US-Kongress zur Gesundheitsreform: Erst ein Siegchen für Trump - und dann ein Desaster
Mit knappster Mehrheit bleibt der Traum der Republikaner vom Ende von "Obamacare" zunächst am Leben. Doch die Reform der Reform fällt erneut durch. Ein Kommentar.
Im üblichen Großsprech verkündet Donald Trump einen großen Sieg. In Wahrheit war das erste Votum des Senats in Sachen Gesundheitsreform in der Nacht zu Mittwoch bestenfalls ein Siegchen. Kurz darauf folgte eine krachende Niederlage in einer zweiten Abstimmung mit dem Ziel, die Abschaffung von "Obamacare" einzuleiten. Die Umstände legen die prekäre Lage des Präsidenten und die Spaltung der Republikanischen Partei in dieser Frage bloß.
Die Republikaner stimmen für eine Debatte, die sie verhindern wollten
Mit dem Versprechen, Barack Obamas Gesundheitsreform zu widerrufen und durch eine bessere Reform zu ersetzen - "repeal and replace" -, ziehen die Republikaner seit sieben Jahren ihre Wahlkämpfe. Die ersten sechs Monate der Amtszeit Trump haben gezeigt: Sie haben in all den Jahren keine mehrheitsfähige Version der Gesundheitsreform erarbeitet. Und sie sind nicht einmal in der Lage, die Mehrheit für die Abschaffung von "Obamacare" zusammen zu bringen.
Um nicht mit leeren Händen dazustehen und ihren Wählern vorzugaukeln, dass sie sich dem Ziel nähern, hatte Mitch McConnell, der Fraktionschef der Konservativen im Senat, in der Nacht zu Mittwoch eine Abstimmung angesetzt mit dem Ziel, die Debatte über die Gesundheitsreform zu eröffnen. Die haben die Republikaner mit der denkbar knappsten Mehrheit bestanden: Unter den Senatoren erreichten sie nur ein Patt - 50 zu 50 - weil zwei Republikanerinnen, Susan Collins aus Maine und Lisa Murkowski aus Alaska, mit den Demokraten dagegen stimmten. In solchen Fällen entscheidet die Stimme des Vizepräsidenten. Dieses Amt hat der Republikaner Mike Pence. Und so gewannen die Republikaner diese Etappe im Senat mit 51 zu 50.
Schon dahinter verbirgt sich eine Ironie. Bis vor wenigen Tagen hatten die Republikaner die parlamentarische Debatte über das Thema verweigert. Sie wollten eine Reform direkt zur Abstimmung bringen, über die weder in den zuständigen Ausschüssen noch öffentlich diskutiert wurde.
Dem Senatsführer fehlen neun Stimmen aus den eigenen Reihen
Doch die Triumphstimmung unter den Konservativen verflog rasch wieder. Wenige Stunden später wurde eine zweite Abstimmung zum Desaster für die Republikaner. Es ging um ihre bislang umfassendste Variante einer Reform von "Obamacare". Um den Senat damit zu befassen, hätten sie 60 von 100 Senatoren benötigt. Sie brachten aber nur 43 Stimmen zustande. Neun Republikaner votierten dagegen.
Die Republikaner finden zu keiner einheitlichen Linien, wie sie mit der Gesundheitsreform umgehen wollen. Ihr konservativer Flügel will Obamas Reform ersatzlos zurückdrehen. Dann würden bis zu 50 Millionen US-Bürger ihre Absicherung für den Krankheitsfall verlieren. Die moderaten Republikaner streben eine Reform zur Kostensenkung an, im Idealfall gemeinsam mit den Demokraten. Kompromissbereitschaft innerhalb der Partei ist nicht zu erkennen.
Der todkranke John McCain wird zur Kassandra
So wurde John McCain zur weithin beachteten Kassandra der Senatssitzung. Der todkranke 80-jährige Kongressveteran, bei dem vor wenigen Tagen ein aggressiver Gehirntumor gefunden worden war, ermöglichte Trump mit seinem Erscheinen das Siegchen in der ersten Abstimmung. Aber er mahnte seine Partei: "Wir kriegen nichts mehr zustande." Der Senat, fügte er mit der für ihn so typischen beißenden Ironie hinzu, "hat sich in letzter Zeit nicht durch ein Übermaß großartiger Taten ausgezeichnet. Wir liefern nicht eben viel für die amerikanischen Bürger. Beide Parteien haben das zugelassen." McCain ist ein Kritiker Trumps und Befürworter einer Gesundheitsreform gemeinsam mit den Demokraten.
Das US-Gesundheitswesen bleibt auf absehbare Zeit in einer Krise. "Obamacare" bleibt erstmal in Kraft. Aber niemand kann mit Sicherheit sagen, in welche Richtung sich die Reformdebatte bewegt und wo sie enden könnte. Die Machtkämpfe im Senat werden auf dem Rücken von Millionen US-Bürgern ausgetragen, die nicht wissen, ob und wie sie sich in den kommenden Jahren gegen Krankheiten und deren womöglich existenzgefährdende Folgen absichern können.
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