Deutsche Verteidigung unter Ursula von der Leyen: Es geht um mehr als das Überleben einer Ministerin
Ein 1000-seitiger Expertenbericht gibt Aufschluss über die Zustände bei der Bundeswehr. Jetzt müssen Konsequenzen folgen - und Entscheidungen getroffen werden. Und zwar nicht nur die über die Person Ursula von der Leyen. Ein Kommentar.
Da liegt sie nun also, die Bewährungsprobe. Das mehr als 1000-seitige Kompendium der externen Prüfer ist der Test für Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. In ihren ersten Amtsmonaten hat sie viele irritiert. Im eigenen Haus, in der Truppe, in der Regierung und darüber hinaus. Wohlwollende wie Kritische. Mit vielen hat es sich die arg dynamisch auftretende Ärztin auch verdorben. Mit zu vielen?
Immer wieder ist ihr vorgehalten worden, sie kümmere sich nur um Nebensächliches und den schönen eigenen Schein, nicht um das Wichtige: Rüstungsprojekte und Ausrüstung. Nun gibt es aber einen geprüften Status, wie es um große Projekte steht. Und das, was am Wochenende öffentlich wurde, zeigt eine schwierige Lage, geradezu einen gordischen Knoten. Den zu entwirren, ein Konzept aufzustellen und durchzusetzen – darum geht es jetzt.
Verantwortung der Generäle
Sicher ist externe Expertise gut. Sie verhilft zu einem Überblick. Zu lange gewachsene Strukturen und Abhängigkeiten können den ebenso wie Veränderungen behindern. Kameraden untereinander fällt er vielleicht schwerer. Nur: Ohne das Wissen und die Unterstützung der Experten im eigenen Haus geht es auch nicht. Da muss wohl Vertrauen zurückgewonnen werden. Allerdings stellt sich die Frage: Wo ist die Verantwortung all der Generäle, die seit Jahren, teils Jahrzehnten, Verantwortung und so schön goldglänzende Sterne auf ihren Schultern tragen? Der Eindruck wächst, dass mancher die Arbeit eher als Wettbewerb Soldat gegen Minister versteht.
Ganz sicher entscheidet die Politik, wo es am Ende langgeht, aktuell diese Ministerin. Sie muss sich aber mehr als die Leitung anderer Häuser mit den Kollegen und der Kanzlerin abstimmen. Denn meist geht es um Auswirkungen weit über den eigenen Bereich hinaus. Die sogenannte neue deutsche Außen- und Sicherheitspolitik wurde nicht umsonst öffentlichkeitswirksam im Chor in den globalen Resonanzraum geworfen. Allen Ebenen muss klar sein: Hier ist Miteinander nötig, kein Gegeneinander. Das Wir, nicht das Ich. Angesichts der sich rasant verändernden Weltlage ist das überlebenswichtig. Für alle.
Verantwortung der Rüstungskonzerne
Das heißt, jeder muss die Voraussetzungen in seinem Haus schaffen. Das ist der Auftrag für Ursula von der Leyen. Dass es Monate gedauert hat, bis der Bericht fertig war, kann auch Hoffnung begründen: dass die Prüfer gründlich geschaut und analysiert haben. Und was sind einige Monate gegen die Verspätung eines Flugabwehrsystems von 16 Jahren? Dass das Verteidigungsministerium Ende des Jahres vermutlich 400 Millionen Euro nicht ausgeben wird? Was soll’s. Es geht nicht darum, Geld auszugeben, sondern es sinnvoll auszugeben. Allein die jetzt geprüften Vorhaben schlagen mit 55 Milliarden zu Buche.
Zum Beispiel muss geklärt werden: Welche der großen Rüstungsprojekte sind sinnvoll, oder sind sie es in dieser Form? Wie können Lieferzyklen beschleunigt werden? Wie werden Rüstungsfirmen zur Verantwortung gezogen, die nicht fristgemäß oder Mangelhaftes liefern? Dass Verträge der Industrie offenbar Schlupflöcher lassen, ist untragbar.
Um sinnvolle Entscheidungen zu treffen, muss die Regierung insgesamt jetzt festlegen: Was will Deutschland für Auslandseinsätze anbieten? Was soll und muss die Bundeswehr können? Was kann und will Deutschland in europäischer Verantwortung lösen? Es geht um noch viel mehr als das Überleben einer Ministerin im Amt.