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Svenja Schulze
© Mike Wolff/Tsp

Umweltministerin zum Klimapaket der Groko: „Es geht um die Glaubwürdigkeit dieser Regierung“

Umweltministerin Svenja Schulze knüpft den Fortbestand der Koalition an die Klimapolitik. Im Interview sagt die SPD-Politikerin auch, was die Bürger tun können.

Svenja Schulze (SPD) war Forschungsministerin in Nordrhein-Westfalen, danach Generalsekretärin in der NRW-SPD. 2018 ging sie als Umweltministerin nach Berlin.

Frau Schulze, plagt Sie das schlechte Gewissen, wenn Sie in zwei Wochen mit dem Flugzeug zur UN-Klimakonferenz nach New York reisen?
Nein. Ich finde es wichtig, nicht nur per Videokonferenz mit Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt zu diskutieren, wie wir beim Klimaschutz vorankommen. Hin und wieder müssen alle gemeinsam an einem Tisch sitzen.

Sie könnten den Atlantik ja auch mit dem Segelboot überqueren wie die Klimaaktivistin Greta Thunberg.
Das kommt für mich nicht in Frage. Ich finde es aber sehr mutig, dass Greta Thunberg diese Tour unternommen hat. Es imponiert mir, was dieses 16-jährige Mädchen weltweit ausgelöst hat.

Was tun Sie in Ihrem Privatleben, um das Klima zu schützen?
Ich fahre viel Fahrrad und nehme so oft wie möglich die Bahn. Seit fast 40 Jahren esse ich kein Fleisch mehr.

Wer trägt mehr Verantwortung für die Rettung des Klimas – die Politik oder der Einzelne?
Beide sind gefordert. Die Politik sorgt dafür, dass die Rahmenbedingungen stimmen. Meine Schwiegereltern wohnen auf dem Land, da fährt nur dreimal am Tag ein Bus. Sie haben kaum eine Chance, ohne Auto unterwegs zu sein. Wir können von den Bürgerinnen und Bürgern eine Verhaltensänderung hin zu mehr Klimaschutz nur erwarten, wenn es dafür gute Angebote gibt. Und wenn die Politik diese Voraussetzungen schafft, sollte jeder und jede Einzelne auch mitziehen.

Vor der New Yorker Klimakonferenz will die Bundesregierung ein „Klimapaket“ vorlegen. Bisher ist in der Koalition aber noch keine Einigung etwa über eine CO2-Steuer in Sicht. Werden Sie allmählich nervös?
Das sind noch zwei Wochen richtig harte Arbeit. Die Vorschläge, die aus den Ressorts auf dem Tisch liegen, reichen noch nicht aus.

Haben Sie die Sorge, dass Sie mit leeren Händen zum Klimagipfel fahren müssen?
Ich bin zuversichtlich. Ohne gutes Ergebnis nach New York zu fahren, wäre eine Blamage. Wir müssen sicher sein, dass wir mit unserem Klimapaket Deutschlands Klimaziele zuverlässig erreichen können, also bis 2030 den Ausstoß der klimaschädlichen Treibhausgase um 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken.

Ihr Parteifreund Olaf Scholz erwartet von der Koalition einen „großen Wurf“ beim Klimaschutz. Ist Schwarz-Rot am Ende, wenn der nicht gelingt?
Die Koalition kann nicht weiter machen, wenn sie nicht in der Lage ist, zweifelsfrei zu klären, wie Deutschland seine Klimaziele bis 2030 erreichen kann. Das ist unsere internationale Verpflichtung, die über das Pariser Klimaabkommen geregelt ist. Wenn wir als Industrieland nicht vormachen, wie es geht, können wir auch nicht erwarten, dass sich andere Staaten anschließen. Es geht um die Glaubwürdigkeit dieser Regierung.

Welche konkreten Entscheidungen müssen dafür in jedem Fall getroffen werden?
Mir ist wichtig, dass der Klimaschutz endlich verbindlich wird. Wir brauchen für diese und künftige Regierungen einen Mechanismus, mit dem jedes Jahr überprüft wird, wie weit Deutschland bei der Einsparung von Treibhausgasen gekommen ist. Es muss jedes Jahr weniger werden. Wir müssen klar definieren, welcher Bereich wie viel beisteuern muss. Und wenn es irgendwo hapert, muss die Regierung verpflichtet sein, mit neuen Maßnahmen nachzusteuern. Es darf uns nicht noch einmal passieren, dass wir die Ziele reißen, so wie absehbar 2020.

Wichtigstes Instrument ist die Einführung einer CO2-Steuer. Die Union lehnt diese ab und fordert stattdessen einen nationalen Zertifikatehandel. Einverstanden?
Entscheidend ist, dass es am Ende einen fairen und sozial ausgewogenen Preis auf CO2 geben wird. Öl zu verbrennen, muss im Interesse künftiger Generationen teurer werden.

Ist die CO2-Steuer vom Tisch?
Ich klebe nicht an einem Modell. Als ich vor einem Jahr zum ersten Mal eine CO2-Abgabe vorgeschlagen habe, hieß es noch, das sei Teufelszeug. Jetzt diskutieren wir nicht mehr über das ob, sondern das wie. Seit einigen Tagen kommen aus der Union endlich mal Vorschläge und nicht immer nur ‚nein, nein, nein’.

Ein CO2-Preis verteuert fossile Brennstoffe wie Sprit oder Heizöl. Wie wollen Sie dafür sorgen, dass die Menschen nicht überfordert werden?
Ein CO2-Preis darf am Anfang nicht zu hoch sein, und er sollte kontinuierlich, aber nicht zu rasant steigen. Wir müssen aufpassen, dass Normalverdiener oder Pendler auf dem Land sich ihr Auto noch leisten können. Ich schlage vor, die Einnahmen zu nutzen, um den Bürgern eine Klimaprämie zu erstatten. Wir müssen außerdem sicherstellen, dass Vermieter den höheren CO2-Preis für Heizöl oder Gas nicht mehr einfach so über die Nebenkosten auf die Mieter abwälzen können. Denn am Ende entscheiden ja nicht die Mieter über die neue klimafreundliche Heizung, sondern die Vermieter. Aber der CO2-Preis ist ohnehin nur ein Element im Mix aus Preisen, Ordnungsrecht und Förderprogrammen.

Was sollte denn im Zentrum stehen?
Wenn wir Verhalten ändern wollen, brauchen wir eben neben dem Preissignal auch Förderprogramme, an deren Ende dann auch Ordnungsrecht steht.

Wieso sind Verbote nötig?
Ohne Verbote oder klare Vorgaben wie Emissionsgrenzen geht es nicht. Damit Förderprogramme in Anspruch genommen werden, muss es ein klar definiertes Ziel geben. Die heute vorhandenen Programme zum Austausch von Ölheizungen wurden so gut wie gar nicht nachgefragt. Wenn es in zehn Jahren ein Verbot von Ölheizungen gibt, würde das Interesse ganz schnell steigen. Ohne die Perspektive klarer gesetzlicher Anforderungen passiert zu wenig.

Sollten dann nicht auch Spritschleudern wie SUVs verboten werden?
Verstehen Sie, warum man auf asphaltierten Straßen einen Geländewagen braucht? Ich verstehe das jedenfalls nicht. Wer Autos mit riesigem Spritverbrauch fahren will, muss das deutlich im Geldbeutel spüren.

Die Debatte über den Kohleausstieg ist emotional aufgeladen. Kann das Thema das Land so spalten wie die Flüchtlingspolitik?
Ich habe den Eindruck, dass der Kohleausstieg akzeptiert ist. Das hat auch damit zu tun, dass in der Kohlekommission ein guter Kompromiss gefunden wurde - mit Bürgerinitiativen, Umweltverbänden, Gewerkschaften, Arbeitgebern. Diesen Kompromiss gilt es jetzt zügig umzusetzen.

Bei den Landtagswahlen hat die AfD in Orten in den Braunkohlerevieren wie Jänschwalde aber über 50 Prozent erhalten.
Es fehlt im Moment noch das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Politik. Wir haben vor den Wahlen noch nicht ausreichend zeigen können, dass wir halten, was wir versprochen haben. Das wird jetzt alles für jeden sichtbar kommen: die Fördergelder für die Regionen, das Kohleausstiegsgesetz. Es muss klar sein, wie es mit den Beschäftigten weitergeht, dass es zum Beispiel ein Anpassungsgeld gibt.

Wie wollen Sie grundsätzlich mehr Akzeptanz für Klimapolitik schaffen?
Wir müssen ganz viel erklären: Wie CO2 wirkt, wie man den Ausstoß reduzieren kann, was die Alternativen sind. Bei vielen Menschen ist die Tragweite der Erderhitzung noch nicht wirklich angekommen. Ihnen ist noch nicht klar, dass es um unser aller Lebensgrundlagen geht.

"Wenn der Ausbau von Wind- und Sonnenenergie gut vorankommt, kann schon vor 2038 Schluss sein mit der Kohle", sagt Svenja Schulze.
"Wenn der Ausbau von Wind- und Sonnenenergie gut vorankommt, kann schon vor 2038 Schluss sein mit der Kohle", sagt Svenja Schulze.
© Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa

CSU-Chef Markus Söder will bis 2030 aus der Kohle aussteigen, acht Jahre früher als die Kohlekommission. Da müssten Sie als Umweltministerin doch jubeln.
Das ist durchsichtiger Populismus. Man kann doch nicht eine plurale Kohlekommission einsetzen, der übrigens auch die CSU angehörte, und dann das einvernehmliche Ergebnis einfach so vom Tisch wischen. Wenn der Ausbau von Wind- und Sonnenenergie gut vorankommt, kann schon vor 2038 Schluss sein mit der Kohle, genau wie die Kommission es empfohlen hat.

Die Klimaziele bis 2030 müssen finanziert werden, das wird teuer. Ist die schwarze Null zu halten?
Ohne Klimaschutz wird es noch teurer. Zum Beispiel müssen Deiche höher gezogen werden, durch Starkregen können auch kleine Bäche ganze Stadtteile überfluten, ich habe das gerade erst in meiner Heimat Münster erlebt. Im Bund gibt es den Energie- und Klimafonds, der Investitionen ermöglicht. Ob darüber hinaus Geld benötigt wird, wird zurzeit im Klimakabinett berechnet.

Die CSU denkt über eine Klimaanleihe für Bürger nach...
Darüber können wir sprechen. Und das tun wir im Klimakabinett auch.

Ihre Partei hat den Klimaschutz lange als Wohlfühlthema abgetan. Wie grün ist die SPD heute?
Die SPD macht keine grüne, sondern rote Umweltpolitik. Den Parteimitgliedern ist der Klimaschutz besonders wichtig. Als sie kürzlich befragt wurden, über welche Themen sie mit den Kandidierenden für den Parteivorsitz diskutieren wollen, stand Klimaschutz auf Platz 1.

Die SPD, die traditionelle Kohlepartei, bringt man aber nicht unbedingt mit Klimaschutz in Verbindung.
Willy Brandt hat 1961 gesagt, der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden. Wir haben Umweltschutz seitdem auf dem Schirm. Jetzt gilt es zu zeigen, dass der Übergang in eine klimafreundliche Wirtschaft und Gesellschaft sozial gerecht gelingen kann.

In der Braunkohle sind 8000 Menschen beschäftigt. An der Autoindustrie hängen zwei Millionen Arbeitsplätze. Wird Ihnen Angst und Bange, wenn Sie an die bevorstehenden Umwälzungen denken?
Natürlich beschäftigt mich das. Die Autoindustrie ist nicht nur mit Klimaveränderungen konfrontiert, sondern auch mit der Digitalisierung und demographischen Veränderungen. 18-Jährige wollen heute nicht mehr unbedingt ein eigenes Auto haben. Ich bin aber sicher, dass die Umstellung auch für die Automobilindustrie gelingen wird. Es gibt in Deutschland super Ingenieure.

Wie kann sich die deutsche Autoindustrie in Zukunft behaupten?
Wir brauchen den bezahlbaren Pkw mit Batterieantrieb für die Masse. Die Hersteller sind auf gutem Weg: Volkswagen denkt bereits darüber nach, wann sie die letzte Generation von Verbrennungsmotoren entwickeln. Das Unternehmen will mit einem E-Auto der Golfklasse auf den Markt kommen.

Plädieren Sie für ein staatliches Verbot für Verbrennungsmotoren, wie es etwa die Niederlande bis 2030 planen?
Meine Meinung ist, dass der Verbrenner beim Pkw so oder so auslaufen wird. Er hat es nämlich zunehmend schwer durch die CO2-Grenzwerte, die wir auf europäischer Ebene festgelegt haben und die schrittweise schärfer werden. Das wirkt wie ein staatlich bestimmter Ausstieg.

Ende September findet der Waldgipfel von CSU-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner statt. Was erwarten Sie davon?
Mir sind Mischwälder wichtig, es gibt zu viele reine Kiefern- oder Fichtenwälder. Monokulturen bringen dem Klimaschutz wenig und sind leicht angreifbar, etwa durch Borkenkäfer. Wir brauchen Klimawälder. Bäume müssen wachsen und alt werden dürfen.

Der Amazonas brennt. Trägt die brasilianische Regierung dafür die alleinige Verantwortung?
Ich empfinde das als sehr bedrohlich. Bevor wir jetzt aber mit dem Finger auf Brasilien zeigen, müssen wir auch unser Verhalten hinterfragen. Wir importieren Soja, für das Regenwald abgeholzt wird. Das geht direkt als Futter in die Massentierhaltung. Mein Vorschlag ist, dass es Zertifizierungssysteme geben muss, ähnlich wie jene, die es beim Palmöl gibt.

Ende des Jahres tagt die Weltklimakonferenz in Chile. Um dabei zu sein, nutzen Sie sicher wieder das Flugzeug. Wie wäre es mit Biosprit für den Regierungsflieger?
Ich nutze generell Linienflüge. Und in Chile werde ich dann mit meinen internationalen Kollegen unter anderem besprechen, wie man aus erneuerbaren Energien synthetisches Kerosin herstellt und wie Deutschland dabei helfen kann.

Nora Marie Zaremba; Jakob Schlandt; Cordula Eubel

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