Umfragen zur Flüchtlingskrise: 60 Prozent finden, dass die Flüchtlinge zu verkraften sind
Die Deutschen sind beim Thema Flüchtlingspolitik gelassener als die CSU suggeriert. Das zeigen die Umfragen seit dem Höhepunkt der Krise.
Wer einen Aufstand probt, sollte gute Gründe haben. Zumal, wenn wie im Asylstreit der Union am Ende eine ganze Regierung zu zerbrechen droht, die gerade einhundert Tage im Amt ist und von der die Wähler eigentlich die Lösung zahlreicher Probleme erwarten: Europareform, Pflegenotstand, Bildungsreform, um nur einige zu nennen.
Die CSU hat vor gut einer Woche zum Aufstand gerufen. Seither werden Drohungen ausgesprochen, Ultimaten gesetzt. Anfang Juli steht der Showdown an. Und warum das Ganze, wieso ausgerechnet jetzt? Wer darauf keine überzeugende Antwort hat, könnte zum Schluss selbst Glaubwürdigkeit verlieren. Oder die absolute Mehrheit bei der nächsten Landtagswahl. Oder sich zumindest vorwerfen lassen müssen, das politische Geschäft der rechtspopulistischen AfD zu unterstützen.
Die Herren haben Panik, dass ihre absolute Mehrheit verloren geht und deshalb sollen wir gefälligst auch alle in Panik verfallen!
schreibt NutzerIn heiko61
Aus der Sicht der Christsozialen gibt es für den Aufstand zwei gute Gründe. Der erste ist ein Erwartungsdruck der Bevölkerung. Die Menschen „erwarten, dass wir endlich wieder Ordnung schaffen“, behauptet Bayerns Regierungschef Markus Söder und zeichnet ein Stimmungsbild im Land, das von zunehmendem Überdruss am Thema Flüchtlinge zeugt und in der Sehnsucht nach sofortiger Befreiung gipfelt, also dem Schließen der Grenze für Flüchtende. Wobei der zeitliche Druck enorm sein muss, geradezu wie in einem Kessel, der zu explodieren droht, wenn die Politik nicht unmittelbar handelt. Weshalb sonst sollte die CSU der Kanzlerin nicht länger als bis zum übernächsten Wochenende Zeit geben können, um eine europäische Asyllösung zu verhandeln, bevor Deutschland im Alleingang reagiert?
Woher die Aufständigen um den CSU-Vorsitzenden und Innenminister Horst Seehofer die Erkenntnis ziehen, dass die Deutschen die „Asylwende“ einfordern, noch bevor die Sommerferien beginnen, und dafür selbst den Sturz der Kanzlerin in Kauf nehmen würden, bleibt allerdings unklar. Seit Anfang 2016, also seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, fragt die Forschungsgruppe Wahlen monatlich die Stimmungslage ab. Zwei Umfragen befassen sich dabei explizit mit dem Flüchtlingsthema. Sie dürfen wegen ihrer zeitlichen und inhaltlichen Kontinuität wohl am ehesten als Gradmesser einer öffentlichen Stimmung gelten – abgesehen von momentanen Empörungen, die auftreten, wenn etwa ein Mordfall wie jener der Schülerin Susanna durch einen Asylbewerber die Nachrichten erreicht.
Keine Aufforderung zu einem abrupten Wechsel
„Kann Deutschland die vielen Flüchtlinge verkraften?“ lautet die erste der Zeitreihen. Angela Merkels „Wir schaffen das“ steckt dahinter und sie lässt den Schluss zu, dass sich die Grundauffassung der Deutschen seit Anfang 2016 kaum verändert hat: Bis heute finden rund 60 Prozent, dass der Flüchtlingszuzug zu verkraften ist, 40 Prozent sind nicht dieser Auffassung.
Beim Blick auf diese lange Befragungszeitreihe könne man „keine signifikante Stimmungsänderung“ erkennen, heißt es bei der Forschungsgruppe Wahlen. Und schon gar keine, die die Politik derart besorgen müsste, dass sie daraus die Aufforderung zu einem abrupten Kurswechsel herausliest. Keine Frage: Die Asylpolitik ist seit dem Sommer 2015 das „wichtigste politische Problem“ der Deutschen, weit vor Themen wie Arbeitslosigkeit, Rente oder der Wirtschaftslage. Aber auch hier lassen die Befragungen keine messbaren Ausschläge erkennen. Man könnte das als hohes Problembewusstsein deuten, aber nicht als Alarmsignal. Ein solches – zumal in diesem Frühjahr – scheinen die Deutschen auch hinsichtlich der Flüchtlingspolitik ihrer Kanzlerin nicht abgeben zu wollen. Seit dem Herbst 2017 beurteilen knapp mehr als die Hälfte der Deutschen Merkels Asylpolitik als „eher schlecht“ und etwas über 40 Prozent als „eher gut“. Tendenz: gleichbleibend.
Auch CSU-Aufstands-Grund Nummer zwei gibt Anlass zum Zweifel: Die Zahl der Asylsuchenden. Ursprünglich wollte Horst Seehofer Flüchtlinge an der deutschen Grenze erst dann zurückweisen, wenn die im Koalitionsvertrag vereinbarte „Spanne“ – also Obergrenze – von rund 180.000 bis 220.000 Flüchtlingen pro Jahr überschritten zu werden droht. Eine solche neuerliche Flüchtlingskrise würde die Einhaltung des Versprechens, die „Situation 2015 darf sich nicht wiederholen“, in der Tat gefährden und wäre durchaus ein Grund für den Innenminister und CSU-Politiker, nun rasch und konsequent zu handeln. Dass das passiert, ist aber zunächst nicht zu erwarten. Rund 78.000 förmliche Anträge wurden bis Ende Mai gestellt, hochgerechnet wären das 180.000 bis zum Jahresende. Trotzdem fürchtet der CSU-Chef, „der Korridor der Zuwanderung könnte überschritten werden“. Wobei man wissen muss, dass Seehofers Ministerium just seit diesem Monat nicht mehr mit der Zahl der erstmals registrierten Asylsuchenden rechnet. Diese Zahl ist kleiner als die der förmlichen Antragsteller – und sie geht seit Januar kontinuierlich zurück.