Chaos bei der Corona-App geht weiter: Entwickler beklagen Entscheidung von Google und Apple
In Deutschland könnte sich die Einführung einer Corona-App weiter verzögern. In Großbritannien startet dagegen schon ein erster großflächiger Test.
Apple und Google haben am Montag weitere Details zur geplanten Technologie für Corona-Warn-Apps vorgestellt. Sie zeigten anhand beispielhafter Entwürfe die mögliche Funktionsweise und stellten Entwicklern den Code für eine Muster-App zur Verfügung. Darüber hinaus stellten die Unternehmen auch Bedingungen für Tracing-Apps der staatlichen Gesundheitsbehörden vor.
Damit verbunden sind Einschränkungen, die auch vertraglich festgelegt werden sollen. So muss ein Tracing-App-Anbieter die Zustimmung der Nutzer einholen, bevor auf die Schnittstellen zugegriffen werden kann. Zudem dürfen Apps nicht auf Standortinformationen zugreifen, auch andere Datennutzungen werden begrenzt, beispielsweise auf Werbetargeting.
Die beiden Technologiekonzerne wollen so Missbrauchsmöglichkeiten von vornherein ausschließen. Sie erklärten auch, dass die so genannte Exposure-Notification-Funktion nur zeitlich begrenzt zum Einsatz kommen soll. Wenn die Pandemie vorbei sei, soll sie regional wieder deaktiviert werden, erklärten Unternehmensvertreter.
Außerdem soll die Nutzung der Schnittstelle auf eine App pro Land begrenzt werden. Damit solle eine Fragmentierung vermieden und eine hohe Nutzungsrate befördert werden. Eine Ausnahme wollen Apple und Google nur machen, wenn Staaten regionale Ansätze mit verschiedenen Apps in einzelnen Bundesstaaten verfolgen.
Problem für deutsche Entwickler
Diese Entscheidung könnte zum Problem für manche Entwicklergruppen werden. So arbeitet in Deutschland die Unternehmensberatung PwC gemeinsam mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), der aus ihm herausgegründeten Firma SIS Software sowie dem Ticket-Spezialist Eventim an einer Lösung. „Die App ist fertig“, sagt ein PwC-Sprecher.
Eigentlich soll sie intern noch in dieser Woche ausgerollt werden. Für die volle Funktionsfähigkeit fehlt dann noch eine Vereinbarung mit den Gesundheitsämtern, damit diese mit Covid-19 Infizierten einen TAN-Code zur Verfügung stellen. Den sollen positiv getestete Nutzer der Tracing-App als Bestätigung eingeben, bevor potenzielle Kontakte informiert werden. Eine solche Funktion hatten auch Apple und Google gezeigt. Über mögliche Beschränkungen durch Apple und Google beim Nutzen einer solchen App äußerte sich die Entwicklergruppe „verwundert“. Man habe mit dem von Apple veröffentlichten Code bereits gearbeitet.
Test auf britischer Insel gestartet
In Großbritannien beginnt bereits eine Testphase. Wie die britische Regierung mitteilte, will sie auf einer Insel vor der Südküste Englands eine Tracking-App für den Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie testen. Diese wurde vom staatlichen Gesundheitsdienst NHS entwickelt und soll erst auf der Isle of Wright und ab Ende Mai im ganzen Land genutzt werden, wie Gesundheitsminister Matt Hancock am Montag mitteilte. Die Abstandsregeln müssten auf der Isle of Wight und auch überall sonst im Land aber weiter eingehalten werden.
Ab Dienstag soll das Gesundheitspersonal auf der Insel die App testen, im Laufe der Woche dann alle Inselbewohner - Ende Mai dann soll die App im ganzen Land eingesetzt werden. Auf der Isle of Wright leben etwa 140.000 Menschen. Auf der Insel sind nach Zahlen vom Wochenende 127 Menschen nachweislich mit dem Coronavirus infiziert, 28 sind an einer Covid-19-Erkrankung gestorben. Wie in Deutschland gibt es auch in Großbritannien Bedenken etwa von Datenschützern bei der Ausstattung und Nutzung von Tracking-Apps.
Alternativangebote womöglich nicht im Appstore
Wie es mit der App der Gruppe um PwC weitergeht ist offen. Die Entscheidung von Apple und Google könnte auch dazu führen, dass die Programme nicht in den App-Stores zur Verfügung stehen. Allerdings kann sie für die interne Nutzung auch anderweitig zur Verfügung gestellt werden.
Die Gruppe um PwC führe auch schon Gespräche mit anderen Unternehmen, die an der Tracing-App Interesse haben, entweder um sie ebenfalls intern für die eigenen Mitarbeiter zu verwenden, aber auch um sie Kunden zur Verfügung zu stellen.
Mehr zum Coronavirus:
- Abschluss der Heinsberg-Studie zum Coronavirus: In Deutschland könnte es 1,8 Millionen Infizierte geben
- Zwei lange Jahre voller Höhen und Tiefen: Die zweite und dritte Corona-Welle könnte schlimmer als die erste werden
- Infektiologe im Interview: „Problem beim RKI sind fehlende ausführliche Daten“
- Mundschutz selber machen: Eine Anleitung zum Basteln einer Atemschutzmaske
- Berechnungen von Harvard-Forschern: 20- bis 24-Jährige treiben die Corona-Pandemie in Deutschland an
„Es würde sich anbieten, mehrere Apps zu haben“, sagt der Sprecher. Zumal es noch einige Wochen dauern kann, bis die „offizielle“ App, die gerade von SAP und Telekom entwickelt wird, zur Verfügung steht. „Entscheidend ist, dass die Apps dann miteinander kommunizieren.“ Doch genau dafür müssten sie alle die Exposure-Notification-Schnittstellen nutzen können. Die Start-up-Initiative „GesundZusammen“, die nach eigenen Angaben ebenfalls eine Tracing-App bereits fertig entwickelt hat, äußerte sich auf Anfrage nicht.
[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Krise live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple-Geräte herunterladen können und hier für Android-Geräte.]
Unklar blieb auch, ob Tracing-Apps von Staaten, die den umstrittenen und hierzulande verworfenen Ansatz mit einem zentralen Server nutzen, mit der Technologie kompatibel sein werden. Auf mehrfache Nachfrage dazu antworteten die Unternehmenssprecher ausweichend.
Apple verweigert Frankreich Unterstützung
In Frankreich zeigt sich nun erstmals, dass insbesondere Apple dabei nur begrenzt entgegenkommt. „Apple hätte uns helfen können, dass es noch besser funktioniert. Sie taten es nicht aus einem Grund, der mir nicht nachvollziehbar ist. Ich denke, es ist bedauerlich“, der Staatssekretär für Digitales, Cédric O, am Dienstag dem Fernsehsender BFM Business. „Wir werden uns daran erinnern“, ergänzte er.
Frankreich will seine eigene Corona-Warn-App ab Anfang Juni zum Einsatz bringen. Ab kommender Woche werde eine Testphase der App unter realen Bedingungen beginnen. Die „StopCovid“-App, mit der der Kontakt von positiv auf das Coronavirus getesteten Personen nachverfolgt werden soll, solle bis zum 2. Juni fertig sein, sagte O. Die App werde dabei nicht auf die Schnittstellen von Google oder Apple zurückgreifen, erklärte O. Insbesondere bei den Apple-Smartphones könnte es jedoch ohne Kooperation mit dem Hersteller zu Problemen kommen, da auf dem iPhone keine ständigen Bluetooth-Zugriffe möglich sind, wenn die App nur im Hintergrund läuft.
Bluetooth ist nicht für Abstands-Messung gemacht
Das zeigte sich auch in Singapur, wo die Technologie schon im Einsatz ist. Ein weiteres Problem ist, dass die Bluetooth-Funktechnik nicht dafür gemacht ist, Abstände zu messen. "Es ist das Beste, was wir an schlechter Technologie haben", sagt Google-Manager Jens Redmer. Zudem müssen Nutzer teilweise ihre Smartphone-Betriebssysteme aktualisieren, um die App zu nutzen. Gerade bei Android sind entsprechende Updates jedoch je nach Anbieter nur mit Verzögerung verfügbar. Apple will die Schnittstellen zunächst für alle iPhones verfügbar machen, die mit der Betriebssystem-Version iOS 13 laufen, bei Google ist es Android 6.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte in diesem Zusammenhang zuletzt gesagt, dass die App "nächsten Wochen" fertig sein könne. Experten halten jedoch einen Zeitrahmen von zwei Monaten für realistischer.