grenze. So macht Irak im Falle Syrien eine Gratwanderung, eine einheitliche Position gibt es nicht: Ohne sich in der Arabischen Liga und Teilen der eigenen Bevölkerung zu isolieren, stimmte die Regierung von Nuri al-Maliki im November 2011 gegen Wirtschaftssanktionen gegen Damaskus und sprach sich gegen einen Regimewechsel aus. Militärinterventionen von außen wird Irak aufgrund seiner eigenen Erfahrungen ohnehin nicht mittragen. Immer wieder versuchte al-Maliki, zwischen der von Katar und den Golfstaaten zu einem harten Kurs angetriebenen Liga und Baschar al Assad zu vermitteln. Doch selbst Schiiten befürchten, bei einem Fall das Assad-Regimes werde Iran seinen Einfluss in Irak ausbauen wollen. Die irakische Regierung ist zugleich nach dem Abzug der US-Truppen verstärkt dem Zerren vom Iran und der Türkei ausgesetzt, die nun um Einfluss rivalisieren und in Syrien gegensätzliche Positionen vertreten.

In der Anbar sollen nun Flüchtlingslager eingerichtet werden – wahrscheinlich in erster Linie für die Iraker, die sich nach der US-Invasion 2003 und dem anschließenden Bürgerkrieg nach Syrien geflüchtet hatten. Mit einer Million Iraker hatte Syrien die weitaus meisten Flüchtlinge aufgenommen, was im Nachbarland nicht vergessen ist.

Andrea Nüsse, Susanne Güsten

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