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Athiopiens Premier Meles Zenawi hinterlässt ein umstrittenes Erbe. Nach seinem Tod könnte der Grenzkonflikt mit Eritrea wieder aufflammen.
© AFP

Politik: Polizist am Horn von Afrika

Äthiopiens Premier Meles ist tot. Er garantierte Stabilität in einer der größten Krisenregionen der Welt.

Seit Wochen schon hatte es immer wieder Gerüchte gegeben. Doch jedes Mal, wenn neue Spekulationen über eine schwere Erkrankung des äthiopischen Premierministers Meles Zenawi aufkamen, wurden sie von der Regierung in Addis Abeba sofort heftig dementiert. Am Dienstag nun bestätigte das äthiopische Staatsfernsehen jedoch, was viele Beobachter seit längerem vermutet hatten: Mit nur 57 Jahren ist Äthiopiens Staatschef, der vielerorts als die „Stimme Afrikas“ galt, in einem Krankenhaus in Brüssel gestorben. Nach Angaben des äthiopischen Staatsfernsehens starb Meles kurz vor Mitternacht am Montag an den Folgen einer Infektion.

Für Äthiopien ist der Tod des „Mannes mit den zwei Gesichtern“, als der er oft beschrieben wurde, zumindest wirtschaftlich ein herber Rückschlag: Auf der Habenseite steht die Tatsache, dass Meles für den Westen als ein Garant von Stabilität galt und einen langen und insgesamt erfolgreichen Kampf gegen die Armut in seinem Land führte. Unter seiner Führung wurde Äthiopien das Image als Hungerland los, das Bob Geldof 1985 mit seinem Live-Aid-Konzerten verbreitet hatte. Vielen westlichen Regierungen gefiel an Meles, dass der Absolvent der Open University in Großbritannien das Elend der Äthiopier auf dem Land milderte, wo noch immer fast 90 Prozent seiner inzwischen rund 85 Millionen Menschen leben. Mit seinem flüssigen Englisch, das er auf einer britischen Privatschule in Addis Abeba gelernt hatte, wurde Meles zum Liebling der Geberländer, die jährlich fast vier Milliarden Dollar in sein Land pumpten. Mit dem Geld wurden oft weit bessere Resultate erzielt als anderswo auf dem Kontinent.

Im Gegensatz zu fast allen anderen afrikanischen Staaten steckt Äthiopien heute fast 15 Prozent seiner Haushaltsmittel in die anderswo stark vernachlässigte Landwirtschaft. Die Regierung von Meles Zenawi hat auf dem Land neue Straßen, Kliniken und Grundschulen, vor allem aber eine Reihe riesiger Staudämme gebaut, mit denen die Stromgewinnung bis zum Jahr 2015 um das Fünffache gesteigert werden soll.

Negativ schlägt in der Bilanz von Meles zu Buche, dass er in den 21 Jahren seiner Herrschaft wenig Mut zu politischen Reformen aufbrachte und deshalb oft dafür kritisiert wurde, dass er die Entwicklung seines Landes zunehmend autoritär vorantrieb. So warf er tausende politischer Gegner ins Gefängnis, darunter viele Journalisten. Im Anschluss an die umstrittene Wahl im Jahr 2005 wurden fast 200 Demonstranten von der Polizei getötet und mehr als 30 000 Menschen inhaftiert. Auch intervenierte der frühere Marxist immer wieder in Hilfsprojekten und verbot Organisationen, die er nicht mochte.

Er selbst hat sein autokratisches Entwicklungsmodell nach dem Vorbild Singapurs stets leidenschaftlich verteidigt und erklärt, dass auch Asiens Führer ihre Volkswirtschaften zunächst ohne größere politische Freiheiten auf Erfolgskurs gebracht hätten. Dabei verließ er sich darauf, dass den Geberländern wirtschaftliche Effizienz wichtiger war als ein exemplarisches demokratisches Gebaren. Meles profitierte dabei davon, dass der Westen Äthiopien als Verbündeten und regionalen Polizisten am extrem unruhigen Horn von Afrika brauchte. So erlaubte es die Regierung in Addis Abeba den Amerikanern, mit ihren Drohnen Angriffe auf die Islamisten im benachbarten Somalia zu starten.

Nach Angaben des Staatsfernsehens soll zunächst Meles’ bisheriger Stellvertreter Hailemariam Desalegn die Regierungsgeschäfte übernehmen. Der Wasserbauingenieur Desalegn hat den Vorteil, aus dem Süden Äthiopiens zu kommen – was jene Kritiker besänftigen dürfte, die den Norden und die dort ansässigen Tigray, zu denen auch Meles zählte, für überrepräsentiert halten. Desalegn gehört zur Volksgruppe der Amhara, die die Mehrheit der Äthiopier stellt. Er ist ein Ziehkind von Meles, der ihn seit der Wahl 2010 offenbar zu seinem Nachfolger aufbauen wollte. Vor jener Wahl hatte Meles Zenawi öffentlich zunächst angedeutet, nicht wieder antreten zu wollen – was er dann aber doch tat. Offenbar wusste Meles schon damals, dass er keine ganze Legislaturperiode mehr überleben würde.

Falls sich die Angaben des Staatsfernsehens bestätigen sollten und Desalegn tatsächlich die Nachfolge antreten sollte, wird sich der jetzige Vize-Regierungschef mit Meles’ Witwe Azeb Mesfin gutstellen müssen. Mesfin hat wirtschaftlich beachtlichen Einfluss im Land und sitzt zudem einer Vielzahl von Organisationen vor, über die die ausländische Geberländer Mittel ins Land pumpen.

Was der Tod von Meles Zenawi für die Unruheregion am Horn von Afrika bedeuten ist, ist schwer einzuschätzen. Der Konflikt mit dem Nachbarland Eritrea, mit dem es schon zwischen 1998 und 2000 einen verheerenden Grenzkrieg mit tausenden Toten gegeben hatte, könnte leicht wieder aufbrechen. Der unberechenbare eritreische Präsident Isaias Afewerki könnte sich durch das Machtvakuum im Nachbarland ermutigt fühlen, den bewaffneten Konflikt fortzusetzen.

Der Übergang in Somalia dürfte durch die Unsicherheit in Äthiopien ebenfalls nicht einfacher werden. Gegenwärtig befinden sich zum zweiten Mal äthiopische Truppen im Nachbarland, um die islamistischen Milizen von Al Schabab zu bekämpfen. Derweil hat Somalia eine neue Verfassung formuliert und eine neues Parlament gebildet, die einen Übergang zu einer gewählten Regierung ermöglichen sollen. Dieses Parlament hat aber einen Teil des Landes nach wie vor nicht unter Kontrolle. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor in der Region sind Südsudan und Sudan. Die beiden Staaten haben sich zwar vor wenigen Wochen darauf geeinigt, wie sie ihren Ölreichtum künftig zu teilen gedenken. Zwischen ihnen ist aber weiterhin eine Vielzahl von Streitfragen ungeklärt.

Äthiopien galt in all diesen Konflikten als „regionale Polizei“. Ob das Land diese Rolle weiter spielen kann, hängt davon ab, ob die Äthiopier bereit sind, sich einer von der Regierungspartei entworfenen Lösung für die Nachfolge Meles’ zu unterwerfen.

Dagmar Dehmer, Wolfgang Drechsler

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