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Der türkische Staatspräsident Erdogan hat Maßnahmen gegen Deutschland angekündigt.
© Christian Hartmann/Reuters

Armenien-Resolution: Erdogan sinnt auf Rache

Mit einem Aktionsplan will der türkische Staatschef gegen die deutsche Armenien-Resolution vorgehen. Der Bundestag zeigt sich unbeeindruckt.

Plötzlich ist es ungewöhnlich still im Plenarsaal. Kein Flüstern in den hinteren Reihen mehr, kein Rascheln mit Papier. Zum Beginn der Bundestagsdebatte an diesem Donnerstagmorgen spricht Parlamentspräsident Norbert Lammert noch einmal ein Thema an, das längst nicht nur diejenigen bewegt, die direkt betroffen sind.

Nach der Resolution des Bundestages zum Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich sind die Drohungen gegen deutsche Abgeordnete mit türkischem Migrationshintergrund keineswegs weniger geworden. Sie seien zum Teil sogar noch heftiger als zuvor, sagt Lammert. Die Rede ist von Hass-Mails und Angriffen, die bis zur Morddrohung gehen. Auf Wunsch aller Fraktionen nimmt der Bundestagspräsident nun zu den Drohungen Stellung.

Auch Merkel klatscht

Unter dem Beifall der Abgeordneten erklärt Lammert die Solidarität des ganzen Parlaments mit den Abgeordneten, die bedroht werden: „Jeder, der durch Drohungen Druck auf einzelne Abgeordnete auszuüben versucht, muss wissen: Er greift das ganze Parlament an.“ Lammert kündigt an, der Bundestag werde mit allen rechtlichen Möglichkeiten reagieren. Der Bundestag hat das Material mit den Hassbotschaften bereits an das Bundesinnenministerium weitergeleitet, das wiederum das Bundeskriminalamt eingeschaltet hat.

Doch Lammert geht noch weiter und kritisiert auch den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan direkt für seine Angriffe auf türkischstämmige Abgeordnete in Deutschland: „Dass ein demokratisch gewählter Staatspräsident im 21. Jahrhundert seine Kritik an demokratisch gewählten Abgeordneten mit Zweifeln an deren türkischer Abstammung begründet, ihr Blut als verdorben bezeichnet, hätte ich nicht für möglich gehalten“, sagt Lammert unter dem Beifall aus allen Fraktionen.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel klatscht an dieser Stelle. Die Kanzlerin hatte sich am Mittwoch auf Nachfrage ebenfalls zu den Angriffen aus Ankara auf deutsche Abgeordnete geäußert, allerdings deutlich zurückhaltender: „Die Aussagen der türkischen Seite halte ich für nicht nachvollziehbar.“

Bundestagspräsident Norbert Lammert fand deutliche Worte zum Verhalten Erdogans.
Bundestagspräsident Norbert Lammert fand deutliche Worte zum Verhalten Erdogans.
© Kay Nietfeld/dpa

Lammerts Worte dagegen lassen aus Sicht der Abgeordneten an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Deshalb zieht die Fraktion der Linken ihren Antrag, in einer Aktuellen Stunde über das Thema zu reden, am Ende wieder zurück. Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der als erster ans Rednerpult tritt, bedankt sich bei Lammert für die „klaren Worte“.

Spekulation über Vergeltungsaktionen

Erdogan legte am Donnerstag derweil noch mal nach. Sollte die Bundesrepublik die Armenien-Resolution nicht rückgängig machen, werde die Türkei weitaus schärfer reagieren als bisher, sagte er. Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin hatte von einem Aktionsplan gegen Deutschland gesprochen, der derzeit innerhalb der Regierung abgestimmt werde. Einzelheiten nannte Kalin nicht.

Erdogan blieb ebenfalls vage und verband seine Warnung mit der Forderung, Deutschland solle die von regierungsnahen Zeitungen als „Schand-Gesetz“ bezeichnete Resolution kassieren. Dabei dürfte der Präsident wissen, dass der Bundestag nicht daran denkt, die eigene Entscheidung unter dem Druck Ankaras zu widerrufen.

Erdogan vermittelt aber nicht den Eindruck, als wolle er von seinem bisherigen Kurs abweichen. Das von ihm angekündigte Maßnahmenpaket könnte nach seiner Rückkehr von einer Auslandsreise in den kommenden Tagen verkündet werden. Wirtschaftliche Strafmaßnahmen gegen die Bundesrepublik sind für die Türkei schwierig, weil Deutschland der wichtigste Handelspartner des Landes ist.

Spekuliert wird deshalb über politische oder militärische Vergeltungsaktionen. So fordert die rechtsgerichtete Oppositionspartei MHP, die Präsenz der Bundeswehr auf dem Fliegerhorst Incirlik im Süden der Türkei zu beenden. Dort sind derzeit Aufklärungsjets vom Typ Tornado sowie ein Tankflugzeug der deutschen Militärs als Beitrag zur internationalen Allianz gegen den "Islamischen Staat" (IS) in Syrien stationiert.

Ein Platzverweis der Türkei wegen der Armenien-Resolution hätte aus Sicht Ankaras den Vorteil, dass er ein sehr deutliches Zeichen des Protestes wäre, aber keine ernsthaften Folgen für den Kampf gegen den IS hätte: Die Deutschen beteiligen sich nicht direkt an den von Incirlik aus gestarteten Luftangriffen, sondern liefern Aufklärungsmaterial zu deren Vorbereitung.

Möglich sind auch politische Schritte, etwa zur Einschränkung der Arbeit politischer deutscher Stiftungen in der Türkei. Die Vertretungen der parteinahen deutschen Stiftungen – Adenauer-, Ebert-, Böll- und Naumann-Stiftung – stehen bei türkischen Nationalisten schon lange im Verdacht, in der Türkei zu spionieren und Unruhen anzustiften.

Ist das „Völkermords-Theater“ Teil eines finsteren Plans?

Manche Beobachter fragen sich, was Erdogan treibt. Ausgerechnet zu einer Zeit, in der die türkische Regierung im eigenen Land und im Ausland Partner für den Kampf gegen den PKK-Terror brauche, zögen Regierung und Präsident mit Drohungen und ausländerfeindlichen Parolen vom Leder, schrieb der Kolumnist Özgür Korkmaz in der „Hürriyet Daily News“.

Doch Erdogans Anhänger dürften Strafaktionen gegen Deutschland bejubeln. Schon jetzt verbreiten regierungstreue Medien ein Bild der Bundesrepublik als Zentrum des Bösen. Ibrahim Karagül, Chefredakteur des Erdogan-treuen Blattes „Yeni Safak“, machte die Deutschen in einem Beitrag unter anderem für die regierungsfeindlichen Gezi-Unruhen des Jahres 2013 verantwortlich.

Karagül und andere vertreten die Ansicht, dass die Bundesrepublik zu schmutzigen Tricks greift, um den Aufstieg der Türkei zur Regionalmacht zu blockieren. Nun seien die Deutschen dabei, neue Aktionen auszuhecken: Das „Völkermords-Theater“ im Bundestag war demnach nur Teil eines finsteren Plans. „Bis zum Herbst wird es einen weiteren schweren Anschlag geben“, schrieb Karagül. Beweise für seine merkwürdigen Thesen legte Karagül nicht vor, aber das muss er auch nicht. Viele Erdogan-Anhänger sind auch so überzeugt, dass sich der Westen gegen ihr Land verschworen hat, weil er den Aufstieg einer muslimischen Führungsmacht unter einem starken Präsidenten nicht hinnehmen will.

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