Türkei-Feldzug in Syrien: Erdogans Krieg gegen die Kritiker
Seit mehreren Tagen gehen die türkischen Streitkräfte in Nordsyrien gegen Kurdenmilizen vor. Wer sich gegen den Einmarsch ausspricht, wird festgenommen.
Es sind deutliche Worte. „Wer sich uns in den Weg stellt, wird hinweggefegt“, sagt der türkische Präsident. Als Recep Tayyip Erdogan diese Drohung in einer Rede in Bursa ausspricht, meint er nicht die syrische Kurdenmiliz im Nachbarland, gegen die er gerade einen offenen Krieg begonnen hat.
Der Staatschef hat vielmehr die Regierungskritiker im eigenen Land im Blick. 24 Menschen sind bereits wegen „Terrorpropaganda“ festgenommen worden, als die türkische Armee am Montag den dritten Tag der „Operation Olivenzweig“ in Nordsyrien beginnt. Erdogans Türkei führt Krieg und ist selbst im Dauer-Ausnahmezustand.
Auf nationalistischem Kurs
„Nein zum Krieg!“, tippte die türkische Popsängerin Ceylan Ertem in Großbuchstaben am Sonntag in einer Twitterbotschaft. Am Montagmorgen war ihr Twitterkonto bereits geschlossen. Die türkische Regierung arbeitet schnell. Ministerpräsident Binali Yildirim hatte Verlags- und Fernsehchefs zu sich einbestellt und die Marschroute vorgegeben: betonen, dass es gegen Terrororganisationen gehe; türkische Interessen nicht vergessen; unbestätigte Angaben über Angriffe auf Zivilisten ignorieren.
Nicht nur Vertreter der Regierungsmedien saßen am Tisch von Yildirim. Erstmals war auch die stramm säkular-nationalistische Tageszeitung „Sözcü“ eingeladen. Die Regierung achtet besonders auf die nationalistische türkische Wählerschaft. Die will sie bei diesem Krieg gegen die Kurden hinter sich haben und nicht an Erdogans neue Gegnerin verlieren, die „eiserne Lady“ Meral Aksener von der neugegründeten rechtsnationalistischen Guten Partei.
Journalisten, die in den sozialen Medien Stellung gegen den Einmarsch beziehen, nimmt die Staatsanwaltschaft mitunter gleich fest. Ishak Karakas, den Chefredakteur der linken Zeitung „Halkin Nabzi“ (Puls des Volkes), erwischt es, Nurcan Baysal, eine bekannte kurdische Kolumnistin, ebenfalls.
Angriff und Gegenangriff
Baysal war in der Nacht zu Montag in ihrer Wohnung in Diyarbakir festgenommen worden. Von der dortigen Luftwaffenbasis startet auch ein Teil der Kampfjets der türkischen Armee zum Bombardement der nordsyrischen Grenzprovinz Afrin. Die Militärjets donnern dabei wie immer bei solchen Einsätzen über die größte Stadt der Kurden in der Türkei. Viele Bewohner empfinden das als Erniedrigung.
Die Streitkräfte meldeten am Montag zunächst die Einnahme von einem Dutzend Ortschaften in der Provinz Afrin und begann im Lauf des Tages mit einem Vorstoß mit Panzern von der östlich von Afrin gelegenen Stadt Azaz. Diesen Teil des syrischen Gebiets kontrolliert die Türkei bereits seit dem Ende ihrer „Operation Euphratschild“ 2017.
Die syrische Kurdenmiliz YPG meldete jedoch einen Gegenangriff und heftige Kämpfe gegen die Türken und die von ihr unterstützten Freien Syrischen Armee (FSA). Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte bestätigte diese Angaben.
In Ankara stand am Montag ein Treffen des Staatssekretärs für Europa und Eurasien im US-Außenministerium, Jonathan Cohen, mit türkischen Vertretern auf dem Programm. Die syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) sind eigentlich ein Verbündeter der Vereinigten Staaten.
Breite Unterstützung in der Bevölkerung
Nach jahrelanger und schärfer gewordener Kritik der Türkei an der Waffenhilfe des Nato-Partners USA an den Kurden, ordnete Staatschef Erdogan am vergangenen Samstag den Beginn der Militärintervention an. Die YPG sei nicht mehr als eine Marionette der als Terrororganisation eingestuften PKK, so argumentiert Ankara immer wieder.
Für ihren Krieg in Afrin scheint die Regierung deshalb breite Unterstützung in der türkische Bevölkerung zu haben. Nur wenige weisen im Moment auf die Folgen für die kurdische Minderheit im eigenen Land hin.
Eine rationale Politik für die Türkei in Syrien wäre als Schutzmacht der Kurden aufzutreten, nicht sie zu bombardieren, so schrieb Asli Aydintasbas, eine außenpolitische Kolumnistin der Tageszeitung „Cumhuriyet“. Das dürfte für die Mehrheit in der Türkei allerdings noch ein recht absonderlicher Gedanke sein.