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Ein kleiner Solarpark liegt neben der Zubringerstraße zum Kernkraftwerk Unterweser in Esensham (Niedersachsen). Das Atomkraftwerk an der Weser ist seit Jahren vom Netz. Wer die Kosten für den Rückbau und den angefallenen Atommüll trägt, wird derzeit in einer Kommission verhandelt.
© Ingo Wagner/dpa

Atom-Rückstellungen: Energiekonzerne blockieren Atomkompromiss

Die Rückstellungskommission hat einen Kompromiss ausgehandelt. Aber die Atomkonzerne wollen sich darauf noch nicht einlassen. Jetzt wird erst einmal weiter verhandelt.

Der erste Fonds ist noch nicht fertig ausgehandelt, da schlägt der Chef der Gewerkschaft IG BCE, Michael Vassiliadis, schon den nächsten vor. Vor der Sitzung der Atomrückstellungs-Kommission an diesem Montag sagte Vassiliadis, er könne sich einen Fonds vorstellen, mit dem in den kommenden 15 Jahren, in denen er noch mit Gewinnen aus der Kohleverstromung rechnet, Rücklagen für die Bewältigung der Braunkohle-Folgekosten gebildet werden könnten. Grüne und Greenpeace warnten umgehend davor, wie bei der Atomenergie Gewinne bei den Konzernen zu belassen, Folgekosten aber auf die Steuerzahler abzuschieben.

Seit November verhandelt eine 19-köpfige Kommission, die das Wirtschaftsministerium berufen hat, über die Kostenteilung zwischen Konzernen und Staat bei der Abwicklung des Atomausstiegs. Dabei ist die Gruppe, die von gleich drei Vorsitzenden – Jürgen Trittin (Grüne), Matthias Platzeck (SPD) und Ole von Beust (CDU) – geleitet wird, ziemlich weit gekommen. Im Grundsatz ist sich die Kommission einig: Die Konzerne sollen für den Rückbau der Atomkraftwerke, die Verpackung, im Fachjargon Konditionierung, der radioaktiven Abfälle und deren Transport verantwortlich sein. Für die Schließung der Zwischenlager sowie für die Endlagerung selbst, soll der Staat zuständig sein. Allerdings ist mit einem Endlager vor 2050 nicht zu rechnen. Die Endlagerkommission, die seit 2014 über Kriterien für die Endlagersuche verhandelt, wird ihren Abschlussbericht erst Mitte des Jahres vorlegen.

Finanziell würde der vorliegende Vorschlag bedeuten, dass etwa die Hälfte der rund 36 Milliarden Euro, die als Rückstellungen in die Bilanzen der Konzerne eingestellt sind, in einen öffentlich-rechtlichen Fonds eingezahlt werden müssten. Bis 2022 würden die Konzerne das Geld in jährlichen Raten in den Fonds einbezahlen. Da der Staat die finanziell schwerer kalkulierbaren Lasten zu tragen hätte, verlangt die Kommission zumindest einen Risikoaufschlag. Über dessen Höhe gibt es noch keine Einigkeit. Genauso wenig über die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Verantwortung für die Zwischenlager auf den Staat übergehen soll.

Einige Kommissionsmitglieder würden sich wünschen, dass die finanzielle Verantwortung sofort auf den Staat überginge, die Konzerne also die Rückstellungen für den Betrieb der Zwischenlager sofort in den Fonds einzahlen müssten. Die operative Verantwortung bliebe bei den Konzernen, bis der Rückbau der Atomkraftwerke beendet ist. Für den Betrieb der Zwischenlager würden die Konzerne dann aus dem Fonds bezahlt.

Jürgen Trittin (Grüne) leitet mit Matthias Platzeck (SPD) und Ole von Beust (CDU) gemeinsam mit Rückstellungskommission. Die drei Vorsitzenden wollen die Arbeit der Kommission verlängern.
Jürgen Trittin (Grüne) leitet mit Matthias Platzeck (SPD) und Ole von Beust (CDU) gemeinsam mit Rückstellungskommission. Die drei Vorsitzenden wollen die Arbeit der Kommission verlängern.
© Rainer Jensen/dpa

Obwohl das die Unternehmen in ihrem Kampf um ihre Kreditwürdigkeit auf den Finanzmärkten entlasten könnte, haben sie sich am Freitag im Gespräch mit den drei Vorsitzenden nicht darauf eingelassen. Deshalb werden diese in Absprache mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und dem Kanzleramt die Kommissionsarbeit zunächst verlängern. Die meisten Kommissionsmitglieder erwarten einen Kompromiss. Dort haben einige den Eindruck, die Konzerne wären über ein Scheitern froh gewesen. Dann könnten sie nach dem Muster der Braunkohlereserve eine Lösung mit dem Wirtschaftsministerium direkt aushandeln. Diesen Wunsch will die Kommission den Konzernen aber nicht erfüllen.

Es fehlt an der Akzeptanz

Mit einem offenen Brief haben die grünen Energieexperten in der vergangenen Woche noch einmal einen Versuch unternommen, Einfluss auf den Kommissionbericht zu nehmen. Zu den Initiatoren des Briefes an Trittin gehören mit Karl-Wilhelm Koch und Hartwig Berger zwei Grünen-Politiker, die im Parteiarbeitskreis Energie aktiv sind. Zudem hat die grüne Landtagsabgeordnete Miriam Staudte aus Niedersachsen den Brief mit der Überschrift "Das Verursacherprinzip ist nicht verhandelbar" mit unterschrieben. Sie fordern, dass die Konzerne deutlich stärker zur Kasse gebeten werden, und auch nicht aus der Nachhaftung entlassen werden sollen.

Das sieht auch Sylvia Kotting-Uhl nicht wesentlich anders. Die Atomexpertin der grünen Bundestagsfraktion findet zwar die Aufgabenteilung gar nicht schlecht. Aber die schwer kalkulierbaren Kosten für die Zwischen- und Endlagerung sollen ihrer Meinung nach nicht allein beim Staat liegen. "Überall haben sie sich günstig rausgekauft und die Kostenexplosion der öffentlichen Hand überlassen", sagte sie dem Tagesspiegel mit Blick auf die missglückten Endlagerprojekte Asse, Morsleben und die Hinterlassenschaften des Kernforschungszentrums Karlsruhe. "Kann man es einer Gesellschaft zumuten, noch einmal für etwas zu bezahlen, wofür sie mit ihren Strompreisen schon einmal bezahlt hat", fragt sie. Denn die Rückstellungen seien schließlich mit dem Geld der Stromkunden gebildet worden und gehörten den Konzernen deshalb auch gar nicht. Wenn die Nachhaftung der Konzerne zeitlich und in der Höhe begrenzt werde, müsse der Risikoaufschlag "eigentlich bei 100 Prozent liegen", sagt Kotting-Uhl.

Das Anti-Atom-Netzwerk Ausgestrahlt hat im Dezember eine repräsentative Umfrage vorgelegt, aus der hervorgeht, dass 70 Prozent der damals im Auftrag von Ausgestrahlt befragten Personen der Meinung war, dass die Konzerne für die Atomlasten gerade stehen müssten. Diese Ergebnisse präsentierte Ausgestrahlt-Sprecher Jochen Stay dann auch in der Rückstellungskommission.

Auf der anderen Seite tun sich die Atomkonzerne mit Konzessionen schwer. Seit dem endgültigen Ausstiegsbeschluss 2011 sehen sie sich als Opfer der Politik, die sie inzwischen oft gar nicht mehr nach ihrer Meinung fragt. Öffentlich hat noch keiner der vier Atomkraftbetreiberkonzerne auf die Erwartung der Rückstellungskommission reagiert, im Falle eines Kompromisses auch die atombezogenen Klagen gegen die Bundesregierung vor deutschen Gerichten und der Schiedsstelle der Weltbank in Washington zurückzuziehen. Vor allem Vattenfall tut sich mit einem solchen Schritt schwer. Denn schließlich sei Eon in Schweden entschädigt worden, als ein Atomkraftwerk vorzeitig abgeschaltet wurde. Im Fall des Atomkraftwerks Krümmel, das wenige Tage vor der Atomkatastrophe in Fukushima nach einer Modernisierung wieder hätte ans Netz genommen werden sollen, sei das aber nicht passiert, heißt es bei Vattenfall. Das sei dem schwedischen Steuerzahler kaum vermittelbar. Allerdings findet Kotting-Uhl, dass der Kompromiss auch dem "deutschen Steuerzahler vermittelbar sein" müsse.

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